Die Schweizer Finanzinstitute müssen ein sie existenziell bedrohendes Problem lösen, das in ihrer Vergangenheit liegt. In erster Linie die USA, aber auch die meisten europäischen Staaten, von Asien, Indien und der gesamten Dritten Welt ganz zu schweigen, wollen rückwirkend einen Ablasshandel für die Beherbergung von unversteuerten Vermögen.
Logischer Unsinn
Lassen wir moralische oder ethische Moralkeulen mal beiseite und halten eine einfache Tatsache fest: Vergangene Taten oder Untaten müssen, wenn es die Machtverhältnisse gebieten, mit die Vergangenheit betreffenden Massnahmen gebüsst werden. Das ist eine an Trivialität kaum zu überbietende Feststellung. Allerdings nur ausserhalb von Banker- und Bundesratskreisen.
Stellen wir uns vor, dass ein ertappter Übeltäter sagt: "Okay, ich verspreche, dass ich es nie wieder tun werde, das hilft doch bei der Erledigung des Falls ungemein." Das wäre lachhaft. Aber genau das ist der Kern der vom Bundesrat verkündeten Weissgeldstrategie. Wobei es natürlich noch viel schlimmer ist. Denn wenn der ertappte Gauner nun gefragt würde, welche Garantien er dafür anbieten kann, dass er nicht zum Wiederholungstäter wird, wäre seine Antwort, nach bundesrätlicher Logik: "Ich lasse meine Kunden einen Zettel unterschreiben, dass sie mich nicht mehr dazu verleiten werden, neue Untaten zu begehen." - Ein solches Szenario eignet sich vielleicht dafür, bei einem Bühnenschwank ein paar Lacher aus dem Publikum zu kitzeln. Aber kann das im Ernst Regierungspolitik sein?
Die Zwickmühle
Was würde denn diese als Weisheit letzter Schluss vorgestellte Weissgeldstrategie genau beinhalten? Ein Bankkunde versichert seinem Schweizer Banker mit treuem Augenaufschlag und einer Unterschrift, dass das Geld, das er gerne in den Tresor stecken möchte oder bereits deponiert hat, ordnungsgemäss versteuert sei.
Nun steckt der gesetzesgetreue Banker in der Zwickmühle. Nimmt er das so hin, kann er anschliessend in Teufels Küche kommen. Denn im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht hätte er vielleicht doch fragen sollen, wieso der Kunde sein angeblich versteuertes Geld denn von einer Holding auf den Bahamas überweist, die ihrerseits auf einen Trust auf den Jungferninseln zurückgreift, der eine Zahlung via Treuhänderkonto auf Guernsey Island auslöst. Worauf der Kunde aber aufstehen und sich eine andere Bank suchen würde.
Praktischer Unsinn
Restlos verloren wäre der Banker, wenn er von seinem Neu- oder Altkunden eine Steuerbestätigung verlangen würde. Damit käme er auch in Teufels Küche. Ganz abgesehen davon, dass man in den meisten der rund 200 Staaten dieser Welt für wenig Geld und noch weniger gute Worte jedes beliebige Papier mit jeder gewünschten Aussage und beeindruckenden Amtsstempeln erlangen kann, müsste der Banker nun diese Angaben entweder überprüfen – oder er könnte sich diesen Unsinn gleich sparen.
Ganz abgesehen davon, dass auch genügend der rund 3000 Unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz, gegen entsprechende Gebühr, gerne bereit sind, treuhänderisch im Namen des eigentlichen Kunden eine solche Unterschrift zu leisten. Wobei der Banker wieder in der gleichen Zwickmühle wäre. Fragt er tapfer nach, kann das zum Verlust eines Kunden führen. Fragt er nicht nach, kann das mit unangenehmen Anklagen wegen Beihilfe zu Steuerbetrug enden.
