Das Ölkartell OPEC-Plus (also mit Russland) stösst die USA und Europa mit einer Förderverknappung vor den Kopf. Bedeutet dies einen «pivot to Asia» von Saudi-Arabien und der arabischen Halbinsel zu China und Russland? Nein, denn grundlegende Interessen zählen mehr als autokratische Eitelkeiten.
Der Covid-bedingte «fist bump» zwischen Biden und MBS im vergangenen Juli in Riad war wohl symbolisch für die aktuellen Beziehungen der beiden Politiker. Der Saudi landete einen Tiefschlag, indem er schon damals die übliche Hilfestellung des Landes bei westlicher Öl-Knappheit verweigerte. Da setzt er nun einen drauf mit der eben beschlossenen Senkung der OPEC-Fördermenge.
Für Biden kommt das einer doppelten Niederlage gleich. Kaum Entspannung an der Preisfront für Benzin und dazu im Juli ein symbolischer Kniefall vor einem Monarchensohn, den Biden bislang als einen Paria abgetan hatte und darum nur bereit war, mit dem Vater, dem wirklichen König des Landes zusammenzutreffen.
Mit Paria meinte der amerikanische Präsident den Hauptverantwortlichen für den Mord am dissidenten Journalisten Jamal Khashoggi. Auch nach der direkten Begegnung zwischen Biden und MBS ist dieser Fall allerdings nicht ausgestanden. Ein von Khashoggis Verlobter ausgehendes Strafverfahren gegen den Kronprinzen vor amerikanischen Gerichten läuft und geniesst im politischen Washington einige Sympathie. Dies wird sich angesichts der eben erfolgten Ölverknappung noch verstärken. Stimmen werden laut, die Saudis zu bestrafen.
Die amerikanische Regierung dürfte trotzdem vor Gericht zu Gunsten von MBS dessen absolute Immunität als Staatschef – an sich allein diesen vorbehalten – geltend machen. Biden kann kaum anders entscheiden, nachdem er das mit seiner Begegnung mit dem Kronprinzen in Riad de facto schon getan hat. Damit dürfte der verletzten Eitelkeit von MBS Genüge getan sein.
Iran als gemeinsamer Feind
Ungeachtet der Khashoggi-Affaire erscheint offensichtlich, dass die beidseitigen Interessen unverändert gelten. Bis zu einer unwahrscheinlichen Annäherung an das Gottesregime in Teheran bleibt «containment» von Iran erstes Gebot für Washington im Mittleren Osten. Die bilateralen, historischen Belastungen (CIA-Hilfe bei der Einsetzung der Pahlavi-Dynastie im Iran in den 1950er Jahren, iranische Geiselhaltung amerikanischer Diplomaten 1979–81), und die von Teheran nie zurückgezogene Drohung, Israel vernichten zu wollen, wiegen nach wie vor sehr schwer.
Die unbedingte Abwehrhaltung der regierenden sunnitischen Araber auf der Südseite des Golfs gegen die schiitischen Perser vom Nordufer bleibt ebenso. Leicht zunehmende Kontakte von Saudi-Arabien, auch der VAE (Vereinigte Arabische Emirate) mit Teheran sind taktische Geplänkel, um die Schutzmacht USA immer wieder an die weltpolitische Bedeutung des Golfs zu erinnern. Washington mit seiner im Mittleren Osten unangefochtenen Militärmacht ist Träger der Pax Americana und bleibt damit unveränderter Garant für Riad gegen den schiitischen Erzfeind auf der anderen Seite des Golfes. Dies gilt ebenso für die übrigen Staaten der arabischen Halbinsel.
Der Golf-Kooperationsrat
Der Gulf Cooperation Council (GCC) umfasst sechs Länder, meist mit historischen und geografischen Berührungspunkten zum Iran. Kuwait weist eine grössere Minderheit schiitischer Perser auf, welche über Jahrhunderte weg vom dichter besiedelten Nordufer auf die vergleichsweise menschenleere Südseite des Golfs ausgewichen sind. In Bahrein ist dies sogar eine Mehrheit; beide Golfstaaten sind indessen fest in der Hand arabischer, sunnitischer Herrscherfamilien. Katar und die VAE teilen ihre Rohstoffvorkommen im Golf mit den Ansprüchen des Nachbarn Iran; Dubai dient zudem als formeller und vor allem informeller Umschlagplatz für persisches Geld und Gut. Aussenseiter im GCC mit Blick auf den Iran ist Oman, dessen Interessen traditionell in Richtung des Indischen Ozeans gehen. Das prekäre Staatsgebiet Jemen gehört geographisch wohl zur Halbinsel, existiert aber als funktionsfähiger Staat, damit auch Mitglied des GCC, nicht.
