Das Musée Unterlinden befindet sich in einem Klostergebäude aus dem 13. Jahrhundert. Bis zur Säkularisierung im Jahr 1792 wohnten darin Domikanerinnen. Nach der Säkularisierung wurde das Kloster als Kaserne genutzt und einige Teile wurden auch abgerissen. 1853 konnte im verbliebenen Gebäudeteil das Museum eröffnet werden.
Gelungene Modernisierung
Weltberühmt ist der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, der Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden ist. Darüber hinaus befindet sich im Museum eine herausragende Sammlung von Gemälden und Skulpturen des späten Mittelalters und der Renaissance. Nach und nach kam zeitgenössische Kunst hinzu.
Im Jahr 2012 wurde das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron mit der Neugestaltung und Erweiterung des Museums beauftragt. Im Dezember 2015 konnte es wieder eröffnet werden. Herzog & de Meuron haben mit dieser Erweiterung einmal mehr gezeigt, dass sich moderne Architektur mit mittelalterlichen Gebäudeteilen absolut harmonisch verbinden lässt.
Das Schwimmbad
Allein diese architektonische Meisterleistung lohnt einen Besuch. Zum Beispiel fügen sich das Material und die Gestaltung der Aussenfassaden problemlos in die bestehende Bausubstanz ein, ohne deswegen altertümlich, nostalgisch oder kitschig zu wirken. Auch die Formen der Fenster zitieren die Vorgaben des Klosters und führen sie im Sinne unseres modernen Formverständnisses fort. Das alles ist durchdacht, behutsam und geradezu liebevoll realisiert worden.
Fast schon skurril könnte der Einbezug eines städtischen Schwimmbads eines Nachbargebäudes wirken. Aber auch hier haben die Architekten ihr ganzes Können ausgespielt, und so ist ein Ausstellungsraum entstanden, um den man jeden Künstler beneidet, der dort seine Werke zeigen kann.
Der Besucher hat 8‘000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zu Verfügung und er kann von Exponaten des Neolithikums bis zur Gegenwartskunst gelangen. Und dazu bietet sich ein reizvoller Blick in den ehemaligen Klostergarten oder einen neu gestalteten Hof.
Zusammenarbeit mit dem Museum Puschkin
Gemessen an diesen Superlativen wirkt die Präsentation der Werke von Alexander Rodtschenko ein wenig stiefmütterlich. Man hat dafür die oberste Etage zur Verfügung gestellt, aber grosszügigere und hellere Räume wären den Exponaten besser gerecht geworden. Immerhin handelt es sich um die bisher wichtigste Ausstellung der Werke Rodtschenkos in Frankreich. Ermöglicht wurde sie durch die jahrelange Zusammenarbeit der Colmarer Kuratoren und Kuratorinnen mit den Kommissaren und Kommissarinnen des Museums für Bildende Künste A. S. Puschkin in Moskau.
Trotz dieser kleinen Einschränkung verfehlen die Werke Rodtschenkos ihre Wirkung nicht. 1891 geboren, gehörte er in den 1920er Jahren zur künstlerischen russischen Avantgarde. Im Westen sind aus dieser Zeit Namen wie Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch und Wassily Kandinsky, in dessen Haus er zeitweilig wohnte, bekannt. Rodtschenko arbeitete mit ihnen zusammen, aber es gab auch unterschiedliche Auffassungen, die die Aufspaltung in verschiedene Gruppen motivierten.
Grafik und Agitation
Rodtschenko hat eine beachtliche künstlerische Karriere durchlaufen. So war er von 1920 bis 1930 Professor an den Kunsthochschulen in Moskau und Leningrad. Künstlerisch ging es ihm ganz ähnlich wie seinen Mitstreitern um die Gewinnung neuer Ausdrucksformen durch Reduktion. Weil er ein geradezu genialer Grafiker war, sind ihm im Zuge dieser Experimente und Entwicklungen Werke gelungen, die bis heute nichts von ihrer Kraft eingebüsst haben.
Rodtschenko stand ganz auf der Seite der russischen Revolution und er verstand seine Arbeit als einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung. Grafik und Agitation gingen Hand in Hand. Dazu bezog Rodtschenko die Fotografie in seine Arbeit ein. 2011 hat das Fotomuseum Winterthur seinen Fotos eine Ausstellung gewidmet, die sehr überzeugend war.
Zwischen 1923 und 1925 schuf Rodtschenko mehr als 150 Vorlagen für Plakate und Verpackungen im Auftrag der staatlichen Unternehmen. Auf diesem Gebiet arbeitete er mit dem Dichter und Autor von Werbeslogans, Wladimir Majakowski, zusammen. Die beiden stellen sich als „Reklamekonstrukteure“ vor.
Zu der Ausstellung im Musée Unterlinden ist ein Katalog erschienen, der die leichten räumlich bedingten Mängel mehr als wettmacht. Die Abbildungen sind hervorragend, und der einführende Text ist sehr instruktiv.
Rodtschenko – Sammlung Puschkin, Musée Unterlinden, Colmar,
bis 2. Oktober 2017.