«Nie ist so viel Geld ausgegeben worden, um so wenig über eine ungewisse Zukunft nachzudenken.» So zieht «New York Times»-Kolumnist Tom Friedman das Fazit der amerikanischen «Midterms» vom 4. November. Ein Drittel des US-Senats, das ganze Repräsentantenhaus und Gouverneursposten standen zur Wahl. Wobei die Republikaner fast auf der ganzen Linie siegten – entgegen Prognosen, die den Demokraten grössere Chancen eingeräumt hatten, ihre Haut zu retten. Insgesamt haben die Kandidaten und ihre Anhänger 2014 rund vier Milliarden Dollar in den Wahlkampf gesteckt, den Löwenanteil davon wie üblich in negative Fernsehwerbung.
Weckruf für die Demokraten
Die «Grand Old Party» (wie die republikanische Partei in den USA auch heisst) gewann Sitze sowohl im Senat wie im Abgeordnetenhaus und hält nun in beiden Kammern des Kongresses in Washington DC die Mehrheit. Ausserdem gelang es der GOP, in Staaten, die 2016 beim Rennen um den Einzug ins Weisse Hause eine wichtige Rolle spielen werden, Governeursposten zu verteidigen.
Das Ergebnis ist eine Ohrfeige für die Demokraten, die zwar aufgrund der Wahlgeografie (mehr Sitze in Staaten, die traditionell republikanisch wählen) Verluste einkalkuliert hatten, nie aber in diesem Ausmass. Entsprechend irritiert reagierten einzelne liberale Kommentatoren, die ihre rosigen Prognosen dementiert sahen.
Auch Präsident Barack Obama, Hauptziel des Misstrauensvotums, zeigte sich nur bedingt überrascht: In erster Linie, argumentierte er, habe sich die Wahlgeografie gegen ihn ausgewirkt, was in der Tat ein Grund für das schlechte Abschneiden der Demokraten gewesen sein dürfte – aber längst nicht der einzige. Dazu kam, dass sich etliche demokratische Kandidaten vom unpopulären Präsidenten distanziert und es ihm verwehrt hatten, sich bei Wahlauftritten draussen im Lande zu erklären. Das soll sich nun ändern: Obama will eigenem Bekunden zufolge seine Politik künftig wieder aggressiver und breiter verteidigen.
Zudem unterscheidet sich die Wählerschaft bei Zwischenwahlen erfahrungsgemäss von jener bei Präsidentenwahlen. Bei «Midterms» gehen tendenziell eher Ältere, Konservative, Männer, Landbewohner und Weisse zur Urne, während beim Kampf um den Einzug ins Weisse Haus mehr Junge, Frauen, Liberale, Städter sowie Angehörige von Minderheiten stimmen gehen. Im Übrigen erlitt in den USA eine regierende Partei bereits 1994 (unter Bill Clinton) oder 2006 (unter George W. Bush) bei Zwischenwahlen herbe Verluste.
Gemäss ersten Wahlanalysen ist für Demokraten das Kalkül, Barack Obama auf Distanz zu halten, nicht aufgegangen. Dies, obwohl Nachwahlbefragungen zeigten, dass fast sechs von zehn Amerikanern nicht viel von der Regierung in Washington DC halten. Sieben von zehn Befragten stuften die Lage der Wirtschaft als nicht berauschend oder gar schlecht ein. Dabei geht es Amerikas Wirtschaft, etwa bezüglich Arbeitslosigkeit, heute besser als bei Obamas Amtsantritt 2008.
Negativer Wahlkampf der Republikaner
Derweil dürfen sich die Republikaner auf ihren Sieg nicht allzu viel einbilden. Zum einen haben sie einen Wahlkampf geführt, der allein auf Negativität gründete. Alle Übel, die ihrer Meinung nach die Nation heimsuchen, haben sie dem ungeliebten Amtsinhaber im Weissen Haus in die Schuhe geschoben. «Republikaner möchten das Land glauben lassen, dass sie am Dienstag die Mehrheit im Senat errungen haben, weil sie eine attraktive Agenda befürworten, die mehr Arbeitsplätze, Steuereinsparungen und Kostenbremsen vorsieht», analysiert die «New York Times» in einem Leitartikel: «In Wirklichkeit aber haben sie nichts von alledem getan.»
Hingegen polemisierte die Partei mit viel Häme und ohne Unterlass gegen Barack Obamas Gesundheitsreform («Obamacare»), seine Aussenpolitik, seine Pläne zu einer Einwanderungsreform sowie seine Umweltpolitik, die im Gegensatz zur Überzeugung etlicher Republikaner dem Klimawandel Rechnung trägt. Doch gelang es der GOP besser als vor zwei Jahren, die Radikalen in den eigenen Reihen, d.h. die Vertreter der Tea Party, im Zaum zu halten. Auch waren die Republikaner 2014 dank üppiger Wahlspenden seitens reicher Industrieller wie der Gebrüder Koch aus Kansas technisch besser gerüstet, um potenzielle Wähler zu identifizieren und zur Urne zu bewegen.
Obstruktion oder Kompromiss?
