Trotz Waffenstillstand in Syrien: Die Nusra-Front und der „Islamische Staat“ wurden ausdrücklich davon ausgeschlossen. Sie können also weiterhin von Asads Truppen und ihren Verbündeten bekämpft werden. Zu diesen Verbündeten der syrischen Regierungstruppen gehören die Russen, die pro-iranische libenaesiche Hisbullah und die Iraner.
Die Nusra-Front jedoch hat Verbündete unter den Milizen, mit denen zusammen sie die Provinz Idlib und die östlichen Teile der geteilten Stadt Aleppo beherrscht. Je nach Front haben diese Verbündete grösseren oder kleineren Einfluss auf die Kämpfe.
Unterschiedliche Milizen
Zudem sind diese Milizen, die mit der Nusra-Front kämpfen, sehr unterschiedlich. Allgemein kann man sagen, die salafistisch ausgerichteten Kampfgruppen wie "das Heer des Islams" und das "Heer des Jihad" stehen der Nusra-Front nahe. Sie sind eine wichtige Kraft im Kampf gegen die Asad-Armee. Auch sie wollen, wie die Nusra-Front, einen Scharia-Staat Syrien.
Aber ein wichtiger Unterschied besteht: Die Nusra-Front hat sich al-Kaida unterstellt - die mit ihr verbündeten Milizen jedoch nicht. Doch sogar die von den Amerikanern als "gemässigt" eingestufte „Freie Syrische Armee“ (FSA) kämpft in gewissen Sektoren gemeinsam mit Nusra.
Erneute Verbrechen der Asad-Armee
In Aleppo gibt es zahlreiche kleinere Gruppen, die koordiniert mit anderen Kleingruppen kämpfen und je nach Lage auch mit Nusra zusammenarbeiten. In den östlichen Teilen der Stadt, wo die Rebellen herrschen, hat Nusra in den letzten Wochen Terrain gutgemacht. In den Stadtvierteln, die sie dominienieren, organisiert Nusra Militärparaden – sehr zum Missfallen der lokalen Bevölkerung. Diese muss befürchten, dass ihre Quartiere bombardiert werden, wenn sie als „Nusra-Quartiere“ eingestuft werden.
Tatsächlich werfen syrische Armee-Einheiten wieder sogenannte Kanister-Bomben (Barrel Bombs) planlos über Wohngebiete ab. Bei diesen „Bomben“ handelt es sich um Behälter, die mit Sprengstoff gefüllt sind. Das Asad-Regime streitet kategorisch ab, solche Barrel Bombs abzuwerfen, weil ihr Einsatz in Wohngebieten ein Kriegsverbrechen darstellt. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass es die Flugzeuge und Helikopter Asads sind, die diese Verbrechen begehen.
Wann ist der Waffenstillstand gebrochen?
Mehrere Milizen, die mit Nusra zusammenarbeiten, haben sich den Waffenstillstand angeschlossen – manchmal nach langem Zögern und auf Druck von Riad. Die Saudis sind es, die diese Milizen finanzieren und mit Waffen beliefern.
Verworren ist die Lage, weil einerseits die Nusra-Front angegriffen werden kann, aber die mit ihr verbündeten Milizen nicht, da sie den Waffenstillstand mittragen.
Wenn nun die Asad-Armee Nusra angreift – und im Schlepptau die Milizen –, gilt dann der Waffenstillstand als gebrochen? Und umgekehrt: Wenn Nusra mit ihren verbündeten Milizen in den Kampf ziehen, dürfen dann die Asad-Armee und ihre Verbündeten zurückschlagen und erklären, der Waffenstillstand sei dadurch nicht gebrochen, weil Nusra weiterhin angegriffen werden kann?
Nächstes Ziel Asads: Aleppo
Die Kämpfe konzentrieren sich zurzeit auf Aleppo. Laut Angaben des syrischen Ministerpräsidenten ist die Metropole im Norden das nächste Ziel der syrischen Truppen. Im Süden und Norden der Stadt wird heftig gekämpft. Die Verbände des „Islamischen Staats“, die bisher von Osten her gegen die Stadt vorrückten, mussten in einigen Sektoren zurückweichen.
