Ja, es stimmt: Religion dient oft als Deckmantel verschiedener, anderer Ursachen von Konflikten. Aber Religion eignet sich vorzüglich zur Mobilisierung und auch zur Disziplinierung der Massen. Nicht nur im malayischen Zwergstaat Brunei durch einen Feudalherrscher (siehe: Clooney hat recht) sondern auch in den grössten Demokratien der Welt. So eben in Indonesien und Indien – beides ehemalige Kolonien, welche zu Recht stolz darauf sind, dem Ideal von „one man one vote“ näher zu sein als anderswo in Asien. In beiden Ländern ist aber eine beunruhigende Tendenz festzustellen: weg vom Gründungsideal des auf Toleranz beruhenden Vielvölkerstaates, hin zum religiös rigiden Nationalstaat.
Religiöser Frieden
Indien und Indonesien verschrieben sich multireligiöser Toleranz, um dem heterogenen Charakter der jungen Staatsgebilde gerecht zu werden. Natürlich wurden diese hehren Ideale von regierenden Clans zum Machterhalt gebraucht – und missbraucht. Die indische Kongresspartei hat es bis heute nicht fertiggebracht, sich von der mafiösen Bindung mit der Gandhi-Familie zu lösen. In Indonesien hatte zuerst der Staatsgründer Sukarno und später der Diktator Suharto Pancasila, die „Fünf-Prinzipien-Ideologie“, zum Instrument eigenen Machterhalts eingesetzt – begleitet von korrupten Machenschaften. Wenn auch mitunter mit Zwang, blieb aber der religiöse Frieden einigermassen erhalten.
Wer einmal die Old Delhi dominierenden mogulischen Prachtbauten, das Red Fort und die verschiedenen Moscheen besucht hat, muss sich fragen, wie der eben wiedergewählte indische Premierminister Modi im benachbarten New Delhi eine rein hinduistische Geschichte und Prägung des Landes rechtfertigen kann. Wer einmal auf Java vom höchsten Punkt des buddhistischen Weltwunders Borobudur, unweit der imposanten hinduistischen Tempelruinen von Prambanan, dem vielstimmigen Ruf der Muezzine zum Abendgebet zugehört hat, weiss, dass Indonesien vor und neben dem Islam auch durch eine jahrhundertalte multireligiöse Tradition geformt worden ist.
Staatsreligion
Wegen seiner spärlichen Erfolge in der Wirtschaftspolitik hätte Modi ja mit einer relativen Niederlage rechnen müssen. Mit einem Kraftakt gegen das muslimische Pakistan kurz vor dem Wahltag hat er sich zum Bewahrer der hinduistischen Nation Indien proklamiert – mit durchschlagendem Erfolg. Die rund 200 Millionen Muslime, ebenso wie die paar Millionen Christen in Indien, sind so durch ihren eignen Premierminister zu Staatsbürger 2. Klasse gestempelt worden. Nicht auszuschliessen, dass damit die Saat gelegt ist für eine weitere Verschärfung der Politik und ihrer Stimmungsmache unter den Massen der „gläubigen“ gegenüber „nichtgläubigen“ Indern. Was mit der Ermordung von muslimischen Fleischverkäufern als „Kuhmörder“ bereits begonnen hat, könnte im schlimmsten Fall mit einer Vertreibung enden. Eine fast unvorstellbare Tragödie für Südasien und eine brandgefährliche Entwicklung zwischen den benachbarten Nuklearmächten Indien und Pakistan.
Mit Blick auf den religiösen Frieden hat sich in der kürzlichen indonesischen Präsidentschaftswahl mit Jokowi (Joko Widodo) das kleinere Übel durchgesetzt. Aber auch er, vor Jahren noch Gouverneur der Hauptstadtprovinz Jakarta mit einem chinesischstämmigen Christen als Stellvertreter, hatte sich zur Absicherung seiner Wiederwahl einen stramm islamistischen Vizepräsidenten ausgewählt, welcher zuvor eine Hauptrolle gespielt hatte bei der völlig ungerechtfertigten Verurteilung des erwähnten Vizegouverneurs wegen „Blasphemie“. Auch hier also eine offizielle Fragilisierung in den Beziehungen zwischen der grossen Mehrheit der „Gläubigen“ und den Andersgläubigen – unter ihnen als Hauptbeispiel die hinduistischen Indonesier auf Bali.
Religion und Populismus im Westen
Die religiöse Karte wird von Populisten keineswegs nur in asiatischen Demokratien gespielt. Ohne die Stimmen für seinen evangelikalen Vizepräsidenten Mike Pence wäre Donald Trump kaum gewählt worden. Jair Bolsonaro verdankt seine Wahl zum Präsidenten zumindest teilweise der gewichtigen Gemeinde von Fundamentalchristen in Brasilien.
Dort wo Religiosität in der Politik eine geringere Rolle spielt, so in Europa, eingeschlossen der Schweiz, setzen die Populisten auf die Nation. Da reichen sich National-Populisten und Religiös-Populisten die Hand. Hauptsache ist eine klare Unterscheidung zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“. Stimmenfang zum Machterhalt wird so bedeutend einfacher, Programme und Ideen zur Bewältigung von Zukunftsfragen werden unnötig.