Der Auftrag war ungewöhnlich: „Bauen sie ein Auto für vier Personen mit Platz für einen 50 Kilogramm schweren Sack Kartoffeln.“ Und: „Das Auto muss so gut gefedert sein, dass man auf holpriger Strasse einen Korb Eier transportieren kann – ohne dass ein einziges Ei zerbricht.“
Zwölf Jahre dauerte es, bis dieser Auftrag des französischen Generaldirektors Pierre Boulanger erfüllt wurde. Was dann entstand, bezeichnete man zunächst als Sardinenbüchse. „Kriegt man mit diesem Auto einen Büchsenöffner mitgeliefert?“, wurde gespottet. Eine Wochenzeitung schrieb: „Wenn Sardinen in die Campingferien fahren“.
„Das hässliche Entlein“
Doch mit dem Spott war es bald vorbei. Der Ausdruck „Legende“ wird heute inflationär verwendet. Doch dieses Auto wurde zu einer echten Legende. Im Jahr 2002 wurde es in Frankreich zum „Auto des 20. Jahrhunderts“ erkoren. Selbst auf eine Briefmarke schaffte es das Gefährt. In mehreren hundert Filmen trat es auf. James Bond raste bei der Verfolgung belgischer Gangster durch spanische Dörfer – und sass an Bord einer gelben Ente.
Ente – so heisst das Auto in Deutschland. In der Schweiz nennt man es „Deux Chevaux“ oder „Döschwo“. In Frankreich wird es 2CV und auch „Deuche“ oder „Dedeuche“ genannt. Die Bezeichnung „Ente“ erfolgt in Anlehnung an Hans Christian Andersens Märchen „Das hässliche Entlein“.
Das Gauloise-Typ-Auto
Und hässlich ist der „Deux Chevaux“ tatsächlich. Doch gerade das wurde zu seinem Triumph. Vor allem in den Sechzigerjahren wurde die Kiste zu einem Lebensgefühl. Der 2CV war ein Protestauto gegen den Luxus, gegen die Konsumgesellschaft: gegen jene Neureichen, die möglichst viele PS unter dem Hintern haben mussten, um zu zeigen, dass sie etwas sind. Lange vor den 68er-Protesten war der 2CV ein Auto der 68er-Generation: das Gauloise-Typ-Auto für Nonkonformisten.
Eigentlich war der Deux Chevaux lange Zeit das Vehikel der linken Intellektuellen. Wollte ein Sorbonne-Student mit einem Jaguar eine schöne Studentin abholen, wurde er zum Teufel geschickt. Kam er mit einem Deux Chevaux, umarmte sie ihn.
Der Lemonenman
Die Geschichte der „Ente“ ist faszinierend und keineswegs geradlinig. Sie begann in den Jahren, als auch Hitler einen „Volkswagen“ bauen wollte. Doch beginnen wir von vorn.
Die Vorfahren von André Citroën verkauften in Holland Gemüse und Früchte, unter anderem Zitronen. Deshalb nahmen sie den Namen „Lemonenman“ an. Aus Lemonenman wurde in Frankreich Citroën (sprich: Citro-enn, nicht nasal). André Citroën, 1878 geboren, stellte während des Ersten Weltkrieges Munition her. Da nach dem Krieg Munition nicht mehr gefragt war, produzierte er 1919 sein erstes Auto, den „Citroën Typ A“, Vierzylinder-Motor, 1323 cm3, Spitzengeschwindigkeit 65 km/h.
Schon im ersten Jahr wurden 10'000 Autos abgesetzt. 1924 waren es 50'000.
1926 waren 31'000 Arbeiter bei Citroën beschäftigt und produzierten pro Tag 400 Autos. Die Firma brachte nun mehrere Autos auf den Markt, die Geschichte machten. Die Franzosen überraschten immer wieder mit innovativen, ungewöhnlichen Kreationen, die die Autobranche bis heute prägt.
Das Bild zeigt André Citroën im Januar 1933. In St. Moritz präsentierte er eine Art Autoschlitten mit Raupenantrieb. Die Vorderräder glitten auf befestigten Skiern auf dem Schnee. Wieder eine innovative Idee, allerdings nicht serientauglich. (Foto: Keystone/IBA-Archiv/Str)
Ein Jahr später brachte er das erste Auto mit Vorderradantrieb auf den Markt. „Ein Pferd schiebt ja auch keinen Wagen; es zieht ihn“, sagte er. Die enormen Entwicklungskosten für die „Traction Avant“ stürzten ihn in den Ruin.
1935 verkaufte er die Firma an den Reifenhersteller „Michelin“. Im gleichen Jahr, 1935, stirbt er. Einen der grössten Erfolge seiner Marke erlebte er nicht mehr.