Trotz dieser Verflechtungen der vier Anrainerstaaten des Golfs mit dem grossen Nachbarn auf der anderen Seite folgen sie der Führung des GCC-Ankerstaates Saudi-Arabien und verstehen sich wie Riad als sunnitisches Bollwerk gegen die Schiiten im Irak und vor allem im Iran. Ihre sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen sind weitgehend parallel zu jenen Riads. Auf der Basis von Rohstoffreichtum sehen sie sich auf dem Weg aus ihrem religiös geprägten Mittelalter zu modernen, wenn auch weiterhin autokratischen Staaten und Konsumgesellschaften, mit ungestilltem Hunger nach westlicher Technologie, Know-how und Lebensart. Dazu kann China nichts beitragen, geschweige denn Russland, als Energieproduzent Konkurrent der Ölstaaten.
Die allmähliche Anerkennung des ehemaligen jüdischen Erzfeindes Israel verspricht den Golfstaaten dagegen unmittelbaren Nutzen. Dies ebenso in der Abwehr iranischer Aggression als auch beim Import von Technologie und Know-how.
Die Modernisierung von Saudi-Arabien
Das gilt speziell für Saudi-Arabien. Die von MBS mit Brachialgewalt erzwungene Modernisierung von Land und Gesellschaft wird ohne aktive Mithilfe des Westens nicht gelingen. Von einem Teilnehmer einer kürzlichen Mission des IMF (Internationaler Währungsfonds) nach Riad ist zu erfahren, dass die Gruppe junger, in den USA und in Europa ausgebildeter Erneuerer um MBS sich dessen bewusst ist. Auch sie sehen die Zeichen an der Wand, dass das Zeitalter fossiler Brennstoffe sich dem Ende zuneigt. Dies trotz Ukrainekrieg, der unmittelbar Energieknappheit mit sich bringt, aber letztlich alternativer Energie einen Vorwärtsschub verleihen wird. Sie dürften sich damit Rechenschaft darüber geben, dass der Tag näher rückt, wo saudischer Ölreichtum zum «stranded asset» wird, also zu Aktiven ohne Wert.
Von grosser Bedeutung wird sein, ob die Modernisierung der saudischen Gesellschaft mit deren wirklicher Liberalisierung einhergeht. Dies ist bislang kaum der Fall. Frauen können zwar ausser Hause arbeiten, dürfen selbst Autofahren und müssen sich in der Öffentlichkeit weniger verschleiern. Die Freiheit, sich auszudrücken, ist ihnen aber, wie der gesamten Gesellschaft, weiterhin nur in engen Grenzen möglich. Ob sich so die Transformation erzwingen lässt eines «Rentier-Staates», wo sich die Herrschenden die politische Gefolgschaft ihrer Untergebenen mit der weichen Daunendecke von im Moment noch sprudelndem Ölreichtum erkaufen, unkonventionelle Innovation aber auf autokratische Hürden stösst, wird die Zukunft zeigen.
Soviel steht immerhin fest: Im Zeitalter zunehmender globaler Abkoppelungen und damit Blockbildungen, auch und gerade im wirtschaftlichen Bereich, kann es sich Saudi-Arabien, und mit diesem der Kranz von Fürstentümern am südlichen Rand des Golfs, ganz einfach nicht leisten, einem von Peking selbstherrlich geführten China-Block anzugehören. Und damit in Gefahr zu geraten, im Konfliktfall den militärischen Schutzschild der USA zu verlieren und unter den Bannstrahl amerikanischer und europäischer Boykotte zu geraten. Dann könnten auch junge Saudis plötzlich nicht mehr Ferien in Europa machen und ihre Studien in den USA absolvieren.