Am Samstagabend hatten viele in Brüssel aufgeatmet. Das slowakische Fernsehen berichtete, dass Exit Polls einen knappen Sieg der gemässigten Sozialdemokraten erwarten liessen. Doch es kam anders. Am frühen Sonntagmorgen stand fest: Der Linkspopulist und Putin-Versteher Robert Fico gewinnt die Wahlen mit über 23 Prozent der Stimmen. Doch vielleicht wird alles nicht so schlimm, wie Brüssel befürchtet. Ein Kommentar.
Seit Ausbruch des Krieges hat die Slowakei das Nachbarland Ukraine sowohl mit Hilfsgütern als auch mit Waffen unterstützt. Fico will nun nur noch humanitäre Hilfe leisten, aber keine Waffen mehr liefern.
Wird nun die Slowakei ein zweites Ungarn, wird sie zum Stachel im Fleisch der EU? In Brüssel ist man mehr als beunruhigt. Fico und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der sowohl Waffenlieferungen an die Ukraine als auch Sanktionen gegen Russland ablehnt, nennen sich Freunde. Würde der 59-jährige Fico Ministerpräsident, was noch nicht definitiv feststeht, könnte die Achse Fico-Orbán die EU-Aussenpolitik gehörig durcheinanderschütteln und eventuell weitere Länder beeinflussen.
Fico hatte im Wahlkampf die Rhetorik Putins übernommen und sprach von den «ukrainischen Nazis», die am Krieg schuld seien. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine würde zum dritten Weltkrieg führen, sagte er.
Damit punktete er jetzt bei immerhin knapp einem Viertel der Wählerinnen und Wähler. Im Westen staunt man immer wieder, dass die Slowakei – bis vor 30 Jahren Teil der Tschechoslowakei – viel Russland-freundlicher ist als Tschechien. Beide Landesteile hatten unter der sowjetischen Herrschaft gelitten. Der Prager Frühling fand nicht nur in Prag, sondern auch in Bratislava statt. Sicher ist, dass in der slowakischen Gesellschaft seit jeher die Rolle der Sowjetunion als Befreierin vor den Nazis im Zweiten Weltkrieg eine dominante Rolle spielt. Dies trägt zum positiven Russland-Bild bei, das viele ältere Menschen in der Slowakei haben.
Die da und dort latent anti-westliche und pro-russische Stimmung wurde im Wahlkampf bewirtschaftet von russischen Propagandisten und Hackern. Sie überfluteten das Land mit pro-russischen Falschinformationen. Geschürt wurde dabei auch die Angst vor einem Dritten Weltkrieg.
Doch Fico gewann nicht nur deshalb, weil ein grosser Teil der Bevölkerung gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist. Er profitierte auch davon, dass die bisherige Regierung eine verheerende Wirtschaftspolitik betrieb.
Der jetzige Wahlsieger Fico war in mehrere Skandale verwickelt. 2018 wurde er als Ministerpräsident gestürzt. Er wurde verdächtigt, in die Ermordung des Investigativ-Journalisten Jan Kuciak verwickelt zu sein. Kuciak hatte der Regierung Fico Verbindungen zur italienischen Mafia vorgeworfen.
Jetzt wird Fico von der pro-westlichen slowakischen Staatspräsidentin Zuzana Čaputová beauftragt, eine Regierungskoalition zu zimmern. Das wird nicht einfach sein. Denn allein regieren kann Fico nicht.
Als Koalitionspartner bietet sich die Partei des ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Peter Pellegrini an. Er hatte sich mit seinem einstigen Mentor Fico überworfen und eine eigene Partei namens «Hlas – sociálna demokracia» (deutsch: Stimme – Sozialdemokratie) gegründet. In jüngster Zeit haben sich die beiden einstigen Streithähne wieder angenähert. Pellegrinis Partei hat mit 15 Prozent der Stimmen das drittbeste Ergebnis erzielt.
Doch selbst wenn eine Koalition zwischen Fico und Pellegrini zustande käme, würde das noch immer nicht für eine Regierungsmehrheit reichen. Man müsste eine weitere Partei ins Boot holen. Fico, der Linkspopulist, regierte schon einmal mit der rechtsextremen SNS. Als weiterer Kandidat käme auch die katholisch-konservative KDH in Frage.
Sollte Fico bei der Koalitionsbildung scheitern, bestünde die Möglichkeit, dass die zweitplatzierte liberale Partei («Progressive Slowakei») von Michal Šimečká versuchen könnte, mit Peter Pellegrini und einigen kleinen Formationen eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden. Šimečká vertritt eine pointiert pro-westliche, anti-russische Politik. Seine Partei erhielt am Samstag 17 Prozent der Stimmen. Als Koalitionspartner kämen für Šimečká sowohl Peter Pellegrini als auch die rechtsliberale SaS von Richard Sulík in Frage. Doch ein solch heterogenes Bündnis hätte vielleicht nicht lange Bestand.
Vielleicht kommt alles weniger schlimm, als Brüssel und die Ukraine befürchten.
Fico ist ein Machtmensch. Ideologien sind ihm eigentlich egal. Immer wieder hat er gezeigt, dass er nach dem Motto lebt: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern! Sobald er an der Macht ist, könnte er auch gegenüber der Ukraine und gegenüber der EU eine pragmatische Politik verfolgen. Damit rechnen einige Analysten in Bratislava. Die Slowakei ist als Nato- und EU-Mitglied eng mit Brüssel verbunden.
Dazu kommt, dass Ficos vermutlicher Koalitionspartner Peter Pellegrini sich deutlich für Waffenlieferungen an die Ukraine und für Sanktionen gegen Russland ausspricht. Wird er seinen Beitritt zu einer Koalition mit Fico davon abhängig machen, dass weiter Waffen an die Ukraine geliefert werden?
Putin muss sich mit seiner Freude über den Sieg von Robert Fico vielleicht noch etwas zurückhalten.