Rechtspopulisten säen im Internet Misstrauen, stiften zu Hass an, verbreiten Lügengeschichten, hetzen ihre Anhänger auf und untergraben das Vertrauen in die demokratischen Institutionen.
Mit wenigen Mitteln gelingt es heute Extremisten, Einfluss zu nehmen, ihre Anhänger zu mobilisieren und zu radikalisieren, sie zu Aktionen aufzuhetzen, sogar zu Gewaltanwendung.
„Einige wenige können sehr einfach sehr viele terrorisieren“, schreibt die österreichische Autorin Julia Ebner in ihrem Buch „Radikalisierungsmaschinen“ *).
Die demokratischen Institutionen aushöhlen
Das Internet mache es möglich. Jene, die die andern der Fake News bezichtigen, würden bewusst Falschinformationen und Verschwörungstheorien verbreiten, Politiker, Journalisten und Wirtschaftsleute diskreditieren, ihre Accounts hacken. Sie würden versuchen, Wahlen zu beeinflussen und ein schrecklich rückwärtsgewandtes Weltbild verbreiten.
Die Kampagnen der Extremisten „haben die politische und gesellschaftliche Fragmentarisierung und den Aufstieg der Populisten in Europa und in den USA beschleunigt“, schreibt Ebner.
Ihr Ziel sei es, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen auszuhöhlen, die Gesellschaft zu spalten, um dann ihr erträumtes Gesellschaftsmodell zu verwirklichen.
In die Maschinenräume vordringen
Julia Ebner arbeitet im Londoner „Institute for Strategic Dialogue“ ISD und beobachtet extreme Bewegungen in Europa und Nordamerika. Zwei Jahre lang war sie „undercover“ unterwegs. Unter falschem Namen und unter dem Vorwand, eine Sympathisantin zu sein, schaltete sie sich in Dutzende radikaler Netzwerke ein.
Um zu verstehen, „muss man ins Innere vordringen: in die Maschinenräume, dort wo die Motoren extremistischer Bewegungen laufen“. Doch nicht nur online war sie unterwegs: Sie traf auch Anhänger rechtsradikaler Gruppen und nahm an einem rechtsextremistischen Rockkonzert teil. Sie beobachtete, „wie Extremisten Terroranschläge planen, Desinformationskampagnen starten und Einschüchterungsfeldzüge organisieren“. Das Ergebnis ihrer Recherchen ist erschreckend.
„Warum der Holocaust nicht stattfand“
Als sie sich in die amerikanische Neo-Nazi-Chatgruppe „Whites Only“ einschaltete, musste sie in einem Aufnahmeverfahren beweisen, dass sie eine reine Weisse ist. Sie sagte dann Sätze wie: „Ich glaube, dass unser genetisches und kulturelles Erbe durch die Masseneinwanderung aus dem Ausland bedroht ist.“ Das überzeugte die Gruppe, und sie wurde aufgenommen. Ziel von Whites Only ist die Errichtung eines weissen Ethnostaats, einer arischen Nation in Nordamerika, in dem sich unter keinen Umständen Juden niederlassen dürfen. Rassismus sei „die reinste Form von Patriotismus“, schreiben Whites-Only-User. Andere verbreiten Sätze wie „Juden ins Gas“ und „Rassenkrieg jetzt“. Diskutiert wird zum Thema „Warum der Holocaust nicht stattfand“.
Dass solch rassistische, rechtsextreme Internet-Plattformen ansteckend wirken, zeigte jüngst der Amoklauf von S. B. im ostdeutschen Halle. S. B., der zwei Menschen erschoss und in einer Synagoge „möglichst viele Juden“ töten wollte, liess sich in rechtsextremen Online-Foren radikalisieren.
