Damit kennzeichnet sie Zeit, in welcher man es allenthalben mit dem Wahrheitsgehalt irgendwelcher Aussagen nicht mehr besonders genau nimmt. Natürlich lehnt sich der Titel meiner heutigen Kolumne an den Begriff an. Dazu aber später.
Peinliche Ergebnisse
Ursprünglich für die Redewendung scheinen das Medien- und das politische Milieu zu sein, in welchem Politiker oder sonstige Teilnehmer an irgendwelchen Diskussionen oder Talkshows zur Untermauerung ihrer Argumente jeweils irgendwelchen Unsinn hervorzaubern, der kurzfristig kaum zu widerlegen ist.
In der Tat sind wir heute so weit, dass sich die Medien am Tag nach der Ausstrahlung entsprechender Formate genötigt sehen, die Richtigkeit der am Vortag gemachten Aussagen mehr oder weniger systematisch zu überprüfen – mit gelegentlich peinlichen Ergebnissen für die Protagonisten. Da werden zum Teil sogar Regierungsvertreter dabei ertappt, dass sie sich zu «Fakten» fliehen, die sich im Nachhinein als völlig falsch herausstellen – wobei auch dies natürlich jeweils nicht wertfrei ist, da ja der überprüfende Journalist oder das entsprechende Blatt auch eine politische Agenda haben und die Sachen einfach durch eine andere Brille sehen wollen.
Geschichtenerzähler
Natürlich bot der vergangene Wahlkampf in den USA wunderbares Anschauungsmaterial. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die ganze Lügerei den Leuten mehr oder weniger egal zu sein scheint. Im Sinne von «... klar übertreibt er (sie) oft ein wenig, im Grundsatz hat er (sie) aber ja recht». Postfaktisches Zeitalter eben.
Im Bereich der Anlageberatung finden wir dieses nun nicht post- sondern eher pseudofaktische Phänomen schon lange. Chef-Ökonomen und Anlage-Gurus gehörten schon immer zur Zunft der grossen Geschichtenerzähler unserer Zeit. Ohne Zweifel erfüllen sie damit aber auch ein Grundbedürfnis der Menschen, welches wir schon als Kleinkinder eingehaucht bekommen haben. Man muss sich nur die Oma vor Augen halten, die Klein-Fritz vor dem Schlafen gehen noch rasch eine Geschichte erzählt.
Pseudofaktisch
Dabei befriedigen die Ökonomen auch noch ein anderes intellektuelles Grundbedürfnis, nämlich den Wunsch nach Kontrolle, dem «Wenn-dann ...»: «Wenn die Zentralbank die Zinsen erhöht, dann ...». Dabei ist es nebensächlich, ob der Chef-Ökonom der einen Grossbank bei seinem Szenario die Aktienmärkte einbrechen sieht, während gleichzeitig irgend ein anderer Guru gerade das Gegenteil behauptet. Hauptsache: Geschichten erzählen. Freilich unterliegen beide selbst der «Wenn-dann-Illusion» – der Fiktion, das soziale System, das wir Wirtschaft nennen, würde rein mechanisch funktionieren, im Sinne von: Wenn man dieses Rad dreht, passiert andernorts dies oder das. Sie erkennen oft selbst nicht, dass Wirtschaft – um mit dem amerikanischen Autoren Eric Beinhocker zu sprechen – eher wie ein unruhiger Bienenschwarm funktioniert, der immer wieder in nicht voraussagbarer Art und Weise auf die unterschiedlichsten Umwelteinflüsse reagiert. Dass man dem nicht Rechnung tragen will, ist verständlich. Es ist auch nicht das, was die Leute hören wollen. Die Leute wollen die Kontroll-Illusion («Wenn-dann») aufrechterhalten und sind froh, wenn ihnen jemand solches liefert, auch wenn es vielleicht wenig mit den Fakten zu tun hat. Pseudofaktisch eben.
Kurz und prägnant
Wenn wir ehrlich sind, wissen wir über die Prozesse, die in der Wirtschaft ablaufen, sehr wenig. Wir können Aussagen über Wahrscheinlichkeiten von Szenarien machen. Aber auch hier sind wir noch nicht einmal im Stande, diese faktisch zu beziffern, weil wir nicht wissen, ob die entsprechenden Verteilungen überhaupt existieren. Und wenn wir versuchen, ehrlich («faktisch») zu sein, verkommt die ganze «Wenn-dann-Geschichte» zu einem ziemlichen Blabla. Aber Blabla gibt für den Geschichtenerzähler nicht viel her. Und für den Zuhörer noch viel weniger. Geschichten wollen kurz und prägnant sein.
Mit anderen Worten: Wahrheiten, oder eben Fakten, geben nichts her. Und vor allem lässt sich mit Blabla kein Produkt verkaufen. Und es ergibt sich halt nicht selten in der Anlageberatung, dass gerade dieses die ursprüngliche Triebfeder der Geschichten überhaupt ist. Also nehmen wir die pseudofaktische Anlageberatung als das, was sie ist: ein Narrativ, das aber immerhin ein Bedürfnis befriedigt. Wir sollten nur dann nicht auch noch die Illusion haben, diese Form der Beratung würde noch einem weiteren Bedürfnis gerecht werden: dem nach Anlagerendite.
Leicht revidierte Arbeit, die in der Anlagezeitschrift PRIVATE (1/17) erschienen ist.