Zunächst einmal muss man ja kein Wort über die Stellungnahmen von «Chefökonomen», «Börsenspezialisten» und Teamleitern von «Research-Units» oder Analysten im Dienst von Banken verlieren. Alles untaugliches, unnützes, unsinniges Geschwafel. Wenn Ihnen das Urteil zu hart erscheint, gönnen Sie sich den Spass, deren Aussagen vor einem Monat oder vor einer Woche oder vom vergangenen Dienstag zu googeln: zum Totlachen.
Mäntelchen der Seriosität
Hilfreich ist die Erkenntnis, dass es keine Finanzwissenschaft gibt. So gerne sich ihre Vertreter das Mäntelchen mathematisch-wissenschaftlicher Seriosität umhängen möchten und damit angeben, welche Computerprogramme, Algorithmen, geradezu physikalisch-naturwissenschaftlichen Methoden sie doch verwenden: Noch nie, noch kein einziges Mal hat ihr gesammelter Sachverstand eine Finanzkrise korrekt vorhergesagt. Ganz wenige Ausnahmen und Querschläger bestätigen die Regel.
Oder erinnert sich jemand daran, dass bei der UBS oder der CS, um in heimatlichen Gefilden zu bleiben, eine Koryphäe sichtbar die Stirne runzelte, bevor die Immobilienschrottpapierblase platzte? Und unsere beiden grossartigen Grossbanken selbst mit Multimilliardenverlusten an den Rand des Abgrunds stolperten? Dazu auch eine Frage an den Kleinanleger: Woher nimmt er eigentlich weiterhin das Gottvertrauen, irgendwelchen Ratschlägen von Anlageberatern dieser beiden Banken zu trauen?
So oder so
Von Joseph Stiglitz, immerhin ehemaliger Chefökonom der Weltbank und selbst Nobelpreisträger, stammt das Bonmot: «Die Ökonomie ist die einzige Wissenschaft, in der sich zwei Menschen einen Nobelpreis teilen können, weil ihre Theorien sich gegenseitig widerlegen.» Bis auf das Wort Wissenschaft bringt es Stiglitz auf den Punkt. Nehmen wir die aktuelle Situation: Wurde der Börsencrash am Donnerstag und Freitag von irgend jemandem prognostiziert? Schlimmer noch: Wurde er bislang von irgend jemandem erklärt? Ich meine sinnvoll, verständlich und nachvollziehbar erklärt. Ausser von mir, aber das muss man ja auch nicht ernst nehmen.
Finsterste Vermutung
Nun könnte man meinen, diese Kakophonie sei einfach der Ausdruck einer zunehmenden Komplexität der globalisierten Finanzmärkte, der nicht einmal mit der Chaostheorie beizukommen ist. Auch auf die Gefahr hin, als Verschwörungstheoretikers zu gelten, meine finstere Vermutung ist: Es ist Absicht. Denn es ist doch unbestreitbar, dass der grösste Bankraub aller Zeiten munter weitergeht; statt Immobilienderivate sind es inzwischen Staatsschuldpapiere, mit denen sich Bangster dumm und dämlich verdienen und anschliessend die Kollateralschäden den versammelten Steuerzahlern aufs Auge drücken.
Dabei hilft ungemein, dass es einen bunten Strauss von sich total widersprechenden Aussagen von «Finanzspezialisten» gibt, die zudem meistens so falsch sind, dass nicht einmal das Gegenteil richtig wäre.
Die Schweizer Nationalbank
Nehmen wir als konkretes Beispiel nur die Fachkommentare zu den möglichen Optionen der NB, auf die Überbewertung des Franken zu reagieren. Von «sie kann erfolgreich und muss auf jeden Fall intervenieren» bis zu «keine Chance, wäre alles rausgeschmissenes Geld» ist alles zu haben. Rezepte für eine erfolgreiche Absenkung der Überbewertung bis zu ausführlichen Erklärungen, wieso alles ausser Passivität des Teufels wäre, man kann in der Publikums- und Fachpresse spaltenlang und seitenlang alles lesen. Hört sich meistens auch für Kenner plausibel, intelligent und durchdacht an, nur: widerspricht sich diametral.
Wenn Ökonomie eine Wissenschaft wäre
Offensichtlich stecken wir im 21. Jahrhundert, was Finanzökonomie betrifft, wieder im tiefsten Mittelalter. Während es den Naturwissenschaften seither gelungen ist, immer mehr Phänomene der Realität zu erklären und sogar nutzbar zu machen und nicht mehr ernsthaft darüber diskutiert werden muss, ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe sei oder ob ein Blitzschlag das Walten eines zürnenden Gottes beweise, flüchtet sich die Pseudowissenschaft Ökonomie bis zum heutigen Tag in Naturmetaphern wie «Erdbeben», «Tsunami auf den Finanzmärkten» oder psychologische und schiefe Bilder wie «verunsicherte Märkte».
Kleiner Tipp
Ach, und wie ist es denn wirklich, mögen Sie fragen. Keine Ahnung, ist meine Antwort, denn Ökonomie ist keine Wissenschaft. Ausser: Der klare Blick und eine rationale Analyse können schon helfen. Und, kleiner Tipp, die Überprüfbarkeit früherer Prognosen im Nachhinein. Meine Trefferquote, in aller Bescheidenheit, ist so gesehen verblüffend gross.