„Weisses Genozid“
In Wien liess sich Julia Ebner unter falscher Identität von „Identitären“ anwerben. Die Identitären sind ein Pendant zur amerikanischen Alt-Right-Bewegung und werden von einem früheren Neonazi angeführt. Ebner hörte Sätze wie: „Der schrittweise Austausch der Weissen – das ‚weisse Genozid’ – ist Folge von Einwanderung, Abtreibung und Homosexualität.“ Die Autorin zitiert eine Kernaussage der Identitären: „Wenn man verhindern will, dass die europäische Zivilisation ethnisch und kulturell ersetzt wird, gibt es nur einen Weg: Die Einwanderer draussen halten. Der erste Schritt ist die Schliessung jeglicher Grenzen. Und Ausländer, auch jene der zweiten und dritten Generation, müssen zurückgeschickt werden.“ Man spricht von „Remigration“.
Heinz-Christian Strache, der inzwischen gestürzte FPÖ-Vizekanzler, bekundete inhaltliche Sympathien für die Identitären. Er versprach, den Kampf gegen den Bevölkerungsaustausch konsequent weiterzuführen. Die FPÖ pflegt laut Ebner „Verbindungen zu neonazistischen Bruderschaften“. Die Identitären, mit denen sie in Wien zusammenkam, luden sie (nach den österreichischen Wahlen von 2017) zur Wahlparty der FPÖ ein. Das war der Autorin dann doch zu viel.
Erodierende Wahrheit
Ziel rechtsradikaler Extremisten sei es, die Mainstream-Medien als unglaubwürdig darzustellen. Man spricht von „Lügenpresse“, obwohl gerade sie die grössten Lügen verbreiten. In den Chats würden koordinierte Hasskampagnen gegen Journalisten, Professoren und Politiker initiiert. Von ultrarechten Influencern würde Misstrauen gegenüber der Politik, der Elite und den akademischen Institutionen gesät, schreibt Ebner.
Mit Erfolg: Bereits drei von zehn Amerikanern glauben, im Geheimen hätte sich eine Machtelite gegen sie verschworen. Die Republikaner glauben dies doppelt so oft wie die Demokraten. Solche Leute seien es auch, die Trump die Stange halten. „Die Wahrheit verschwindet nicht über Nacht“, schreibt Julia Ebner, „aber im Laufe der letzten Jahre konnten wir beobachten, wie sie auf allen möglichen Ebenen nach und nach erodiert ist.“
Verschwörer unterstützen das Brexit-Lager
Das Säen von Verschwörungstheorien gehöre zur gängigen Praxis der Rechtsradikalen. Das Internet beschleunige die Verbreitung solcher Theorien. Da wird vermeldet, dass wichtige Entscheidungsträger die Auslöschung der weissen Rasse planten. Zu den Verschwörungstheoretikern gehörten laut Julia Ebner nicht nur Rassisten, Neo-Nazis und Rechtsextreme, sondern auch „gelangweilte Teenager“, „Leugner des Klimawandels und evangelikale Trump-Unterstützer“.
Leute mit geringer Schulbildung glauben eher an Verschwörungen. Julia Ebner zitiert eine Studie, wonach jeder dritte Brexit-Befürworter an den grossen Bevölkerungsaustausch glaubt. Seit längerem erhält das Brexit-Lager „massive Unterstützung vom internationalen Verschwörungstheoretischen Netzwerk QAnon“. Einem Labour-Abgeordneten wird unterstellt, Verbindungen zur satanistischen Szene zu haben. Und natürlich planen jüdische Banker wieder einmal die Übernahme der Weltherrschaft ...
