Das Weströmische Reich war eben untergegangen, als im südlichsten Zipfel Italiens ein Sprössling zu spriessen begann. Aus dem Bäumchen wurde der wohl berühmteste Olivenbaum der Welt. 1’500 Jahre alt wurde er. Jetzt ist er tot.
Der Baum, der nur noch ein Skelett ist, steht in Alliste, einem Dorf in der südlichen italienischen Region Apulien. Während Jahrzehnten waren Schulklassen und Touristen hierher gepilgert, um den „Gigante buono“, den „guten Riesen“ zu bewundern.
„Der Riese von Alliste“
Jetzt kommen keine Schulklassen mehr, dafür kamen vor einigen Tagen Spezialisten der EU. Sie inspizierten das, was von dem Baum übriggeblieben ist. Ihr Auftritt in Apulien glich fast schon einem Requiem für den Gigante buono. Doch er ist nicht der einzige, der eine Totenmesse verdient.
Der Tod des „Riesen von Alliste“ steht symbolisch für das süditalienische Olivenbaumsterben, das immer mehr riesige Ausmasse annimmt. Allein im Salento, dem südlichen Apulien, sind zehn Millionen Bäume tot oder nicht mehr zu retten.
Schuld an der Katastrophe ist das Xylella-Bakterium, das von Zikaden übertragen wird. Die Insekten springen wie Heuschrecken von Baum zu Baum und übertragen das Gift. Die Blätter trocknen dann aus und fallen ab.
Agronomen sind machtlos. Ein Gegenmittel gibt es nicht. Jeder Versuch, den Guten Riesen zu retten, schlug fehl. Nationale und internationale Spezialisten waren aufgeboten worden. Siebenmal wurde der Baum behandelt, mit Kupfer, Zink und Chemikalien. Doch die Agonie des Monuments war nicht aufzuhalten.
Einmal kam kurz Hoffnung auf. Auf einen Ast wurden Sprösslinge aufgepropft. Doch bald schon starben auch sie ab.
Touristen aus dem Norden mögen das Gezirpe der Zikaden als „Gesang“ und Symbol des sonnigen Südens empfinden. Für die Olivenbauern ist das Gesurre oft Bote des Todes ihrer Bäume.
Apulien ist seit zweitausend Jahren das Land der Oliven; die Bäume prägten eine der schönsten Landschaften Italiens. Jetzt stehen dort abgesägte Baumskelette. Die kleinen Tierchen haben die Landschaft völlig verändert. Traurige Gerippe prägen nun das einst lieblich blühende grüne Land.
770’000 Hektaren sind befallen. Betroffen ist vor allem das Salento, die Gegend um Lecce, Gallipoli, Santa Maria Leuca und Brindisi. Doch die Krankheit dehnt sich mehr und mehr aus. Pro Monat soll sie zwei Kilometer nach Norden wandern. Bald schon steht sie vor den Toren von Bari. Doch nicht nur Apulien ist betroffen. Xylella-Bakterien werden auch in Sizilien und Kalabrien festgestellt.
Schuld sind in erster Linie die zirpenden Zikaden. Doch nicht nur. Der Politik wird vorgeworfen, die schleichende Katastrophe nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Auch die Olivenbauern werden kritisiert. Sie hätten zu spät reagiert und die Bäume nicht gepflegt, wie man sie hätte pflegen sollen.
„Macht schnell, fällt die Bäume!“
Das einzige Mittel, um der Epidemie Herr zu werden, besteht darin, die befallenen Bäume und ihre Nachbarn zu fällen. Nur so könne verhindert werden, dass die Zikaden weiter von Baum zu Baum springen.
„Macht schnell, ergreift Massnahmen, fällt die Bäume“, forderten jetzt die EU-Spezialisten erneut. Doch genau das geschieht nicht. Die meisten Baumleichen stehen noch immer dort, Skelette ohne Blätter. Die Bürokratie verhindert es, die Bäume zu fällen und neue zu pflanzen. Um sie ersetzen zu dürfen, brauchen die Olivenbauern Erlaubnis und Zertifikate der lokalen Landwirtschaftsämter. Doch diese lassen sich aus bürokratischen Gründen sehr viel Zeit. Zwar sind inzwischen einige Tausend Bäume gefällt worden, doch längst nicht genug. Bald soll auch ein Regierungsdekret verabschiedet werden, das ein schnelles Fällen der Bäume zulässt.
Einige Umweltschützer (längst nicht alle) behaupten, eine Rodung der riesigen apulischen Olivenhaine sei ein Frevel. Auch viele Olivenbauern wehren sich gegen das Abbrennen ihrer Haine. Die Zeitung „La Repubblica“ zitiert den 5-Sterne-Politiker Lello Ciampolillo. Die Bäume würden ohne Grund gefällt, sagt er. Xylella habe es immer gegeben. „Man kann die Bäume heilen, es ist nicht nötig, sie zu fällen.“ Dem widersprechen Agronomen und Wissenschaftler energisch.
Das nordafrikanische Öl ist doch auch gut
Das Olivensterben ist für Süditalien auch ein wirtschaftliches Desaster. Ein grosser Teil der Menschen dort lebt vom Olivenöl. Die Olivenölproduktion ist in ganz Italien nach neuesten Angaben des Landwirtschaftsinstituts ISMEA im letzten Jahr (im Vergleich zum Vorjahr) um 38 Prozent gesunken. Nur noch 265’000 Tonnen werden jetzt in Italien produziert. In Apulien sank die Produktion gar um 58 Prozent, in Kalabrien um 34 Prozent und in Sizilien um 25 Prozent. Auch in anderen Regionen wird weniger geerntet. Ursache ist nicht nur das Xylella-Bakterium, sondern auch der Frost und Pilzkrankheiten wie die Olivenpest.
Der Ausfall eines grossen Teils der Ernte führt zu wesentlichen Preissteigerungen. Ein Liter Olivenöl kostet heute beim italienischen Olivenbauern fast doppelt so viel wie vor fünf Jahren. Und jeder Italiener weiss: Nicht überall, wo „extra vergine“ draufsteht, ist Extra Vergine drin.
Kompensiert werden die italienischen Ausfälle vor allem mit nordafrikanischem Olivenöl, das dann – so wird kolportiert – als italienisches Extra-Vergine-Öl verkauft wird. Vor allem Marokko bietet sich als Lieferant an. Und schon sagen italienische Verkäufer: „Was ist denn daran so schlecht? Das nordafrikanische Olivenöl ist doch auch gut.“