Da stehen sie in Scharen vor dem gelben Haus in der Salzburger Getreidegasse 9, beissen in ein «Nordsee»-Fischbrötchen aus dem Laden, der Wand an Wand mit dem Mozarthaus liegt, und kippen ein Bier, das sie im «Spar» gekauft haben, der direkt in Mozarts Geburtshaus einquartiert ist, unten im Parterre. Da kennt Salzburg keine Hemmungen. Hier fühlt man sich dem Musikgenie so nah … Mozart! Salzburg!
Die Zahl der Touristen ist schier unüberschaubar. Man kauft noch Mozartkugeln, hört Papageno aus der Spieldose und zieht weiter durch die Getreidegasse.
Nur ein paar Schritte entfernt liegen die Festspielhäuser, wo sich zur Sommerzeit ebenfalls unzählige Musikliebhaber tummeln. Dort allerdings mit Champagner im edlen Glas und Apero-Häppchen vom Feinsten. Oder sie sitzen im «Triangel» bei einem Grünen Veltliner. Zu späterer Stunde, dann nach der Vorstellung, im «Resch und Lieblich», eingeklemmt zwischen Felswand und der Rückseite der Felsenreitschule. Da lässt es sich bei Schnitzel und Wein vortrefflich über Sänger, Schauspieler, Regisseure und Inszenierungen herziehen. Und Philipp Hochmeir, der diesjährige «Jedermann», schaut auch gern vorbei. Die «Salzburger Festspiele» locken buchstäblich Hundertausende in die Stadt.
Blick zurück in Zahlen
Und jetzt sind die Festspiele wieder vorüber. Es geht ans Aufräumen und der Blick zurück fällt durchaus positiv aus: 255’000 Besucher aus 77 Ländern haben an 44 Tagen insgesamt 170 Veranstaltungen besucht: Oper, Schauspiel, Konzert, Lesung. Das entspricht einer Auslastung von 98,2 Prozent. Und die Brutto-Einnahmen belaufen sich auf über 30 Millionen Euro. Eine Million mehr als noch im vergangenen Jahr.
Soweit die nüchternen Zahlen. Vom Programm her war es interessant, dass viel Russisches auf dem Spielplan stand. Trotz des derzeitigen Boykotts vieler Künstler aus Russland. So hat gleich zu Beginn der umstrittene Russland-Grieche Teodor Currentzis mit Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion für einen ersten Höhepunkt gesorgt. Publikum und Kritik waren gleichermassen begeistert. Ein paar Tage später wurden Currentzis und sein «Don Giovanni» ebenfalls lang und heftig bejubelt.
Zweimal Dostojewski
Kurz darauf stand schon die Premiere der Oper «Der Idiot» an, alles andere als ein gefälliges Werk. Vorlage ist der Roman von Fjodor Dostojewski, mit der Musik von Mieczyslaw Weinberg, einem jüdischen Komponisten aus Polen, der nach seiner Flucht vor der deutschen Armee auf Umwegen nach Moskau gekommen und von Dmitri Schostakowitsch gefördert wurde. Unter der musikalischen Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla und in der Regie von Krysztof Warlikowski wurde das düstere und schwierige Werk ein absoluter Überraschungserfolg, nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim Publikum.
Gleich noch einmal Dostojewski in Opernform bot «Der Spieler», komponiert von Sergej Prokofjew. Die litauische Sängerin Asmik Grigorian hat auch dieses Jahr im «Spieler» das Publikum wieder begeistert. Seit ihrem Debut in Salzburg vor sieben Jahren im «Wozzeck» ist sie nicht nur in Salzburg ein Publikumsliebling. Aber hier ganz besonders.
Ein anderer Publikumsliebling ist der Tenor Benjamin Bernheim. Geboren ist der Franzose in Genf, ausgebildet wurde er ebenfalls in Genf und Lausanne und schliesslich nahm seine Laufbahn im Opernstudio Zürich und auf der Bühne des Opernhauses rasant Fahrt auf. Inzwischen ist er international ein Star. In Salzburg hatte er die Titelrolle in Jacques Offenbachs «Les contes d’Hoffmann». Die Fans freuten sich – und wurden enttäuscht. Die Aufführung fiel wegen der Inszenierung total durch. Zu überladen, zu wirr. Pech für Benjamin Bernheim und für seine Fans.
