Die bisher international anerkannte Regierung Libyens in Tobruk versuchte Erdöl zu verkaufen. Doch die Uno ist der Ansicht, dass sie dies nicht tun könne, weil nur die Nationale Libysche Erdölgesellschaft mit Sitz in Tripolis das Recht habe, libysches Erdöl auf den Markt zu bringen.
Ein unvollständiger Machtübergang
Der Erdölverkauf hat mehr als nur kommerzielle Bedeutung. Wenn er zustande kommt, stellt er einen grossen Anreiz für den östlichen Teil Libyens dar, die heutige Provinz Cyrenaika, sich von Tripolis loszusagen und selbstständig zu machen. Umgekehrt, wenn der Verkauf vereitelt wird, dürfte sein Misslingen den Politikern und Milizführern der Cyrenaika deutlich machen, dass sie darauf angewiesen sind und bleiben, mit Tripolis zusammenzuarbeiten.
Die Sachlage ist komplex, weil Libyen sich nicht nur im Chaos sondern auch völkerrechtlich in einer Übergangslage befindet, die noch nicht abgeschlossen ist. Seit dem Sommer 2014 gibt es zwei bitter rivalisierende Regierungen im Land: die nicht international anerkannte in der Hauptstadt Tripolis und die international anerkannte, jedoch aus Tripolis vertriebene in Tobruk.
Uno bildet eine dritte Regierung
Weil die beiden sich nicht zu versöhnen vermochten und gegeneinander Krieg führten, hat die Uno über ihre Sonderbeauftragten für Libyen eine dritte Regierung ins Leben gerufen, die sich die Nationale Einheitsregierung nennt. Sie ist in Tripolis anwesend und wurde von vielen der dortigen Politiker anerkannt, welche bisher zu dem nicht international anerkannten Parlament von Tripolis gehört hatten.
Zahlreiche lokale Behörden, wie Stadträte Tripolitaniens, Stammesführer, Honoratioren aller Art und sogar einzelne Milizführer unterstützen die neue Nationale Einheitsregierung und deren Ministerpräsident, Fayez Sarraj.
Tobruk sträubt sich
Jedoch hat das bisher international anerkannte Parlament von Tobruk die Nationale Einheitsregierung bisher nicht anerkannt. Erst wenn dieses geschieht, kann die neue Einheitsregierung mit voller Glaubwürdigkeit von sich behaupten, dass sie nun legitim für ganz Libyen zuständig sei.
Das Parlament von Tobruk war drei Mal einberufen worden, um den Schritt einer Anerkennung der neuen von der Uno gestützten und recht eigentlich ins Leben gerufenen Einheitsregierung zu vollziehen. Doch nicht genügend Abgeordnete stellten sich ein, um ein Quorum zu erreichen. Der Grund dieser Art von Boykott ist in dem Umstand zu suchen, dass der Oberkommandierende der Streitkräfte von Tobruk, die sich Nationale Libysche Armee nennen, General Khalifa Haftar, die Einheitsregierung ablehnt.
Das von der Uno nach zähen, Monate lang andauernden, Verhandlungen niedergelegte Abkommen zur Bildung der Nationalen Einheitsregierung sieht einen Verteidigungsminister vor, der seinerseits den neuen Oberbefehlshaber der künftigen nationalen Armee Libyens zu ernennen hätte. Da Haftar in Tipolis als unakzeptabel gilt, kann er schwerlich auf Ernennung auf diesen Posten hoffen. Haftar und seine ihm anhängenden Offiziere und Milizführer gelten daher als der wahre Grund dafür, dass eine Parlamentssitzung in Tobruk, die den Übergang zur Einheitsregierung besiegeln würde, bisher unterbunden wurde.
Neuer Standort für das Tobruk-Parlament?
Der Uno Vermittler, Martin Kobler, hat in einem Interview, das er der spezialisierten Website "Middle East Eye" gewährte, angedeutet, dass die Möglichkeit bestünde, eine Sitzung des Parlaments von Tobruk "anderen Ortes" durchzuführen. Das hiesse an einem Ort, zum Beispiel Tripolis oder Misrata, welcher dem Einfluss der Bewaffneten General Haftars entzogen wäre. Doch dies ist natürlich nur sinnvoll, wenn eine Mehrheit der Parlamentarier sich zu einem derartigen Vorgehen zur Verfügung stellt.