3 Liter pro 100 km
Von Michelin kam sein Nachfolger. Pierre Boulanger war Generaldirektor des Reifenproduzenten. Er wurde zum „Vater des Deux Chevaux“. 1936 gab er den Auftrag, ein kostengünstiges Auto für Bauern und jene zu bauen, die nicht viel Geld hatten:
„Faire une voiture pouvant transporter quatre personnes et 50 kg de pommes de terre, à la vitesse de 60 km/h, pour une consommation de 3 litres d’essence aux 100 km avec un confort irréprochable ...“
Ferner sollte das Auto Vorderradantrieb und drei Gänge besitzen. Auch Anfänger sollten den Wagen steuern können. Einen Anlasser gab es nicht: das Auto wurden mit einer Kurbel gestartet.
1939 wurden 250 Prototypen in einer leichten Aluminium-Mangan-Legierung gebaut. Das Auto besass einen 375-Kubikzentimeter-Motor, einen einzigen Frontscheinwerfer, einen einzigen Scheibenwischer, keine Blinker, keine Aussenspiegel. Die Sitze waren mit Segeltuch bespannt. Zunächst hiess dieses Fahrzeug TPV, „Toute petite voiture“.
Dann kam der Krieg. Die Deutschen hatten vom TPV Wind bekommen und verlangten die Herausgabe der Pläne. Boulanger weigerte sich. Am 3. Juni 1940 wurde die Citroën-Fabrik am Quai de Javel in Paris bombardiert. Viele Prototypen des 2CV wurden zerstört. Jene, die den Bomben entgingen, wurden versteckt. Man wollte nicht, dass die Deutschen das erfolgsversprechende Konzept übernahmen. 1942 wurde die Fabrik erneut bombardiert.
Dann ging der Krieg zu Ende. 1948, vor 70 Jahren, erlebte das „ganz kleine Auto“ seine Wiedergeburt. Jetzt hiess es Deux Chevaux, 2CV. Am 7. Oktober wurde es am Pariser Salon de l’Auto präsentiert. Staatspräsident Vincent Auriol liess es sich nicht nehmen, sich in das seltsame, 3,78 Meter lange, viertürige Vehikel zu setzen.
Der Schalthebel war ein Schaltknebel oder Schaltknüppel und befand sich auf Brusthöhe (wie er später auch im Renault R4 verwendet wurde). Der 2CV hatte einen enormen Vorteil. Alle Teile waren leicht zugänglich, Pannen waren einfach zu reparieren. Mit etwas Rütteln und einem Schraubenzieher wurde mancher Defekt schnell behoben.
Wegen Materialmangels nach dem Krieg lief die Produktion schleppend an. Das wenig vorhandene Material ging an den grossen Konkurrenten: den Staatsbetrieb Renault. Trotz anfänglichem Spott: bald wurde der 2CV zum Grosserfolg. Die erste Werbung lautete: „Vier Räder unter einem Regenschirm.“
Im Lauf der Jahre wurden Verbesserungen vorgenommen, doch das Äussere blieb. Der Motor wurde stärker: Aus 375 wurden 425, 435 und 640 Kubikzentimeter. Die Bezeichnung „Deux Chevaux“ (zwei Pferde) bezieht sich nicht, wie fälschlich angenommen, auf die Stärke des Motors, der wesentlich mehr als 2 Pferdestärken (PS) aufweist. 2CV gibt die Steuerklasse an.
Am 11. November 1950 fuhr der „Vater des 2CV“ von Paris nach Clermont-Ferrand ins Wochenende. Auf der Nationalstrasse 9 überholte er mit hoher Geschwindigkeit einen Wagen, verlor die Kontrolle über seinen „Traction Avant 15-Six“ und prallte gegen einen Baum. Er war sofort tot. Seine Frau, die auf dem Beifahrersitz sass, überlebte schwerverletzt. Boulanger sollte den grossen Erfolg seines „toute petite voiture“ nicht mehr erleben.
Später kamen viele Versionen des Deux Chevaux auf den Markt, unter anderem ein 2CV-Lieferwagen – in Deutschland „Kastenente“ genannt.
1958 wurde der 2CV „Sahara“, präsentiert, ein 4x4-Auto mit zwei Motoren. Der „Sahara“ konnte im Sand Steigungen von bis zu 40 Prozent bewältigen.
1980 entstand die Retroversion „Charleston“.
Selbst ein James-Bond-Deux Chevaux mit Einschusslöchern kam auf den Markt. 42 Jahre lang wurden die 2CVs produziert – ein Rekord. Viele verkehren heute noch als Liebhaber- und Sammlerautos. Für aufgepeppte und den heutigen Vorschriften angepasste 2CVs werden teils phantastische Summen bezahlt.
Am 27. Juli 1990 war Schluss.
Eine Musikkapelle verabschiedete in der Fabrik Mangualde in Portugal den letzten produzierten Deux Chevaux. Insgesamt waren 5’114’940 Exemplare gebaut worden.
Und mit diesen Modellen hatte alles in den Dreissigerjahren begonnen. 1994 wurden in einer Scheune in Frankreich drei Prototypen entdeckt. Sie waren vor dem Krieg vor den Deutschen versteckt worden. Jetzt werden sie an Retro-Ausstellungen vorgestellt.
(Alle Fotos: Mit freundlicher Genehmigung: Citroën/Paris/Schlieren)
Siehe auch: L'histoire Citroën