Rassismus macht auch vor Museen nicht Halt. Das Aargauer Kunsthaus stellt sich dieser Tatsache. Zugleich aber will es, ausgehend von einem berühmten Text James Baldwins, den Rassismus als solchen kritisch beleuchten. Das geht nicht ohne angestrengte Korrektheit.
Vincent Kohlers auf monströses Format aufgeblasene Süssigkeit hat das Zeug zu einer listigen Provokation. Sie könnte der Aarauer Ausstellung zu einer Qualität verhelfen, die ihr weitgehend fehlt: sie nämlich zu einer Veranstaltung machen, die Neugier weckt, zu selbständigem Denken herausfordert und das Publikum mit Geist und Witz auf dessen allfällige rassistische Regungen hinweist.
Doch schon der korrekte Name der Skulptur und erst recht der Wandtext in der Ausstellung verschenken das Aha-Erlebnis. Die Besucher werden an die Hand genommen und auch gleich ein bisschen indoktriniert:
Was da mit fehlender Interpunktion behauptet wird, fügt sich in jene Sicht der Welt, die buchstäblich nur Schwarz und Weiss kennt und alles dieser Dichotomie unterordnet. Und so steht denn da die steile These, ein Wort wie Mohrenkopf wirke auf das «kollektive Unterbewusstsein» ein, und zwar «nachhaltig».
Das ist, mit Verlaub, erstens Küchenpsychologie und zweitens allzu simple Sprachanalyse. Häufig sind es nämlich gerade die beliebten Leckereien, die vulgärsprachlich mit anrüchigen Bezeichnungen belegt werden. Den Sprechenden ist bewusst und sie geniessen es, dass sie einen Verstoss begehen, eine kleine Rebellion. Da sickert nichts ins kollektive Unbewusste ein.
Am Ausgangspunkt ein kanonischer Text
Ankerpunkt der Ausstellung ist ein Essay zur Rassismusthematik von 1953: «Stranger in the Village» von James Baldwin. Der schwarze amerikanische Schriftsteller kam 1951 erstmals mit seinem Schweizer Freund, dem Maler Lucien Happersberger, nach Leukerbad in dessen Chalet. Im Jahr darauf lebte er drei Monate dort, um die Arbeit an einem Roman abzuschliessen. Über diesen Aufenthalt als einsamer Schwarzer im winterlichen Walliser Bergdorf schrieb Baldwin den jetzt der Ausstellung zugrunde gelegten Text.
Traumatisiert war der 1924 geborene Baldwin nicht von den hinterwäldlerischen Wallisern, sondern vom aggressiven, tödlichen Rassismus, den er in New York zu erdulden hatte. Deswegen war er 1948 nach Paris emigriert. Was Baldwin 1952 in Leukerbad erlebte, sah er durchaus differenziert. Zwar empfingen ihn die Walliser mit «Erstaunen, Neugier, Belustigung oder auch Empörung», und er war für sie – damals selbstverständlich – «der Neger». Soweit Baldwin mit Erstaunen und Neugier konfrontiert war, reagierte er freundlich, besonders den Kindern gegenüber.
Zehn Jahre nach dieser Erfahrung begleitete der TV-Journalist Pierre Koralnik den Schriftsteller nochmals nach Leukerbad, um mit ihm die Genese von «Stranger in the Village» zu dokumentieren. Zu den Bildern vom erneuten, jetzt allerdings inszenierten Aufenthalt im Walliser Dorf spricht Baldwin den Kommentar mit Passagen seines berühmt gewordenen Textes.
Pierre Koralnik: Un étranger dans le village, 1962, Trailer
Der von RTS 1962 produzierte Kurzfilm (Realisation: Pierre Koralnik) läuft eingangs der Ausstellung. Vor der Kamera entwickelt der Schriftsteller seine damals in Leukerbad zur Kristallisation gebrachte Analyse seiner eigenen Rassismuserfahrung. Vielleicht gerade weil das Wallis in dieser Hinsicht viel weniger schlimm war als New York, hatte er hier die nötige Distanz, um dem Rassismus auf den Grund zu gehen. Seiner Diktion merkt man noch den evangelikalen Prediger an, der er einmal war: den Hang zur Zuspitzung, zum Schwarzweiss ohne Grautöne.
