Das Ende der diesjährigen Parlamentswahlen sollte zum Anlass genommen werden, dem unheilvollen helvetischen Politdrama, gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspartei zu spielen, ein Ende zu setzen.
In vielen Nachwahlgesprächen und Kommentaren, so jetzt nach den eidgenössischen Parlamentswahlen, wird betont, wie sehr nach dem Wahlkampf nun die Zeit zum Dialog über alle politischen Gräben hinweg gekommen sei. Das mag sinnvoll sein, aber nicht mit Blochers SVP. Diese zerstört systematisch die politische Kultur im Lande.
For the record
Der schweizerische Erfolgsautor Martin Suter sagt zur zeitgenössischen Schweiz in einem eben erfolgten Interview in der NZZ, anlässlich seines letzten Grosserfolges «Melody»: «Dem Land haben Christoph Blocher und seine Bande enorm geschadet.» Nicht nur ein Schriftsteller heute, auch führende Politiker der Schweiz hieben schon vor Jahren in dieselbe Kerbe. FDP-Präsident Franz Steinegger sagte 1999 öffentlich: «Blochers Stil erinnert zunehmend an die Nazi-Sprache. Er macht unser demokratisches Politsystem lächerlich.» Der Zuger FDP-Ständerat Andreas Iten schrieb in seinem «Widerspruch auf Blochers Albisgüetlirede» von 1999 von Blochers «bis zur Lüge gehenden Verkürzung und Verspottung von Ereignissen». Die beiden freisinnigen Koryphäen sahen schon am Ende des 20. Jahrhunderts klar voraus, was Iten so formulierte: «Der hegemoniale Diskurs Blochers wurde allmählich Bestandteil der demokratischen Auseinandersetzung.»
Martin Suter: «Dem Land haben Christoph Blocher und seine Bande enorm geschadet.»
Ein Beispiel dafür dürfte einer der Nachfolger von Steinegger, der aktuelle Präsident der FDP, Ständerat Thierry Burkart sein, der in der Elefantenrunde am Wahlsonntag im Oktober dem SVP-Präsidenten Chiesa «mit Demut die Hand zur Zusammenarbeit» in der kommenden Legislatur reichte.
Volkspartei SVP?
Nun haben ja fast 30% SVP-Vertreterinnen und Vertreter gewählt. Die SVP ist tatsächlich eine Volkspartei, so zum Beispiel traditionell im Kanton Bern. Dort und auch in anderen ländlichen Gebieten wählt man die Partei aus Anhänglichkeit an ihre bäuerliche Vergangenheit. Aber auch die aus diesem Milieu stammenden Exponenten – so etwa die Bundesräte Maurer und Rösti – mussten sich zunächst ihre scharfmacherischen Sporen als Parteipräsidenten abverdienen, bevor sie mit dem Segen aus Herrliberg in die Regierung der Schweiz aufgestiegen sind.
Der Aufstieg der SVP von einer 10-Prozent-Partei zum nach Wähleranteilen unangefochtenen Spitzenplatz in der schweizerischen Politik ist erstens dem zitierten hegemonialen Kurs zuzuschreiben, der gespickt ist mit Verspottungen der regierenden Classe politique und grotesken Verdrehungen – «die EU als neue Habsburger» – und zweitens dem Geld der von Suter beschriebenen «Blocherbande».
SVP-Europapolitik gestern
Ein sich noch heute verhängnisvoll auswirkendes Beispiel dafür ist bereits 30 Jahre alt: Die EWR-Abstimmung vom Dezember 1992. Die Hauptfrage war damals, ob ein Ja zum EWR einen späteren Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft EG einleiten würde. Innenpolitisch war zu diesem Zeitpunkt die Perspektive eines Beitritts zur EG – zusammen mit Österreich, Finnland und Schweden – bis weit in die politische Mitte des politischen Spektrums der Schweiz voll akzeptiert. Die nationale FDP hatte den Beitritt unlängst in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Dann erfolgte allerdings der Beschluss des Bundesrates, der Abstimmung über den EWR keine offizielle Kampagne vorauszuschicken.
Die EG-Gegner, verkörpert von Blocher und seinen unerschöpflichen Finanzen, liessen sich nicht zweimal bitten und verkleisterten die Schweiz bereits während den Sommerferien ‘92 mit provokativen Annoncen eines angeblichen «Drachen aus Brüssel», welcher die Schweiz verschlingen wolle.
Damalige Hochrechnungen zeigten, dass die Zustimmung die Ablehnung übertroffen hätte, wäre die Abstimmung wenige Wochen später, nach dem verspäteten Einsatz der vernünftigen Schweiz, erfolgt.
