Seinem Versprechen im Wahlkampf, keine Zeit zu verlieren, kommt Präsident Biden offensichtlich nach. Er hat im Innern eine radikale Kehrtwende in weniger als zwei Monaten vollzogen. Nach Trumps ineffektiver Macho-Show gegenüber Covid-19 ist nun eine Impfkampagne im Gang, welche den Amerikanern eine Rückkehr zu einigermassen normalem Leben ab diesem Sommer verspricht. Die verheerenden medizinischen Wunden der Pandemie lassen sich nicht ungeschehen machen; eine bereits beschlossene Reihe von sozialen Massnahmen von geradezu sozialdemokratischem Ausmass – in den USA ein Novum – wird nun aber die wirtschaftlichen Folgen abfedern, vor allem für ärmere Teile der Bevölkerung. Ein noch grösseres Massnahmenpaket ist bereits aufgegleist; im Fokus steht die bröckelnde Infrastruktur (Strassen, öffentlicher Verkehr, Schulen, Innenstädte), welche einer grünen Renovation unterzogen wird; damit verbunden ist die Schaffung dringend benötigter Arbeitsplätze.
Trumps Erbe
Trumps Aussenpolitik bestand aus wenig mehr als vollmundigen Ankündigungen und inhaltsleerem Gepolter zu Hause, gefolgt von persönlichen Begegnungen, wo er durch angeblich gutes persönliches Einvernehmen mit Autokraten – und ein paar Aufträgen für amerikanische Landwirtschaft und Flugzeugindustrie – grundsätzlicher Problematik aus dem Wege ging. So der Tatsache, dass sich Putin endgültig als der revanchelüsterne KGB-Oberst zeigt, der er immer war. Und dass China unter Xi Jinping nun offen den Traum eines global dominierenden „Reichs der Mitte“ zu verwirklichen sucht.
„Killer“ Putin
Biden hat Putin einen „Killer“ genannt, was mit „Mörder“ nur zu einem Teil übersetzt ist. Die wörtliche Bedeutung als physische Liquidierung – in Geheimdienstkreisen mancherorts geläufig – setzt Putin als staatspolitisches Mittel ein, wenn er die ihm und seinem Machtklan gefährlichsten politischen Opponenten ermorden lässt. Oder das zumindest versucht wie im Fall Nawalny. Als „Killer“ wird aber auch eine Person bezeichnet, welche nach einer im Deutschen geläufigen Redewendung „über Leichen geht“, um ihre Ziele zu erreichen. Biden mag da an den direkten russischen Hacker-Angriff auf ihn und seine Familie im Rahmen des amerikanischen Wahlkampfs gedacht haben.
Zu Beginn seiner Regierungszeit hatte sich Putin dank hohem Ölpreis als erfolgreicher Wirtschaftszar profiliert, danach mit Invasionen in Georgien und in der Ukraine nationalistischen Beifall geholt, um in seiner Endzeit, angesichts verheerender Wirtschaftszahlen in Russland seiner kaiserlichen Allmachtsrobe verlustig, zum Ursprung als Frontkämpfer im Kalten Krieg zurückzukehren. Seine Reaktion auf Bidens ehrliche und zweifelsohne „undiplomatische“ Antwort an einen Journalisten ist bezeichnend. Er will einen rhetorischen Kampf „mano a mano“, um Biden persönlich für alle Übel der amerikanischen Gesellschaft verantwortlich zu machen. Internationale Politik als Schaukampf zweier Männer, bei dem es einzig um persönliches Prestige geht. Um sich allenfalls nachher für einen bilateralen „deal“ zwischen zwei Autokraten zusammenzufinden. Bei Trump lag er damit goldrichtig, bei Biden offensichtlich nicht; dieser ist bemüht, von seinem Vorgänger ignorierte Wertvorstellungen wieder zurechtzurücken.
Abwägungen
Schwieriger als mit Russland und seinem Regime gestalten sich die Beziehungen zu China. Hier geht es, zumal mit Blick auf die katastrophale Bilanz in amerikanischer Innen- und Aussenpolitik unter Trump, tatsächlich um die Deutungshoheit in der Welt der Zukunft. Wirtschaftliche Tatsachen, so das Gewicht von China als weltweit grösstem Werkplatz und immer mehr auch als Marktplatz, müssen abgewogen werden gegen den dem Westen eigenen Anspruch zur respektgeprägten Behandlung des Einzelnen durch den Staat. Der Ausschluss von Huawei von staatlichen Aufträgen wegen der Gefahr des Datenabflusses an den chinesischen Staat sowie das Verbot von Tomaten und Baumwollbekleidung aus Xinjiang wegen des staatlichen „Ethnozids“ Beijings an den muslimischen Uiguren lassen sich relativ einfach bewerkstelligen.