Baldwin ist ein radikaler Denker, der messerscharf formuliert und die Dinge elegant auf den Punkt bringt. Anders als in heutigen Rassismusdiskursen zielt seine Radikalität jedoch nicht auf totale Moralisierung ab, sondern sie geht an die Wurzel (lat. radix) der Phänomene. Und in der sprachlichen Eleganz zeigt sich Baldwins intellektuelle Lust am Erhellen verborgener Zusammenhänge. Diesen faszinierenden und herausfordernden Baldwin kann man in Koralniks Film erleben. Das Video ist der wichtigste Grund zum Besuch der Ausstellung im Aarauer Kunsthaus.
In Dienst gestellte Kunst
Der Versuch, mit gegenwärtigen künstlerischen Statements aktuelle Antworten auf «Stranger in the Village» zu präsentieren, überzeugt insgesamt wenig. Auf Baldwins intellektuellem Niveau gibt es da schlicht kein adäquates Echo. Vieles scheint mit dem Rassismusthema höchstens lose verbunden (wenn man letzteres nicht zur Allerweltsformel der Diversität verdünnen will, zu der ja manches mühelos passt). Anderes, etwa Sasha Hubers symbolische Umbenennung des Agassizhorns in den Berner Alpen (Helikopterflug in Grossprojektion) wirkt als routiniertes Abarbeiten gängiger Postulate: Louis Agassiz (1807–1983), Glaziologe und Rassentheoretiker, soll als Namensgeber durch den versklavten Kongolesen Renty abgelöst werden.
Das Ganze leidet an einer gewissen programmatischen Überfrachtung. Demütig heisst es im Pressetext: «Diese Ausstellung hat ein mehrheitlich privilegiertes Museumsteam ohne Rassismuserfahrung konzipiert.» Den Macherinnen sitzt augenscheinlich jene Critical Race Theory im Nacken, für die man nur entweder Opfer oder Profiteur des Rassismus sein kann. Wer nicht Opfer ist, hat die Schuld, es nicht zu sein, öffentlich einzugestehen und persönlich Konsequenzen daraus zu ziehen.
Das Bemühen um die richtigen Konsequenzen ist an Wand- und Saaltexten ablesbar. Ein einschlägig besetztes «Advisory Board» hat die Ausstellungsmacherinnen begleitet. Im Ergebnis steht den Besuchern nebst peinlich korrekten Saaltexten auch ein Glossar für den richtigen Sprachgebrauch zur Verfügung. Zudem berät das «Collective for Anti-Racist Art History» CARAH der Universität Zürich das Museum bei der Prüfung seiner Bestände. So sollen zum Beispiel Werktitel auf allfällig diskriminierende Begriffe gescannt und offenbar nach antirassistischen Vorgaben dem Zeitgeist angepasst werden.
Die Ausstellung «Stranger in the Village» versammelt zeitgenössische Arbeiten zur Rassismusthematik, und zwar in der Lesart der Critical Race Theory. Das kann man machen. Es ist bloss im Blick auf die Kunst nicht besonders interessant, weil die Resultate teils fürs Thema unergiebig, teils thematisch korrekt und entsprechend vorhersehbar sind. Solchermassen in Dienst gestellte Kunst hat in früheren Zeiten gut funktioniert; heute tut sie das nicht mehr so richtig. Glücklicherweise.
Bei der zeitgeistigen Überprüfung der Sammlung, die das Museum offenbar in Angriff genommen hat, kann man nur auf zurückhaltendes Vorgehen hoffen. Archive jeglicher Art, mithin auch Museumssammlungen, sollten nicht «aktualisiert» oder «korrigiert» werden – auch wenn eine CARAH das vielleicht anders sieht.
Aargauer Kunsthaus: Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin, bis 7. Januar 2024