Als 1964 der millionste Gastarbeiter nach Deutschland kam, erhielt er zur Begrüssung ein Moped geschenkt. Armand Rodrigues, der aus Portugal kam, konnte sich willkommen fühlen. Doch nicht allzu lange. Denn schon in den 80er-Jahren wurde in Umfragen deutlich, dass Ausländer allenfalls als Aushilfen und Überbrücker geduldet waren, nicht aber als Personen, die für immer in Deutschland bleiben sollten.
Zwei Drittel sagten in einer Spiegel-Umfrage zu Beginn der 80er-Jahre, dass diese Gastarbeiter, wie man sie damals auch in Deutschland nannte, das Land möglichst bald wieder verlassen sollten.
15 Millionen haben ausländische Wurzeln
Ein Jahr später traten 140 000 von ihnen wieder den Weg zurück in ihre Ursprungsländer an – die Regierung Kohl richtete ihnen Beihilfen auf der Grundlage des sogenannten Rückkehrförderungsgesetzes aus.
Noch später – zu Beginn der 90er-Jahre – kam es zu einer Reihe von Anschlägen auf Unterkünfte von Gastarbeitern. In Solingen starben fünf Menschen nach einem Brandanschlag.
Inzwischen ist die Zahl der Ausländer in Deutschland auf über sieben Millionen gestiegen: jeder fünfte Einwohner - unter ihnen viele Eingebürgerte - hat ausländische Wurzeln. Das entspricht 15 Millionen Menschen. Bei Kindern unter fünf Jahren hat sogar mehr als jedes dritte einen ausländischen Hintergrund.
Dennoch ist noch immer nicht klar, ob Deutschland ein Einwanderungsland sein will. Und falls ja, unter welchen Vorzeichen. Das hat die Debatte im Zusammenhang mit Sarrazins Buch in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt.
Multikulti - "gescheitert, absolut gescheitert"
Der CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer fasste seine Haltung – ziemlich widersprüchlich - so zusammen: „Deutschland ist kein Zuwanderungsland. Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein – Mulitikulti ist tot. ... Ein prognostizierter Fachkräftemangel kann kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein. … Integration bedeutet nicht nebeneinander, sondern miteinander leben auf dem gemeinsamen Fundament unserer Werteordnung.“
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kam als Reaktion auf Seehofer zum Schluss: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert.“
Welche Folgerungen aus solchen Aussagen zu ziehen sind, bleibt unklar. Denn rund 15 Millionen Einwanderer sind ja schon in Deutschland und können zum grössten Teil gar nicht zurückgeschickt werden. Viele von ihnen sind sogar deutsche Bürger geworden, darunter auch solche, die sich kaum integrieren wollen.
Ein Drittel besteht den Sprachtest nicht
Hinzu kommt der von der Verfassung garantierte Schutz vor politischer Verfolgung (Asylrecht) und der Schutz der Familie (Recht auf Familiennachzug), der auch in Zukunft zu einer gewissen Einwanderung führen wird.
Die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren ist zwar stark zurückgegangen. 2009 waren es noch 27 649, gegenüber 95 113 zehn Jahr früher oder gar 438 191 im Jahre 1993.
Auch die Möglichkeiten zum Ehegattennachzug sind eingeschränkt worden. Neu wird der Ehegattennachzug vom Bestehen eines Sprachtest abhängig gemacht. Diesen haben mehr als ein Drittel aller Antragssteller nicht bestanden, was zu einer merklichen Reduktion der Anzahl ausgestellter Einreisevisa für Ehegatten geführt hat.
Eingeführt wurden diese Sprachkurse mit der Begründung, so liessen sich Zwangsverheiratungen verhindern und die soziale Integration verbessern. Beides hatte zur Folge, dass 2008 erstmals mehr Menschen aus Deutschland weggezogen sind als zugezogen – nämlich 55 000.
Deutschland ist also von einem Einwanderungsland zu einem Netto-Auswanderungsland geworden. Das zeigen auch die Zahlen von 2009. Nach Meinung vieler ist das allerdings eine schlechte Nachricht.