Sich bedingungslos den Männern unterwerfen
Ein völlig rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild haben auch die amerikanischen „Trad Wives“, die sich meist aus Kreisen der Neuen Rechten rekrutieren. Sie vertreten Ansichten wie: Sexuelle Attraktivität, Gesundheit, Alter und Weiblichkeit seien die einzigen Eigenschaften, die Männer attraktiv finden. Bildungsgrad oder Beruf hätten keinen Einfluss. Im Chat der Gruppe sagte eine Frau: „Ich habe gerade meinen Doktor gemacht und festgestellt, dass einem das bei Männern absolut nichts bringt.“ Eine andere sagt: „Männer bevorzugen Frauen, die nicht zu viel reden.“
Die Frauen plädieren dafür, sich bedingungslos den Männern zu unterwerfen. Der Feminismus habe viel Schaden angerichtet, finden diese Frauen. „Wir sind einer Gehirnwäsche unterzogen worden , wir müssen zurückfinden in den Naturzustand.“ Und: „Kümmere Dich darum, dass du immer super aussiehst, dass du immer für deine Familie da bist und dass du sehr gut kochen kannst.“ Den Männern müsse man zeigen, dass man Respekt vor ihnen habe. Diese Frauen finden es völlig in Ordnung, dass sie von Männern ab und zu geschlagen werden. Die Strafe empfinden sie meist als gerecht. Zehntausende Frauen tummeln sich auf dieser Plattform.
„Legt euch ein Messer zu“
Und da gibt es die Trolle: „Youtube ist einer der Hauptnährböden für Rechtsextremismus im Internet“, schreibt Julia Ebner. Die grösste Troll-Armee Europas, die „Reconquista Germanica“, habe klar politische Absichten. Ihr Ziel sei die Verbreitung von Desinformation und das Säen von Zwietracht. Der politische Diskurs würde zugunsten der AfD verschoben.
Es seien Neonazis, Reichsbürger, aber auch einfache Patrioten und AfD-Fans, die da mitmachten. Auf diesen Kanälen findet man Nazi-Symbole und Literatur von Holocaust-Leugnern. Ein User schreibt: „Ich möchte euch allen ans Herz legen, legt euch ein Messer zu.“ Empfehlungen für Schuss- und andere Waffen werden weitergegeben. Mord- und Vergewaltigungsdrohungen werden ausgestossen.
„Sieg Heil! Verbrennt alle Nigger, fickt alle Cops“
Der Online-Raum habe die politische Massenmobilisierung revolutioniert, schreibt Ebner. Noch nie sei es für eine kleine Kerngruppe von Radikalen so einfach gewesen, grosse Protestaktionen zu organisieren. Als Beispiel nennt sie die Ereignisse in Charlottesville im amerikanischen Bundesstaat Virginia. Vordergründig ging es um Proteste gegen die Demontage der Statue des konföderierten Generals Robert E. Lee. In Wirklichkeit jedoch ging es um eine rechtsextreme Machtdemonstration. Zum ersten Mal haben sich die verschiedenen rechtsextremen Strömungen zusammengefunden. Zu den Rednern gehörten mehrere Alt-Right-Grössen. Sie liessen sich Exemplare von Hitlers „Mein Kampf“ signieren. Das Buch wurde als Preis angeboten. In den Chats, in die sich Julia Ebner eingeschaltet hatte, wurden die Neonazis angehalten, mit weissem Hemd und beigefarbener Khakihose zu erscheinen. So wollten sie für die breite Öffentlichkeit seriös wirken. Ein User schrieb: „Sieg Heil! Verbrennt alle Nigger, fickt alle Cops.“
Als ein Teilnehmer sein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten steuert und eine 32-Jährige tötet, wird die Alt-Right-Bewegung geschwächt. Dennoch war der Aufmarsch eine gelungene erste übers Internet gesteuerte rechtsradikale Grossmobilisierung.
Facebook wird zweitrangig
Bei den Europawahlen im Mai dieses Jahres versuchte „Right Wing United“ Einfluss zu nehmen. Die politische und wirtschaftliche Unruhe, die Europa zurzeit erfasst hat, wird benutzt, „um Zwietracht zu säen und die gesellschaftlichen Spannungen zu verschärfen“. Unter den Protesten der Gelbwesten mischen sich islamophobe, homophobe und antisemitisch eingestellte Menschen. Macron wurde als „Judenhure“ und „jüdischer Abschaum“ bezeichnet. Als weiteres Beispiel für eine gelungene Mobilisierung nennt Ebner Chemnitz. An den Protesten im letzten Jahr nahmen rechtspopulistische Parteien wie die AfD teil. Sie marschierten Seite an Seite mit militanten Neonazis und Hooligans. Sie alle schüren Wut und Empörung gegen den Rechtsstaat.