Untauglich in jeder Richtung
Die vorgeschlagene Weissgeldstrategie in ihrer heutigen Form ist also absolut untauglich, künftige Probleme mit unversteuerten Einlagen zu verhindern. Sie ist etwa so unsinnig, wie wenn man statt eines Auszugs aus dem Strafregister es bei einer Selbstdeklaration bewenden lassen würde, dass eine Person über eine blütenweisse Weste verfügt. Sie ist etwa so unsinnig, wie wenn die Bestätigung, «ich habe keine finanziellen Probleme», einen Betreibungsauszug ersetzen würde. Sie ist völlig unsinnig, weil ihre Anwendung im Zweifelsfall sogar als ein weiteres Indiz dafür gewertet werden könnte, dass der Schweizer Banker doch absichtlich, bewusst und sehenden Auges Beihilfe zu Steuerhinterziehung geleistet habe. Als ob das nicht des Unsinns genug wäre: Diese Strategie hilft null und nichts bei der Bewältigung in der Vergangenheit wurzelnder Probleme. Dafür bräuchte es nämlich eine Schwarzgeldstrategie.
Der Bundesrat hat also eine Strategie, die ungefähr so viel Sinn wie die Ansage eines Rauchers macht, der nach der Diagnose Lungenkrebs bekannt gibt: "Da ich per sofort nicht mehr rauche, bin ich doch geheilt." Wenn das Thema nicht zu ernst wäre, könnte man sich wirklich fragen, ob die bundesrätliche Strategie für die Rettung des Finanzplatzes Schweiz darin besteht, dass sich der Gegner hoffentlich über möglichst absurde Ankündigungen totlacht.
Teure Inkompetenz
Wirklich todernst wird es aber bei der Frage, wie denn die finanziellen Forderungen der USA (10 Milliarden), der europäischen Staaten (alleine für Deutschland vorläufig 4 Milliarden Vorauskasse auf die Abgeltungssteuer), dann von Indien (noch keine Zahl bekannt gegeben) und von weiteren asiatischen Staaten abgehandelt werden sollen. Brasilien, Nigeria und andere Länder sind sicherlich schon am Rechnen, welche Forderungen sie denn erheben können. Eines ist dabei klar: Je inkompetenter die schweizerische Regierungspolitik daherkommt, desto teurer wird’s.
Stellen wir uns die Auswirkungen der markigen Ankündigungen diverser Schweizer Banken, künftig nur noch versteuerte Gelder zu verwalten, konkret vor. Bank A durchforstet ihr gesamtes Kundenportefeuille. Nach welchen Kriterien? Werden auch Holdings, Trusts, Stiftungen, Wrapper, Firmenkonten, ausländische AGs, Treuhänderkonten oder andere Konstruktionen, um den Beneficial Owner, den eigentlichen Nutzniesser, zu verschleiern, untersucht?
Wie auch immer, Bank A schmeisst Kunde Frank Steuerfrei raus. Der geht zur Bank B, C oder D, um zu schauen, ob er ein mutigeres Finanzinstitut findet. Oder wendet sich vertrauensvoll an einen Treuhänder, Anwalt oder Unabhängigen Vermögensverwalter, um sein Schwarzgeld diesmal bombensicher mit einer Tarnkonstruktion anzulegen. Oder wollen wir wirklich annehmen, dass Multimilliarden an unversteuertem Vermögen die Schweiz verlassen werden? Das wäre dann wohl die grösste Kapitalflucht aller Zeiten.
Wer zahlt?
In der Öffentlichkeit herrscht die verständliche Meinung vor, dass die Banker doch die Suppe selber auslöffeln sollen, die sie sich eingebrockt haben. Bei den hier im Feuer stehenden Bussgeldern sind aber ihre Löffel nicht gross genug, wenn es wirklich schlimm wird. Und was passiert dann? Nun, da die Schweizer Regierung es auch versäumt hat, aus der Notrettung der UBS die nötigen Konsequenzen zu ziehen, wird das auf eine staatliche Unterstützung sogenannter systemrelevanter Banken hinauslaufen, während kleinere Institute ohne Hilfe über den Jordan gehen.
Entscheidungen und Lösungen für den Steuerstreit mit den USA sind übrigens erst für den Herbst angekündigt. Ausser natürlich, die USA erhöhen die Schlagzahl und klagen die nächste Bank an. Entweder die staatlich relevante Basler oder Zürcher Kantonalbank. Oder zur Abwechslung mal eine Genfer Privatbank. Wenn sich die Amis nicht vorher totgelacht haben. Das wäre aber wohl eine zu kühne Hoffnung.