«Texte von Jacques Brel» heisst es auf dem Spielplan einfach. Unprätentiöser könnte man das gar nicht umschreiben, was Werner Düggelin mit André Jung gegenwärtig im Zürcher Schiffbau probt. Es ist kein Theaterstück und kein Chansonabend. Es sind einfach Texte des belgischen Barden Jacques Brel.
Ein Fall für zwei
Die erste Begegnung vergisst André Jung nicht. 1985 war es. Er stand vor dem Schaukasten des Zürcher Schauspielhauses am Pfauen und sah die Fotos an. «Ja, Grüss Gott Herr Jung», sagte der Mann hinter ihm. «Und ich habe ihn nicht mal erkannt….», wurmt es André Jung heute noch. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war Werner Düggelin, einer der grossen Theaterregisseure. Ein bisschen peinlich war André Jung die Situation damals wahrscheinlich schon … «aber wir sind dann in die Kneipe gegangen und ins Gespräch gekommen».
Es war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft …
Jetzt, dreissig Jahre später, arbeiten sie wieder zusammen. Dazwischen liegen 15 bis 20 gemeinsame Theaterproduktionen. So genau weiss Jung das gar nicht mehr, die Anzahl spielt keine Rolle. Wichtig ist nur die Zusammenarbeit, denn für Jung ist Düggelin zum wichtigsten Theaterpartner geworden. Mehr noch: «Er ist Vater, Freund, Lehrer für mich.»
«Nein, nein, nicht singen»
Dritter im Bunde ist diesmal Jacques Brel. Er, der so wunderbare Chansons geschrieben hat wie «Ne me quitte pas», «Les Bourgeois» oder «Amsterdam». Er, der schon zehn Jahre tot war, als Düggelin und André Jung sich zum ersten Mal begegnet sind. Er, der mit seiner unverkennbaren Stimme und Intensität dank seiner Chansons noch heute lebendig ist, wie eh und je. Düggelin hat das Projekt «Brel» wohl schon länger mit sich herumgetragen.
Nach einem Nachtessen mit André Jung rückte Düggelin ein Manuskript heraus mit Texten von und über Jacques Brel und schob die Blätter André Jung zu. «Da wusste ich, es ist was im Tun … und eine Woche später rief Dügg mich schon an …» Jung erklärte Düggelin, also, singen würde er dann nicht, falls da etwas aus dem Manuskript werden sollte … Nein, nein, habe Düggelin abgewunken, nicht singen, es gehe ja um Jacques Brel nach seinem letzten Konzert. Es gehe um das, was Brel nach seiner Karriere gesagt hat, was über ihn geschrieben wurde, was er selbst geschrieben hat und auch, was er vielleicht gedacht und gefühlt hat.
Abschiednehmen und Weggehen
André Jung hat mitgemacht und sich in Brel vertieft. «Brel ist mir sehr nah», sagt er, «dieser Phantast, dieser Visionär». Seine Chansons hört er regelmässig und er liebt diese Texte voller Poesie. «Es gibt viele ganz leise Lieder von Brel, die ich erst heute richtig verstehe. Das ist wie bei Tschechow. Bis ich vierzig war, konnte ich mit Tschechow nicht viel anfangen.» Heute dagegen zählt André Jung zu den grossen Tschechow-Darstellern. Nicht zuletzt unter der Regie von Werner Düggelin hat er einen tief berührenden «Onkel Wanja» im Zürcher Schauspielhaus gespielt. Im Fall Brel ist es aber etwas anders. Jung «spielt» nicht Brel, er lässt sich stattdessen auf ihn ein, könnte man vielleicht sagen. «Wissen Sie, vor zwei Jahren habe ich in Dostojewskis ‘Karamasow’ einen Hund gespielt. Ja, einen Hund. Aber nicht mit langen Ohren und auf vier Beinen. Jeder sieht ja, dass ich kein Hund bin, aber ich habe mich in das Wesen des Hundes versetzt. Genauso ist es, wenn man eine reale Person verkörpert.» Brel zum Beispiel. Einen Mann, der aufhört, um etwas Neues zu machen. Es geht ums Abschiednehmen, ums Weggehen, um die inneren Kämpfe. «Es gibt da wirklich schöne Überlegungen in diesen Texten.»
Die kleinen Dinge
André Jung ist ganz allein auf der Bühne. Es ist eine Art Monolog, den er da spricht. «Es ist noch nicht alles ausformuliert, aber für mich ist es hochspannend und so langsam füllen sich die Sätze zu einem Bogen.» André Jung lebt in München und arbeitet vor allem in Deutschland. Jetzt für dieses Projekt mit Düggelin wieder in der Schweiz zu sein, geniesst er. «Es ist grossartig, mit Dügg zu arbeiten. Er ist jeden Tag pünktlich zur Stelle, knarzt ein bisschen rum, dann arbeitet er zwei Stunden mit mir. Er merkt alles … er sitzt da und guckt und sagt hmmmm … dann weiss ich schon, es ist Mist … und wir feilen dran. Aber ich kann nur sagen, es ist eine Wonne, mit diesem doch recht alten Urgestein auf ziemlich moderne Art Theater zu machen. Und mit ’moderner Art’ meine ich: kein Chichi und kein Video. Alles wird reduziert.» Und genau das gefällt André Jung.
«Unser Abend wird ein kleiner Abend», meint er noch. «Aber Jacques Brel sagt auch: es gibt nur kleine Dinge. Und mit diesen kleinen Dingen kann man vielleicht Dinge machen, die etwas weniger klein sind …»
«Texte von Jacques Brel»
Regie Werner Düggelin
mit André Jung
Schauspielhaus Zürich
Schiffbau/Box
Uraufführung: 15. Oktober 2016