Wer will schon ein Idiot sein! Wer schläft, ist ein Verlierer, ein Weichling. So sagt man heute.
„Wer schläft, fängt keine Fische“, heisst ein italienisches Sprichwort. Langschläfer bringen es zu nichts, sie verschlafen das Leben.
Da stehen sie dann um fünf Uhr auf, diese Manager und Siegertypen. Sie stählen sich kurz im Fitnessraum, nippen an einem Bio-Müesli, konsultieren die Aktienkurse - und stehen dann im im Sechs-Uhr-Stau auf der Autobahn.
Sie zeigen, dass sie gefragt sind, dass sie wichtig sind. Sie müssen es sich selbst zeigen und vor allem den andern. Zeigen, dass sie unverzichtbar sind, eine grosse Nummer in der Wirtschaftswelt. Sie machen sich und den andern vor, dass der Betrieb, das Unternehmen, ja die Wirtschaft ohne sie nicht auskommen kann.
Wenn aber einer erzählt, er habe bis halb sieben Uhr oder gar bis sieben geschlafen, ist er aus der Zeit gefallen: ein Loser, ein Underdog, ein Schlaffi, ein Jammerlappen.
Kurzer Schlaf, früh aufstehen – das ist die Devise der richtigen Macher, jener Player, die etwas erreichen im Leben. Eine schweizerische Studie *) besagt, dass die Zahl der Kurzschläfer, jene, die weniger als sechs Stunden schlafen, um einen Viertel zugenommen hat.
Aber: Vielleicht wären die Gestressten gar nicht so gestresst. Vielleicht schanzen sie sich nur Arbeit zu, Arbeit, die sie delegieren könnten oder gar nicht verrichten müssten. Vielleicht ist vieles, was sie tun, nur Leerlauf. Man kann sich auch Arbeit vormachen.
Doch sie müssen demonstrieren, dass sie ausgebucht sind, hier noch ein Verwaltungsratsmandat, dort noch der Vorsitz einer Kommission und hier noch ein Auftritt an einer Versammlung. Es geht nicht nur ums Geld, das sie dabei verdienen: Es geht darum, sich selbst vorzumachen, dass man gefragt ist, dass man wichtig ist, dass man beliebt ist, dass man einflussreich ist.
Das Familienleben ist längst kaputt. Die Kinder kennen den Vater nicht mehr. Und die Frau hat längst einen Liebhaber.
Ärzte betonen, dass Kurzschläfer nicht nur sich, sondern auch der Umwelt Ungutes antun. Seit langem ist bekannt, dass Schlafmanko gefährlich sein kann. Wer zu wenig schläft, ist unkonzentriert, nervös und macht Fehler. Unausgeschlafene Autofahrer verursachen häufiger Unfälle. Auch unausgeschlafene Manager neigen zu Fehlern. Geschehen in der Wirtschaft so manche Fehlentscheide, weil die Manager zu wenig schlafen?
Natürlich gibt es Leute, die wirklich hart und effizient arbeiten. Aber manche Schwerarbeiter machen sich und den andern etwas vor. Es gibt eingebildete Krankheiten, und es gibt eingebildete Arbeit.
Die amerikanische National Sleep Foundation empfiehlt für Erwachsene sieben bis neun Stunden Schlaf. „Wo kämen wir da hin?“ protestieren Wirtschaftsvertreter, „die Konkurrenz ist heute gewaltig“.
Ist es nicht so, dass man ausgeschlafen besser und effizienter arbeitet? Dadurch gewinnt man Zeit, setzt Prioritäten, erhöht den Output. In acht Arbeitsstunden kann ein Ausgeschlafener mehr leisten als ein mit schwarzen Augensäcken behängter Manager in zwölf Stunden. Management ist eben auch Zeitmanagement.
Und Napoleon? Er, der Kurzschläfer, machte Fehler um Fehler, auch auf dem Schlachtfeld. Und wenn er vor zweihundert Jahren länger als vier Stunden geschlafen hätte? Dann hätte er vielleicht Waterloo nicht verloren.
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