Bekämpft werden IS-Kämpfer sowohl von den Regierungstruppen, unterstützt von der russischen Luftwaffe, aber auch von den Nusra-Kämpfern und ihren Verbündeten. Beide versuchen, die Dörfer und Höhenzüge einzunehmen, aus denen der IS zurückgedrängt wurde. Dabei geht es auch darum, den Gegnern die Zufahrtswege und damit den Nachschub abzuschneiden. Die Regierungskräfte versuchen, den östlichen Teil der Stadt abzuriegeln, die Nusra-Front die westlichen Quartiere.
Kampf um "Rojawa"
Bei den Kämpfen im Norden der Stadt spielen auch die Kurden eine Rolle. Sie versuchen ein einheitliches Kurdengebiet, „Rojawa“ genannt, zu bilden. Dazu müssen sie Gebiete erobern und so eine Lücke schliessen, die zwischen ihrem Territorium östlich des Euphrats und der Kurdenenklave „Arfin“ nordwestlich von Aleppo liegt. Gegen dieses Vorhaben wehrt sich die Türkei und nimmt kurdisch besetzte Dörfer mit ihrer Artillerie und Luftwaffe unter Beschuss.
Unteressen versucht eine russisch-amerikanische Waffenstillstandkommission den Waffenstillstand aufrecht zu erhalten. In dieser Kommission arbeiten die Russen und die Amerikaner nicht im gleichen Raum, kommunizieren jedoch über Distanz miteinander.
Asad, der Nutzniesser
Die Einhaltung des Waffenstillstands ist Voraussetzung dafür, dass politische Gespräche in Genf beginnen können. Diese Verhandlungen sollen indirekte Gespräche zwischen den Delegationen sein. Sie sitzen in getrennten Räumen und verhandeln gesondert mit den Uno-Sonderbeauftragten.
Zweifellos nützt die komplexe und unstabilde Situation zwischen Krieg und Waffenstillstand den Russen und Asad. Sie erlaubt ihnen, Krieg zu führen, wo sie wollen – und den Waffenstillstand aufrecht zu erhalten, wo es ihnen zweckmässig erscheint. Under dem Vorwand, er kämpfe gegen den „Islamischen Staat“ und gegen die Nusra-Front, kann Asad seine Truppen dort einsetzen, wo es ihm nützt. An anderen Fronten, wo er einen Waffenstillstand ausruft, können sich seine Verbände „ausruhen“ oder an andere Fronten verlegt werden.
Den IS überlässt er andern
Was Asad anstrebt, ist klar: Ihm geht es darum, womöglich wieder ganz Syrien in seine Gewalt zu bringen. Vielleicht in dieser Reihenfolge: zuerst Aleppo, dann Deir ar-Zor, dann Idlib und schliesslich Raqqa. Wie weit jedoch die Russen gewillt sind, ihm dabei zu helfen, ist ungewiss. Auch Asad ist sich dessen nicht im Klaren.
Er wird daher darauf ausgehen, schrittweise ein Stück Syrien nach dem anderen zurückzuerobern. Den IS wird er zuletzt bekämpfen, weil dieser von allen andern Konfliktparteien bekämpft werden wird: von Amerikanern, Russen, Saudis, Türken, den verbleibenden Rebellen, den Iranern und seiner eigenen Truppen. Wenn Asad all jene Teile Syriens wieder dominiert, die nicht vom IS besetzt werden, wird eine Eroberung der IS-Gebiete nur eine Frage der Zeit sein.
Von Putin aufgezwungen?
Umgekehrt jedoch würde es anders aussehen: Sollte Asad gegen den IS Kämpfen, würden Nusra und die andern Rebellengruppen ihre Territorien halten oder gar ausdehnen können. Sie würden dann wohl auch Asad einen Kompromiss aufzwingen wollen.
Asad wird also Schritt für Schritt vorgehen. Der IS wird die letzte Station sein. Der gegenwärtig brüchige und unstabile Waffenstillstand hilft ihm dabei. Er nützt es aus, dass man nicht richtig weiss, wer zur Nusra-Front gehört und wer nicht.
Ob es wohl der Taktiker Putin war, der Asad dieses Vorgehen nahegelegt oder gar aufgezwungen hat, weiss man nicht. Man kann es aber vermuten.