Ein Dokument, das offenbar eher als Arbeitsdokument denn als offizieller russischer Vorschlag zu gelten hat, wurde in seinen wesentlichen Punkten von der Agentur Reuter veröffentlicht. Das russische Aussenministerium dementierte, dass dieses Dokument «der Realität entspreche». Doch besteht kaum Zweifel, dass sein Inhalt, in acht Punkte zusammengefasst, weitgehend den russischen Vorstellungen entspricht.
Verhandlungen über Reformen
Der Entwurf schlägt eine Übergangszeit von 18 Monaten vor, während der neue Verfassungsregeln für Syrien ausgehandelt würden. Unterhändler wären die gegenwärtige Regierung und Vertreter der Opposition. Den Vorsitz bei diesen Diskussionen würde eine neutrale Persönlichkeit – nicht Asad – innehaben.
Von der Oppositionsvertretung jedoch seien alle «terroristischen Gruppen» auszuschliessen. Dazu gehörten auch jene Gruppen, die beabsichtigten, Syrien in Teilstücke aufzuspalten (was auf die Kurden gemünzt sein dürfte). Die für die Reformverhandlungen zugelassene Opposition müsse aus einer geeinten Bewegung bestehen.
Die Übergangsperiode würde zu Wahlen führen. Der neu gewählte Präsident würde die Armee und den Geheimdienst kommandieren sowie die Aussenpolitik Syriens bestimmen. Das Dokument schliesst nicht aus, dass Baschar al-Asad in diesen Wahlen nach der Reformperiode als Präsidentschaftskandidat auftrete.
Die gegenwärtige Lage in Damaskus ist dadurch zustande gekommen, dass Asad sich im Juni 2014 durch Wahlen in den von ihm kontrollierten Gebieten Syriens auf sieben weitere Jahre zum Präsidenten hatte bestätigen lassen.
Streitpunkt: Asads zukünftige Rolle
Russland hat bereits Konsultationen mit Iran geführt, in denen vermutlich derartige Pläne diskutiert worden sind. Es hat auch Treffen mit der syrischen Opposition gegeben, soweit sie aus Gruppen besteht, die politische Opposition gegen Asad betreiben, jedoch nicht zu den Waffen gegriffen haben.
Ein Sprecher des russischen Aussenministeriums liess wissen, dass Russland gedenke, sich in den kommenden Tagen auf zwei Hauptfragen betreffend Syrien zu konzentrieren: erstens, genau zu bestimmen, wer Terrorist sei und wer nicht. Und zweitens eine Liste von repräsentativen Figuren aufzustellen, die mit Damaskus verhandeln könnten.
Es ist klar, dass die Gegenseite in den Verhandlungen von Wien, die Natomächte und Saudi-Arabien, nicht einverstanden sind mit den russischen Plänen zugunsten Asads. Sie möchten ihn aus der zukünftigen Politik Syriens ausschliessen. Den Zeitpunkt lassen sie offen, fordern aber, dass ein klares Ende seiner Herrschaft festgelegt werde.
Genauer wäre von mehreren Gegenseiten zu sprechen, weil Saudi-Arabien und die Türkei, die beteiligt sind, nicht genau die gleichen Positionen einnehmen wie die Amerikaner und andere Natomächte. Saudi-Arabien geht es vor allem darum, die Achse zwischen Iran und Syrien zu zerbrechen, und die Saudis glauben, dass dies nur geschehen könne, indem Asad seine Macht verliert. Auch Ankara will Asad absetzen, doch wichtiger dürfte der Türkei sein, ein unabhängiges oder autonomes kurdisches Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu verhindern.
Asads Geheimdienste
Wenn die Amerikaner und ihre Verbündeten mit Russland über das Verbleiben oder den Rücktritt von Asad streiten, geht es nicht nur um die Person Asads, sondern vielmehr um sein Regime, welches – wie alle Seiten wissen, ohne es notwendigerweise hervorzuheben – steht und fällt mit den Geheimdiensten Asads. Die Russen haben ein Interesse daran, diese Geheimdienste (es soll mindestens 13 verschiedene solche Dienste in Syrien geben) als die «syrischen Geheimdienste» aufzufassen, nicht als jene des Asad Regimes, was sie natürlich in Wirklichkeit sind.