Denn unter den Weggezogenen sind auch viele Deutsche. Sehr viele zogen in die Schweiz (2009: 30 441), noch mehr in die USA (2009: 35 502). Die meisten von ihnen sind hochqualifiziert. Das zeigen die dazu erhältlichen Erhebungen. Diese Wegzüge bedeuten also einen erheblichen Brain-drain, der Deutschland für die Zukunft wichtige Fachkräfte entzieht.
Viele Gute gehen, die Schlechten bleiben
Auf vielen Gebieten gibt es in Deutschland bereits heute einen grossen Mangel an gut oder gar hervorragend qualifizierten Fachkräften.
Deutschland hat somit ein doppeltes Problem: Viele gut Qualifizierte verlassen das Land und kommen vielleicht nie mehr zurück, während viele schlecht qualifizierte Ausländer im Land bleiben.
Ablesen lässt sich letzteres unter anderem am Bildungsniveau der in Deutschland ansässigenTürken – der grössten Einwanderergruppe. Fast drei Viertel von ihnen haben nur eine Grundschule besucht oder haben überhaupt keine Schuldbildung. Viele von ihnen sind nahezu Analphabeten. Das sind Arbeitskräfte, die immer weniger gefragt sind – vor allem, wenn sie nicht oder nur sehr rudimentär Deutsch sprechen.
Zu lange wagte man die Frage nicht zu stellen, welche Einwanderer Deutschland vorwärts bringen und welche nicht. Von 1973 bis 2007 reichte für die Einwanderung ein Trauschein, konstatiert die FAZ. Weder Sprachkenntnisse noch Berufsausbildung waren gefordert. Erst mit dem 2007 beschlossenen Sprachtest wurden – gegen den Willen der Grünen und der Linken – gewisse Grenzen gesetzt.
Eine Folge dieser Politik ist, dass es in Deutschland über eine Million Einwanderer gibt, die den Anforderungen eines modernen Arbeitsmarktes und einer modernen Gesellschaft nicht gewachsen sind.
Brach liegendes Potential
Auch ihre Kinder werden darunter leiden, da ihre Eltern ihnen die für den Aufstieg notwendigen Impulse meist nicht zu geben vermögen. Aus dieser Gruppe rekrutiert sich der Hauptharst der ausländischen Hartz-4-Bezüger – Leute und Familien, die sich, ohne selber einer Arbeit nachzugehen, über Jahrzehnte vom deutschen Staat versorgen lassen.
Praktisch gescheitert sind die Versuche der Regierung Schröder im Jahre 2000, durch eine Green Card mehr gut qualifizierte Ausländer anzulocken. Die Anforderungen waren derart hoch (unter anderem ein vertraglich festgestelltes Mindesteinkommen von 66 000 Euro), dass ihnen bis zum Auslaufen des Modells 2004 nur 17 000 Ausländer zu genügen vermochten.
Schlecht eingesetzt werden in Deutschland auch jene Ausländer, die bereits eine Hochschul- oder Fachschulausbildung mitbringen. 876 000 ausländische Hoch- und Fachschulgebildete soll es laut Mikrozensus in Deutschland geben. Viele von ihnen sind Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, Asiaten, Südamerikaner. Eine relativ kleine Gruppe von 18 000 kommt aus der Türkei. Diese Leute müssen oft wegen Nicht-Anerkennung ihrer ausländischen Examen und Titel in sehr untergeordneten Positionen arbeiten.
Statt auf Konstruktionsbüros, in Spitälern und Pflegeinrichtungen arbeiten sie in Kantinen, als U-Bahnführer oder im Gastgewerbe. Das geistige Potenzial von hunderttausenden Ausländern liegt so brach. Schuld daran ist die Privatwirtschaft, aber auch die papiergläubige deutsche Bürokratie und Politik.
Anders wär es gekommen, wenn sich Deutschland vom Fussball ein Beispiel genommen hätte! Da zählen anerkanntermassen Tore – nicht Diplome. Und so hatten an der WM in Südafrika 11 von 23 Spielern der deutschen Nationalelf einen Einwanderungshintergrund.