Dr. honoris causa Wulff hat sich keinen akademischen Grad ertrogen. Der frühere Rechtsanwalt hat die übliche Ochsentour durch die CDU gemacht, Schülerunion, Abgeordneter im niedersächsischen Landtag, Oppositionsführer, Ministerpräsident und ab 2010 deutscher Bundespräsident. Dabei hat er im richtigen Moment Konkurrenten weggebissen, Seilschaften gebildet, in Hinterzimmern gekungelt, sich Stärkeren gebeugt und Schwächere niedergemacht, staatstragende Reden gehalten und Moral sowie Anstand von anderen eingefordert. Also eine idealtypische deutsche Politikerkarriere hingelegt.
Herr Saubermann
Der römisch-katholische Christ, das Mitglied des Missionshaufens ProChrist liess seine Scheidung und Wiederverheiratung rumpelfrei über die Bühne gehen und sich in bunten Blättern sowie einer Zeitung mit grossen Buchstaben abfeiern. Vom akkuraten Scheitel über langweilige Krawatten, schlechtsitzende Anzüge bis zu seiner steifen und humorfreien Haltung verkörpert er den typischen Saubermann, wie ihn die Deutschen lieben.
Aus einer problematischen Jugend als Scheidungskind mit kranker Mutter hat er sich aus der Enge der Provinz herausgearbeitet, ohne sie je zu verlassen. Als Bundespräsident hält er inhaltslose Reden, wie man es von seiner Position erwartet: «Ich ermutige alle in meiner Heimat, sich verantwortungsvoll einzubringen.»
Was macht er denn falsch?
Dass Politiker politischen und wirtschaftlichen Einfluss haben, der umgekehrt proportional zu ihrem Einkommen steht, ist eine Binsenwahrheit. Dass Politiker spätestens nach Ende ihrer Laufbahn an die grossen Fleischtöpfe wollen ebenfalls, da bieten allein Gerhard Schröder oder Joschka Fischer bereits genügend Anschauungsunterricht. Und was kann man Wulff denn genau vorwerfen?
Dass Politiker als Mächtige ohne Geld von Mächtigen mit Geld umgeben sind? Dass er mit seiner jüngeren und attraktiven Frau lieber in einer schönen Villa mit Personal für lau entspannt, statt im All-inclusive-Ressort am Buffet anzustehen? Dass er einen Kredit gut verhandelt hat? Dass er lieber Business statt Holzklasse fliegt? Dass er wie jeder Neckermann-Tourist gerne Luxusleistungen für Discountpreise hat? Dass er lieber schleimige Jubelstorys, statt kritische Artikel über sich lesen möchte? Genau wie viele andere Präsidenten auch, vom kleinen Sarkozy aufwärts. Was für ein Mumpitz.
Die Idealbesetzung
Ein Traumpaar mit bescheidenem finanziellen Hintergrund. Ein im besten Sinne farbloser Präsident, der farblose Reden hält. Der eigentlich vergessen macht, dass das Amt des Bundespräsidenten nur für einen Clown geeignet ist, der höchstens Hofnarr spielen darf. Damit erfüllt er doch sämtliche Ansprüche der Stellenbeschreibung. Lehnt sich nicht zum Fenster hinaus wie seine Vorgänger Heinemann, Herzog oder Köhler. Hat dank der Gnade der späten Geburt keine Nazi-Vergangenheit wie Carstens oder Lübke. Bekleckert sich die Krawatte beim Staatsgaladiner nicht. Absolviert brav alle Besuche bei Vereinen, karitativen Organisationen, überreicht formvollendet Orden und Auszeichnungen.
Alles Tätigkeiten, bei denen sich ein normaler Mensch vor Langweile in Alkoholismus oder Schlimmeres flüchten würde. Man sollte ihn eigentlich zum Präsidenten auf Lebzeiten wählen, denn einen Besseren findet man nimmer.
Verdienst und verdienen
Wulff trägt die Bürde seines Amtes für 199 000 Euro im Jahr, brutto. Dazu kommen noch 78 000 Euro Aufwandsentschädigung, von denen allerdings das Personal für die Amtswohnung zu zahlen ist. Die immerhin ist mietfrei. Was soll man denn für dieses Trinkgeld an übermenschlicher Leistung erwarten?
Für diesen Kleckerbetrag arbeitet der Boss eines grösseren Finanzunternehmens gerade mal eine Woche lang, aber eher ungern, wenn er nicht noch einen Bonus in gleicher Höhe kriegt. Plus Learjet, eigentlich unbegrenztes Spesenkonto und sogenannte Fringe Benefits bis zum Abwinken. Da wollen wir doch mal die Kirche im Dorf lassen und die Niedriglohnklasse Bundespräsident nicht mit Ansprüchen überfordern.
Würde und Anstand
Aber stattdessen, auch typisch deutsch, soll er «moralische Leitfigur» sein, das verlange «die Würde des Amtes». Fordert das aufschäumende Feuilleton, fordern vor Entrüstung zitternde Leitartikler und – andere Politiker. Um Himmels willen, welcher Abgrund von Heuchelei. Wissen wir nicht alle, was Politiker in ihrer grossen Mehrzahl sind? Nein? Nun, wer hätte sinnvolle Widerworte gegen folgende Definition, die natürlich aus juristischen Gründen auf alle hier namentlich erwähnten ausdrücklich nicht zutrifft: Politiker sind fast nie Leitfigur, von Moral wollen wir gar nicht reden.
Berufspolitiker sind in grosser Mehrzahl Vagabunden, Dummredner und Schönfärber, Sesselkleber, Warmluftproduzierer und gescheiterte Existenzen, Intriganten und Nieten. Und immer wieder Diebe. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber wollen wir uns hier wirklich mit einer ellenlangen Liste von Beispielen langweilen, selbst wenn wir uns auf den europäischen Raum beschränken würden?