Die künstlerische Autorität Ferdinand Gehrs (1896-1996) schliesst - obgleich es immer wieder geschieht - die Zuordnung zu den Kirchenmalern aus. Auch die freundlichere Benennung als Erneuerer der Kirchenmalerei lenkt auf schwankenden Grund - wie überhaupt alles, was auch bloss entfernt an Heiligenbildchen denken lassen könnte. Nein: Ferdinand Gehr war ein grosser Maler des 20. Jahrhunderts. Die Retrospektive in Altstätten liefert einen Beweis.
Bewundert und bekämpft
Gehr, 1896 im sanktgallischen Niederglatt geboren, war Stickereizeichner, bildete sich an der Gewerbeschule St. Gallen weiter, verbrachte Studienaufenthalte in Florenz, Assisi und Paris, liess sich u. a. beeinflussen von Giotto, Matisse, Cézanne, Nolde und Arp und arbeitete ab 1924 im eigenen Atelier als im In- und Ausland begehrter Maler, Glasmaler und Aquarellist.
Wer ein Bild wollte, hatte sich in Geduld zu üben. Seine für sakrale Räume gestalteten Werke begeisterten moderne Architekten und empörten konservative Kreise. Während Jahren bewahrten Vorhänge vor dem vermeintlich glaubenserschütternden Anblick seiner Fresken in der Bruderklausen-Kirche in Oberwil am Zugersee.
Hoch geschätzt und zugleich heftig umstritten, musste Gehr bis zum 60. Geburtstag auf eine bedeutende Ausstellung warten, jene im Kunstmuseum St. Gallen, bis ins Alter von 74 Jahren auf eine versöhnliche katholische Geste, jene des Ehrendoktors durch die Theologische Fakultät der Universität Freiburg, und bis ins 98. Lebensjahr auf die kunstgeschichtliche Nobilitierung, jene durch eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Aber weiterhin sind Kunstwissenschaft und Theologie gefordert, Gehr forschend umfassend zu würdigen.
Starke aktuelle Präsenz
Jetzt verhilft ihm die Retrospektive in Altstätten, wo Gehr von 1938 bis zu seinem Tod lebte und arbeitete, zu einer starken aktuellen Präsenz. Die örtliche Museumsgesellschaft organisierte sie mit Kurator Werner Kuster und mit Franziska Gehr, einer Tochter des Künstlers, als Beraterin.
Die vierzig Werke, thematisch geordnet nach "Frühwerk", "Religion und Mensch", "Blumen", "Landschaften" und "Holzschnitte", sind eine repräsentative Auswahl. Die Stille in Farbe packt.
Gehr verwendet nur die Grundfarben. Er gestaltet die Flächen und Kreise auf einer einzigen Bildebene. Menschen sehen wir frontal. Seine Botschaften vermittelt er in einer kargen Zeichensprache. Die Ausstellung charakterisiert Gehrs Werk als "einfach, still und heiter". Das trifft genau. Aus der Einfachheit und Stille strahlt eine wunderbare Heiterkeit. Sie berührt. Der Betrachter meditiert lächelnd. Er spürt ein Glück.
Weltsprache
Für die Charakterisierung verwendet der Ausstellungstitel noch eine vierte Eigenschaft, die das Werk "göttlich" nennt. Das ist mehrdeutig. Ohne Zögern gilt die Zustimmung der Tatsache, dass sich die Kunst Gehrs durch Unverwechselbarkeit auszeichnet, durch Vollendung und Herrlichkeit. "Göttlich" ist auch insofern richtig, als Gehr nach eigenem Bekunden tief religiös war, in der Bibel seine Inspirationsquelle fand und mit seinem Gott Zwiesprache hielt.
Der Schluss jedoch, der christliche Künstler habe eine auf das Christliche festzulegende Kunst geschaffen, wäre eine Verengung. Das Werk greift weiter. Es setzt sich auseinander mit den wesentlichen Fragen, die ums Diesseits und Jenseits kreisen und an keine Religion gebunden sind. Gehr reduziert seine Antworten künstlerisch erzählend auf einfachste und klarste Formen. Er spricht eine Weltsprache. Das ist tout court grosse Kunst.
"Ferdinand Gehr 1896-1996", Kulturraum Jung Rhy, Alte Landstrasse 6a, Altstätten, bis 19. Oktober 2014, jeweils freitags, samstags und sonntags, www.museum-altstaetten.ch