Eine rivalisierende Erdölgesellschaft
Der versuchte Erdölverkauf fand innerhalb dieses komplexen und zerbrechlichen Rahmens statt. Die Tobruk Regierung hatte im vergangenen Jahr, als sie international anerkannt war, eine eigene Nationale Libysche Erdölgesellschaft gegründet, die seither neben der in Tripolis angesiedelten gleichen Namens besteht. Es ist diese "Libysche Nationale Erdölgesellschaft" von Tobruk, die nun einen Tanker namens Distya Amaya in dem Erdölhafen von Marsa al-Hariga, der nahe bei Tobruk liegt, mit 650 000 Barrels Erdöl beladen liess.
Die "Distya Amaya" war aus Malta gekommen und sollte den Berichten nach mit ihrer Fracht nach Malta zurückkehren. Dort, so war dem Vernehmen nach vorgesehen, sollte sie ihre Fracht an eine in den VAE (Vereinigte Arabische Emirate) beheimatete Firma ausliefern, die sich "DSA Consultancy FZC" nennt. Die VAE und Ägypten stehen beide General Haftar und der bisherigen Regierung von Tobruk nahe.
Illegal nach Befinden der Uno
Doch die Uno sagt, die Sicherheitsratsresolution 2278 bestimme, dass nur die Libysche Nationale Erdölgesellschaft von Tripolis libysches Erdöl legal verkaufen kann. Die National Oil Company von Tripolis hat ihrerseits die neue Nationale Einheitsregierung anerkannt, und die Libysche Nationalbank von Tripolis tat das gleiche.
Die Strategie der Uno und der Einheitsregierung geht darauf aus, die restlichen Mittel, über welche Libyen als Staat verfügt, eine reduzierte Erdölproduktion (gefallen von 1,6 Millionen Barrels im Tag auf 360 000) und Geldreserven in einem Nationalen Anlagefonds, exklusive zu übernehmen und dadurch allen Rivalen politischer und militärischer Natur die Existenzmittel zu entziehen.
Finanzhoheit für die Einheitsregierung ?
Bisher, bevor die Einheitsregierung gegründet wurde, hatte die libysche Nationalbank die libyschen Staatsgelder an die beiden Rivalenregierungen und deren Milizen entsprechend den bestehenden Budgetpositionen verteilt. Wenn die Einheitsregierung die Hoheit über die Staatsgelder innehält und zu bewahren vermag, hat sie auch eine Chance, mit der Zeit und mit Hilfe der europäischen Mächte und der USA, den Milizen die Waffenhoheit zu entziehen und das staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen. Dies wäre der entscheidende Schritt, um Libyen als Staat zu retten.
Hilfe von aussen für eine legitime Regierung
Die europäischen Mächte zusammen mit den USA haben bereits Vorbereitungen getroffen, um der Einheitsregierung auf deren Wunsch auch im militärischen Bereich Hilfe zu leisten. Die italienische Verteidigungsministerin, Roberta Pinotti, hat gegenüber der Zeitung "La Stampa" von möglichen 6000 Mann gesprochen, die nach Libyen entsandt werden könnten.
Vorausetzung dafür, dass dies verwirklicht werde, ist jedoch, dass eine voll legale Einheitsregierung die Macht ergreift und für ganz Libyen sprechen kann, und dass sie dann die Hilfe der Aussenstaaten anfordert. Ein Beschluss des Parlamentes von Tobruk, die Macht an die Einheitsregierung zu übertragen, wäre der notwendige legale Schritt, um eine volle Legitimisierung der neuen Einheitsregierung zu erreichen.
Konsequenzen eines Tobruker Ölverkaufs
Wenn "ihr" Erdölverkauf misslingt, werden die Abgeordneten des Tobruk-Parlamentes viel eher bereit sein, ihre Macht an die Einheitsregierung abzutreten. Gelingt er, wächst der Anreiz für sie, einen eigenen Staat in der Cyrenaika zu gründen und ihn aus den Erdölvorkommen der östlichen Hälfte des Landes zu finanzieren.