Die Republikaner müssen sich nun entscheiden, ob sie in den nächsten beiden Jahren ihren uneingeschränkten Obstruktionskurs im Kongress fortsetzen oder sich gelegentlich auf einen gesetzgeberischen Kompromiss mit dem Weissen Haus einlassen wollen – im Interesse der Nation, die sie ja uneingeschränkt zu lieben vorgeben. Wählen sie die erste Option, so dürften ihre Chancen, 2016 erneut ins Weisse Haus einzuziehen, rapid schwinden. Denn für viele Amerikaner ist die GOP nach wie vor eine Partei, die sich in erster Linie für wohlhabende, ältere weisse Männer einsetzt – aller rhetorischer Vernebelung zum Trotz. Die USA mit ihren inzwischen 316 Millionen Einwohnern werden aber zunehmend jünger, besser integriert und mulitkultureller.
Etliche Amerikaner haben 2014 die GOP nicht aus ideologischen Gründen gewählt, sondern weil sie mit dem Zustand des Landes sowie dem politischen Stillstand in Washington DC unzufrieden waren. Gelingt es der republikanischen Mehrheit im Kongress nun nicht, innert nützlicher Frist spürbare Verbesserungen zu bewirken, d.h. zum Beispiel den Mindestlohn (7,25 Dollar pro Stunde) anzuheben, so werden die Wählerinnen und Wähler 2016 der GOP wohl erneut den Schuh geben oder, wie es unschön heisst, «kick the bastards out.» Die republikanische Partei bliebe, wie es ein Kolumnist der «Washington Post» formuliert, «eine Mehrheit ohne Mission». Noch vor der Wahl am 4. November hatte einer Gallup-Umfrage zufolge nur jeder vierte Wähler gemeint, dem Land werde es besser gehen, wenn die Republikaner die Kontrolle im Kongress übernehmen.
Gleichzeitig wird auch Barack Obama nicht umhinkönnen, vermehrt auf die Opposition im Kongress zuzugehen und Kompromisse zu finden in jenen Bereichen, wo sie zumindest möglich scheinen, zum Beispiel bei der Verabschiedung des Budgets, beim Abschluss von Handelsverträgen oder beim dringend benötigten Unterhalt der nationalen Infrastruktur (Strassen, Brücken, Eisenbahnen). «Aus dem Umstand, dass wir ein Zwei-Parteien-System haben, folgt nicht zwangsläufig, dass wir uns ständig bekriegen müssen», hat Senator Mitch McConnell nach seiner Wiederwahl in Kentucky lammfromm gesagt.
Demontage des Präsidenten
McConnell ist jener republikanische Politiker, der nach der Kür Barack Obamas 2008 vollmundig verkündete, sein grösstes politisches Ziel sei es, die Wiederwahl des Präsidenten zu verhindern. Der 72-Jährige, dem böse Zungen das Charisma eines Handtuchs bescheinigen, wird nun Mehrheitsführer im Senat, und nicht alle Beobachter sind überzeugt, dass ihm das Aufweichen der politischen Verhärtung in Washington DC ein reales Anliegen ist.
«Die Zwischenwahlen 2014 waren der letzte gelungene Versuch, den Präsidenten zurechtzustutzen», zitiert die «New York Times» den Politologen David Legee von der Universität Notre Dame: «Unmittelbar nach 2008 hatten die Amerikaner endlich ihre Rassenvorurteile überwunden. Die Wahl Barack Obamas war für die Nation ein Sieg der Hoffnung und der lang ersehnten Demokratie. Obama war gross, ein Star, eine unüberhörbare Stimme, ein ernstzunehmender Geist.»
2014 jedoch, so Legee, sei Obama klein, ein Punchingball, leicht einzuschüchtern, jemand, dem kleine Politiker mit harten oder beleidigenden Worten begegneten, jemand, dessen Vorschläge missachtet würden, jemand, den Parteigänger um jeden Preis mieden: «Wie hat das nur in sechs kurzen Jahren passieren können?»
Vorbereitung der Wahlen 2016
Unterdessen wartet hinter den Kulissen der politischen Bühne die nächste grosse Hoffnung der Demokraten: Hillary Clinton. Die frühere First Lady und Ex-Aussenministerin hat bei öffentlichen Auftritten bisher mit Erfolg so viele Versuchsballone steigen lassen, dass ihre Kandidatur 2016 immer wahrscheinlicher, ja unabwendbarer wird. «Eight years of Bill, eight years of Hill», hiess 1992 ihr Slogan, als Bill Clinton ins Weisse Haus einzog. Neuerdings setzt sie sich bei Tochter Chelsea auch als treusorgende Grossmutter in Szene
Wobei nicht alle Kommentatoren einen Sieg Hillarys in zwei Jahren für unvermeidlich halten. Sie erinnern an 2008, als »la Clinton» in den demokratischen Vorwahlen überraschend gegen Barack Obama verlor. Die Rolle der Spielverderberin könnte 2016 Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts zufallen. Die frühere Rechtsprofessorin in Harvard, die aus einfachen Verhältnissen stammt, hat unter dem Titel «A Fighting Chance» ein angriffiges Buch geschrieben, das eine ambitiöse politische Agenda skizziert, wie sie der derzeit eher orientierungslosen demokratischen Partei wohl anstehen würde.
Warrens progressive Analyse beklagt in erster Linie den Umstand, dass es falsche politische Entscheidungen in Washington DC mächtigen Interessengruppen erlaubt haben, Amerikas Finanzsystem so anzupassen, dass es nicht mehr der Mittelklasse, sondern nur noch den Reichen und Mächtigen dient. Das ist nicht ein Argument, das die Republikaner bei den nächsten Präsidentenwahlen gerne hören würden.