Besonders gespannt war man dieses Jahr auf die Neu-Inszenierung des «Jedermann» durch Robert Carsen, der den Salzburger Klassiker vom Sterben des reichen Mannes klar im Heute positionierte. Nach vielen gestandenen Publikumslieblingen, tobte sich diesmal Wirbelwind Philipp Hochmeir als «Jedermann» auf der Bühne aus. Inzwischen ist er dafür mit dem Sonderpreis «Cross Over» beim Österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet worden. An «Jedermanns» Seite: die «Buhlschaft», dieses Jahr von einer Schweizerin verkörpert, Deleila Piasko, die aus Zürich kommt und als 38. Buhlschaft im Laufe der 104 Jahre seit der Uraufführung auf dem Domplatz brillierte.
Ebenfalls als Zürcherin kann man mittlerweile Cecilia Bartoli bezeichnen, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebt und seit zwölf Jahren künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele ist. Mozarts «La Clemenza di Tito», die diesjährige Pfingstproduktion, stand auch im Sommer auf dem Programm. Eine hinreissende Aufführung mit Bartoli in der Titelrolle. Gezeigt wurde Mozarts Oper hier anhand des Sturms aufs Capitol in Washington. Sehr aktuell, sehr überraschend, sehr gelungen.
Auch ein paar Flops ...
Als weniger gelungen haben sich zwei andere Produktionen erwiesen, die auch Verbindungen in die Schweiz haben. Die «Sternstunden der Menschheit» nach Stefan Zweig in einer Fassung des Schweizer Regisseurs Thom Luz entpuppten sich als wirres Durcheinander auf der Bühne. Und Nicolas Steemann, der in den vergangenen Jahren das Publikum des Zürcher Schauspielhauses mit woken und gendergerechten Aufführungen vergraulte, hat mit seiner mehr als vierstündigen, chaotischen Inszenierung der «Orestie» auch die Zuschauer in Salzburg frustriert und verärgert.
Einen gewissen Bezug zur Schweiz hat schliesslich auch Thomas Manns «Zauberberg», der in Salzburg in einer mehr als fünfstündigen, konventionellen Inszenierung auf Litauisch gezeigt wurde und das Publikum zermürbte.
Klein und fein
Dann gibt es aber immer auch die kleinen, feinen Veranstaltungen, die ihr überschaubares Publikum absolut beglücken. Wenn zum Beispiel Markus Hinterhäuser, der Intendant der Festspiele, sich persönlich ans Klavier setzt und zu später Stunde Stücke von Alban Berg und Arnold Schönberg spielt. Es sind vertonte Gedichte von Stefan George, gesungen von Anna Prohaska und Georg Nigl. Oder wenn Erwin Steinhauer in unnachahmlichem österreichisch-gefärbten Tonfall Szenen aus «Die letzten Tage der Menschheit» rezitiert und eine kleine Blaskapelle dazu aufspielt. Oder eine Lesung unter dem Titel «Hallo, hier spricht Nawalny». Michael Maertens lässt Briefe, die Alexej Nawalny aus dem Gefängnis an seine Frau schrieb, ganz lebendig werden. Beklemmend, diese Texte zu hören, nur ein halbes Jahr nach Nawalnys Tod im Straflager.
Natürlich ist Salzburg im Sommer immer auch ein Stelldichein der bedeutendsten Orchester und Solisten – bevor viele von ihnen dann weiterreisen ans Lucerne Festival …
Und wenn man in Salzburg mit dem Aufräumen nach den Festspielen fertig ist, geht’s gleich ans Aufbauen. Das Festspielzentrum im Schüttkasten hinter der Pferdeschwemme beim Herbert-von-Karajan-Platz wird gründlich umgebaut. Gleichzeitig beginnen auch die Vorarbeiten für die Renovierung des Grossen Festspielhauses, das aber bis und mit 2027 bespielt wird, bevor es in den Jahren 2028 und 2029 nur noch Baustelle ist.
Und bei der Finanzierung des Festspielzentrums freut man sich in Salzburg über Geld aus der Schweiz: Hans-Peter Wild, «ein scheuer Milliardär aus Zug» – so die «Bilanz» – hat zwölf Millionen Euro gespendet, und wird das neue Zentrum vollumfänglich finanzieren. Das lässt Salzburg sich gern gefallen …