Schwieriger werden entsprechende Abwägungen, wenn es um global anzugehende Problematiken wie Klima und Nuklearwaffen geht. Beim ersten Zusammentreffen der neuen amerikanischen Führung mit jener Chinas vor ein paar Tagen in Alaska hat der amerikanische Aussenminister folgerichtig beiden Gesichtspunkten Rechnung getragen: einerseits einer – unter Trump vernachlässigten, unter Biden wesensnotwendigen – Verurteilung chinesischer Aggressivität im Innern (elektronische Überwachung jedes Einzelnen, Minderheiten, Hongkong) und gegen aussen (Taiwan, südchinesisches Meer, Datenklau bei ausländischen Unternehmen); auf der anderen Seite dem Willen zur Zusammenarbeit bei gemeinsamen Bedrohungen. So ist beispielsweise die Asien und eine weitere Welt-bedrohende Nuklearbewaffnung Nordkoreas ohne aktives Mittun von Beijing kaum vorstellbar.
Chinesische Wolfsdiplomatie
Wegen des physischen und ideellen Machtvakuums während vier Jahren Trump fällt Washingtons Versuch zum „Reset“ mit Beijing allerdings in eine Periode, in der sich China auf dem Weg sieht, seine ihm im eigenen Verständnis zufallende Vormachtrolle zu verwirklichen. Bestärkt durch relativ erfolgreiche Pandemiebekämpfung, hält die chinesische Machtelite den geschichtlichen Moment für gekommen, so ein hoher Parteifunktionär kürzlich zu seinem Parteikader, da „der Osten aufsteigt und der Westen niedergeht“.
Entsprechend hat es der chinesische Parteiverantwortliche für Aussenpolitik Yang vorgezogen, Staatssekretär Blinken in Alaska öffentlich die Leviten zur amerikanischen Rassen- und Aussenpolitik aus chinesischer Sicht zu lesen. Dies auf der von Beijing seit einiger Zeit verfolgten Linie der sogenannten „Wolf Warrior Diplomacy“, einem aggressiven Auftreten chinesischer Repräsentanten im Ausland. Die grosse Frage stellt sich, wie vom gegenwärtigen „high noon“ in den bilateralen Beziehungen zwischen China und den USA wegzukommen ist.
Reset nicht nur in Washington
Hier ist die Blickrichtung einmal umzukehren. Anstatt wohlfeilen Rat nach Washington zu schicken, müsste Putin und Xi auch von dritter Seite signalisiert werden, dass sie der Reset unter Biden ebenfalls betrifft. Ob Putin seine tiefsitzenden, antiwestlichen Ressentiments noch überwinden kann, ist fraglich. Russland unter ihm ist ein Problem, das – nach einem Diktum von Altmeister Kissinger – wohl nur verwaltet, nicht gelöst werden kann. Vorzüglich ohne historische – „Russland als europäische Grossmacht“ – und kommerzielle Ausnahmen. Der russische Markt, eingeschlossen seiner Rohstoffreserven, ist insgesamt nicht wichtig genug, um dafür Prinzipien über Bord zu werfen.
Auch Xi Jinping ist ein von seiner Mission zutiefst überzeugter Mann. Ob ihm allerdings seine kommunistische Partei bedingungslos immer weiter folgen wird, steht auf einem anderen Blatt. Was der eigentlich ja kollektiv organisierten Führungsequipe in Beijing zu denken geben müsste, ist der klare Trend zum Verlust chinesischen Ansehens in der Welt und speziell in Asien. Trotz – oder wohl eher wegen – Wolfsdiplomatie und Aussenwirtschaftspolitik via BRI (Belt and Road Initiative, neue chinesische Seidenstrasse), zeigt der global akzeptierte Pew Poll seit einiger Zeit an, dass Beijing immer weniger „soft power“ im Ausland zur Verfügung steht.
Das dürfte in der schweizerischen Öffentlichkeit nicht anders sein; entsprechend ist ja ein Prozess im Gange, die bislang „ausgezeichneten Beziehungen“ zwischen Bern und Beijing einer staatlichen Prüfung zu unterziehen. So schmerzlich das kurzfristig für schweizerische Wirtschaftsinteressen sein mag, gilt auch für uns, dass im Verhältnis zum China unter Xi die Moral für einmal vor dem Fressen kommt.