Facebook werde nunmehr nur als zweitrangige Plattform benutzt, schreibt Julia Ebner. Koordiniert würden die Kampagnen meistens woanders. Es gebe über 100 Plattformen, die von Extremisten genutzt werden.
„Ich bin NPD-Mitglied, wähle aber AfD“
Nazi-Rockfestivals dienten der Netzwerkpflege rechtsextremer Gruppen, betont Ebner, die sich an einem solchen Festival in Ostritz an der deutsch-polnischen Grenze einschleusen liess. Am Rande dieser Veranstaltung werden T-Shirts mit Nazi-Symbolen verkauft. „Es gibt sogar Kissen und Bettwäsche mit NS-Symbolen.“ Ein Teilnehmer sagt der Autorin: „Der NPD die Stimme zu geben, lohnt sich ja nicht mehr. ... Die AfD dagegen hat eine echte Chance.“
Schaukämpfe finden statt. Ein Moderator ruft ins Mikrofon: „Für einen Deutschen ist es wichtig, körperlich gesund und wehrhaft zu sein und zu wissen, wie man mit Waffen umgeht. ... Wir können euch dabei unterstützen.“ Ein Teilnehmer erzählt, er sei zwar NPD-Mitglied, wähle aber AfD. Das sei strategisch „die einzig sinnvolle Option“.
„Vertrauensverlust in demokratische Prozesse“
Und da gibt es die Hacker: Julia Ebner schliesst Schlimmes nicht aus. Mit Hacks in Computerprogramme könne erheblicher Schaden angerichtet werden: „Sollten Terroristen weiter an ihren Cyber-Skills arbeiten, besteht das Realrisiko, dass Kraftwerke oder selbstfahrende Autos zum Ziel ausgeklügelter Hacker-Aktivitäten werden.“
Nicht nur: Hacker könnten auch in die politische Infrastruktur eingreifen. In Deutschland haben vermutlich rechtsradikale Hacker die Accounts von fast tausend Politikerinnen und Politiker aller Parteien – ausser der AfD – geknackt. Computersysteme, die bei Wahlen eingesetzt werden, können manipuliert werden. All das bringe einen „Vertrauensverlust in demokratische Prozesse und politische Repräsentanten“, schreibt Ebner, die an einem Hacking-Kurs des „Islamischen Staats“ in einer Telegram-Chatgruppe teilnahm.
„Auch die besten Abwehrmechanismen bieten keinen vollständigen Schutz vor Hackern.“ Die demokratisch arbeitenden Institutionen seien ihnen meist einen Schritt hinterher. Eine totale Überwachung der schnell sich wandelnden Online-Räume ist fast unmöglich.
Das Internet macht Rechtsextreme einflussreich
Man mag einwenden, dass es sich bei den ultrarechten Hardlinern um eine kleine Gruppe handelt. Doch – und das macht die Analyse von Julia Ebner so besorgniserregend: Auch einer kleinen Gruppe kann es heute dank der neuen Technologien gelingen, enormen materiellen, politischen und gesellschaftlichen Schaden anzurichten.
Das mutige Buch rüttelt auf. Es sollte zur Pflichtlektüre aller Politiker und anderer Entscheidungsträger werden. Es widerspricht der etwas naiven Vorstellung, Rechtsradikalismus sei eine Randerscheinung, die die demokratischen Institutionen nicht gefährden könne. Das Internet hat Rechtspopulisten, Rechtsextreme und Rassisten mächtig und einflussreich gemacht. Es ist das Verdienst dieses Buches, dies in einem Erfahrungsbericht unpolemisch und mit Fakten untermauert aufzuzeigen.
*) Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Berlin: Suhrkamp Verlag, September 2019, 335 Seiten. Julia Ebner, 1991 in Wien geboren, arbeitet mit zahlreichen Regierungsorganisationen und Polizeiorganen zusammen. Sie ist Online-Extremismus-Beraterin der Uno, der Nato und der Weltbank.