Die alte Stadt besteht wesentlich aus einer einzigen Strasse, der „Königlichen Meile“. Sie verbindet die grimmige Burg am oberen Ende mit der Abtei und dem Palast von Holyroodhouse am unteren Ende eines Felskamms. Die Burg taucht au dem Dämmer der schottischen Frühgeschichte auf, den Bau des Palastes begann der Grossvater Maria Stuarts, Jakob IV., um 1500. In der Zeit englischer Invasionen oder bei Bruderzwisten zwischen König und der Nobilität in den Highlands befahl in Burg und Palast nicht notwendigerweise die gleiche Partei. Baugrund innerhalb der Stadtmauern war knapp. Die Hauptstrasse säumten vor allem Mietshäuser, sechs– bis zehngeschossig, damals so gut wie Wolkenkratzer, die Dächer gespickt mit Schornsteinen. Deren Russ und der Rauch der Kochstellen schwärzten die Mauern der Altstadt und verhalfen ihr unter den Edinburghern zu dem Kosenamen „Auld Reekie“. „Reeky“ mahnte in erster Linie die Verrussung und Verrauchung an, Kloakengeruch war allerdings immer mitgemeint. In diesem Stadtorganismus war die Königliche Meile das Rückgrat für Handel und Wandel; gleichzeitig fungierte sie freilich auch als sein Darm. Sie nahm Kot und Kehricht auf.
Die Realunion von l707 machte aus Schottland und England das Vereinigte Königreich Grossbritannien. Von nun an konnte das übervölkerte Edinburgh ungefährdet über die schützenden Stadtmauern hinauswachsen. Der Einstuz eines Mietshauses in der alten Stadt wirkte als Signal, der Plan einer neuen Stadt nördlich der alten nahm Gestalt an. Der Architekt James Craig, unbekannt und gerade mal 22 Jahre alt, gewann 1767 die Ausschreibung und machte sich unverzüglich ans Werk. Auf das Chaos der alten Stadt antwortete er im ersten Quartier der Neustadt mit einem strengen Schachbrettplan. Der Bau der New Town zog sich über ein volles Jahrhundert hin. Der westliche Teil um die Episkopalkirche St. Mary’s Cathedral – unser Bild – wurde erst in den 1880er Jahren
fertig gebaut. Während dieser ganzen Zeit rührten die Architekten nicht an der pedantisch-eleganten Geometrie der klassizistischen Hausfassaden; die zusammengebauten Häuser kopieren fast zwanghaft das georgianische Muster. Dagegen traten die Urbanisten allmählich etwas lockerer auf. Sie nahmen Rücksicht auf das Gelände; die Häuserreihen bilden nicht mehr nur Quadrate und andere Vierecke, sondern auch Ellipsen, Halbmonde und Kreise. Man denkt natürlich an englische Städte, etwa an Bath; solche „crescents“ und „circuses“ im Stadtbild gehörten damals zum gängigen urbanistischen Vokabular. So löste ein stadtplanerischer Akt von hoher organisatorischer Disziplin das organische Wuchern der alten Stadt ab. In der Geschichte der europäischen Stadt belegt Edinburghs New Town ein Sonderkapitel. Die Auszeichnung als Welterbe im Jahr 1995 galt Edinburgh wohl vorwiegend als einem Beispiel georgianischer Stadtplanung, unübertroffen in Ausdehnung und Erhaltung. Die New Town war übrigens schon zu ihrer Zeit ein voller Erfolg. Magnetisch zogen die neuen Wohnquartiere die betuchten Edinburgher an. Es ist zu vermuten, dass diese nicht nur vor einstürzenden Häusern, Rauch und Russ Reissaus nahmen, sie hatten doch wohl schon lange die Nase voll, buchstäblich. Nach dem Auszug der bemittelten Bevölkerung vergammelte die Altstadt zeitweilig.
Nur nebenbei: auf sieben Hügeln erbaut, hätte Edinburgh den Vergleich mit Rom suchen können. Es wollte aber partout das Athen des Nordens sein. Ein Ehrenmal für die in den napoleonischen Kriegen gefallenen schottischen Soldaten und Matrosen sollte die Gestalt des Parthenons erhalten. Der ehrgeizige Bau begann 1822 auf dem Calton Hügel, aber die Finanzierung kam ins Stottern, der schottische Parthenon brachte es kläglich auf gerade zwölf Säulen. Das Fragment, jetzt als schottisches Nationaldenkmal im touristischen Angebot, erinnert zumindest an den Tod überbordender Griechenland-Begeisterung – und an die wirtschaftliche Realität des knappen Geldes, die ja den sprichwörtlich sparsamen Schotten ein Denkmal wert sein muss. – Aufnahmejahr des Flugbilds: 1999. (Copyright Georg Gerster/Keystone)