Es handelt sich um das weitgehend alawitisch kontrollierte Geheimdienstnetz, das Vater Asad aufgezogen hatte, um seine Herrschaft über Syrien abzusichern. Solange diese Geheimdienste am Ruder sind, wird es keine echten Wahlen geben. Jedes Wahlergebnis wird von ihnen bestimmt.
Dies wissen alle Oppositionskreise und Gruppen, auch jene, die nie zu den Waffen gegriffen haben, wie die 273 Unterzeichner der Damaskus-Deklaration von 2007. Ihre führenden Personen verbrachten danach drei Jahre in den Gefängnissen. Doch konnten sie im September 2011, vorübergehend geduldet von der Asad Regierung, gemeinsam mit neuen Gesinnungsgenossen in Damaskus das syrische Nationale Komitee für Demokratischen Wandel gründen, abgekürzt NCC. Sie sind bereits Gesprächspartner der Russen. Doch sie wissen genau, wie die syrischen Geheimdienste mit Demokratiebestrebungen umgehen. Deshalb wird es für die Russen nicht leicht sein, sie als Gesprächspartner für einen «Reformprozess» zu gewinnen, wenn dieser weder die Person Asads noch seine Geheimdienste ausschaltet.
Eine «vereinigte» Opposition?
Was den bewaffneten Widerstand angeht, so ist unwahrscheinlich, dass irgendeine der zahlreichen Kampfgruppen von den Russen als «nicht terroristisch» eingeschätzt und deshalb als Partner zu den «Reformgesprächen» zugelassen werden könnte. Alle Widerstandsgruppen, so sehr sie sich gegenseitig unterscheiden und manchmal bekämpfen, sind sich im übrigen einig darin, dass sie keine Friedenslösung für Syrien sehen können, solange Asad am Ruder bleibt.
Die im russischen Vorschlag erhobene Forderung, die Gesprächspartner der syrischen Regierungsdelegation in den Reformverhandlungen müssten als eine geeingte Front auftreten und verhandeln, ist verständlich, weil mulilaterale Verhandlungen ungleich schwieriger wären als bilaterale. Sie liefen Gefahr, in endlose Debatten auszuarten. Doch der Dauerstreit, der unter den Politikern der syrischen Exilregierung während der ganzen Jahre des Bürgerkrieges vorherrschte, zeigt, dass eine solche Einigung schwer zu erreichen wäre – es sei denn, die Gesprächspartner würden so stark gesiebt, dass nur eine einzige bevorzugte Ausrichtung unter den vielen Gruppierungen zu den Verhandlungen zugelassen würde.
Der Preis des Friedens
So schwierig die Verwirklichung des russischen Planes unter den geschilderten Umständen sein mag, erscheint er dennoch als der gegenwärtig einzige Ausweg aus dem syrischen Bruderkrieg. Dies ist ein grosser Vorteil für die russische Diplomatie. Die Amerikaner und ihre Freunde haben ihrem Plan nichts entgegenzusetzen ausser der – an sich berechtigten – Forderung, Asad müsse gehen.
Diese Forderung kann jedoch dazu führen, dass der syrische Bürgerkrieg andauert. Die Russen und die Iraner machen klar, dass sie Asad und sein Regime unter diesen Umständen weiterhin stützen werden, so dass der Krieg ad infinitum andauern wird, wenn ihre Pläne sich als nicht durchsetzbar erweisen. Dass aber der Krieg nicht ewig dauern kann, machen unter anderen die Flüchtlingsströme deutlich, die er verursacht.
Auf diesem Weg wird der Druck auf die Feinde Asads erhöht, auf die russischen Vorschläge einzugehen. Dies trotz der Gefahr, ja trotz der Wahrscheinlichkeit, dass sie eine blosse Scheindemokratie – mit oder ohne Asad, aber jedenfalls unter der Kontrolle seiner Geheimdienste – zeitigen werden.