SVP-Politik heute
Beflügelt durch diesen Erfolg hat sich die ideologische Europafeindlichkeit der SVP seither noch verhärtet. FDP-Vorstandsmitglied Kurt Fluri, eben aus dem Nationalrat zurückgetreten, bestätigt dies mit dem Verdikt, die Volkspartei lehne alles kategorisch ab, was mit Europa oder dem Ausland zu tun habe, und qualifiziert: «Das ist sehr wirtschaftsfeindlich.»
Der vor 30 Jahren diagnostizierte hegemoniale SVP-Diskurs hat seither auch zahlreiche Strukturen der Zivilgesellschaft vergiftet. Ein Beleg dafür ist etwa die Aussage des abtretende Zürcher FDP-Ständerates Ruedi Noser im Rahmen der zweiten Runde des Ständerats-Duell im Kanton Zürich, welcher vor dem Hintergrund der Finanzierung von SVP-Nationalrat Rutz – einem europhoben Hardliner – durch den, traditionell ur-freisinnigen Hauseigentümerverband meinte: «Der HEV wurde von der SVP übernommen. Wer dem Verband Geld schickt, kann genauso gut der SVP Geld schicken.»
Diese Art von Unterwanderung von rechts, verbunden mit Fundamentalopposition gegen jede vernünftige Aussenpolitik, ist im politischen Gespräch nicht beizukommen. Im Gegenteil, sie muss angeprangert und bekämpft werden.
Andere Fundamentalopposition
Leider ist die schweizerische Europadiskussion heute in hohem Masse von extremen Positionsbezügen auch von anderer als der rechten Seite geprägt.
Dem schweizerischen Gewerkschaftsbund muss bekannt sein, dass die schweizerische Wirtschaft ohne offenen Zugang zu Europa und der Welt verloren ist, was auch die Arbeitnehmer betrifft. Umso unverständlicher und bedauerlicher, dass unter der Stabführung von Yves Maillard – man würde von einem Ständerat mehr staatsmännisches Format erwarten – bereits Fundamentalopposition betrieben wird zum zweiten Anlauf für ein umfassendes Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Und dies im Vergleich zum «enjeu» des Imperativs eines umfassenden Abkommens mit der EU wegen der Lappalie von Spesen-Vergütungen an ausländische Arbeitnehmer.
Ein ehemaliger Staatssekretär aus dem EDA sollte es eigentlich besser wissen. Professor Michael Ambühl propagiert seit Jahren mit mathematischer Spitzfindigkeit eine vermeintliche Lösung, wie sich die Schweiz, als Teilnehmerin im europäischen Binnenmarkt, der höchstinstanzlichen Rechtsprechung in diesem Markt durch den Europäischen Gerichtshof entziehen könne. Dies ist von Seiten aller Instanzen in der EU, so auch unserer wichtigsten Partnerländer, ausdrücklich ausgeschlossen worden.
Auch diesen Erbsenzählereien von linker und Expertenseite ist dezidiert entgegenzutreten. Solch falsche Propheten müssen sich die Gretchenfrage gefallen lassen, ob sie sich wirklich als Schildträger der xenophoben Rechten missbrauchen lassen wollen.
Aufstand der Vernünftigen?
Kaum zufälligerweise werden in diesem Artikel primär alte FDP-Koryphäen mit Warnungen vor Blocher zitiert. Sie haben es hautnah miterlebt, wie die SVP ihre Partei zum demütigen Bittsteller degradiert hat. Die aktuelle FDP wird gut daran tun, auf die Steinegger und Fluri zu hören und sich zu entscheiden, ob sie ihrer Berufung als wirtschaftsnahe Partei gerecht werden will. Jener Wirtschaft, welche sich unter Führung von Economiesuisse klar für eine möglichst rasche Einigung mit Brüssel ausgesprochen hat. Dies im Verbund mit allen anderen Parteien von der Mitte bis links. Dazu gehören die Vernünftigen in der klassischen Europapartei SP, welche sich nicht länger von syndikalen Schnellschüssen torpedieren lassen wollen in ihrer Unterstützung ohne Wenn und Aber einer Annäherung an die EU.
Konkret bedeutet dies vollen Support und wuchtige Mehrheiten im Parlament für die laufenden Verhandlungen der Schweiz mit der EU ebenso wie entschlossene Zustimmung zur Vorlage des Bundesrates in der voraussehbaren Volksabstimmung. Ebenso bedeutet dies diskussionslose Ablehnung der sogenannten Neutralitätsinitiative von Blocher, welche mit ihrem radikalen Sanktionsverbot in einem Krisenfall, wie gegenwärtig dem Ukrainekrieg, jede Zusammenarbeit mit der EU unmöglich machen würde. Denn Blochers Anliegen mit seiner Initiative hat nichts mit Neutralität zu tun, sondern soll sein Jahrzehnte altes Erbe zementieren als Spielverderber in den Beziehungen der Schweiz mit Europa und letztlich auch der westlichen Welt.