Diskutieren wir für ein Mal nicht die Sinnfrage, ob das Leiden eines in komatöser Agonie liegenden Schuldners verlängert werden sollte, indem man in Griechenland weitere Multimilliarden verlocht. Wenn ein Kreditnehmer auf dem freien Markt bis zu 45 Prozent Zinsen zahlen muss und die Versicherungsprämien für geliehenes Geld auch durch die Decke gehen, dann erübrigt sich das. Diskutieren wir stattdessen die Beschlusslage für diese Hilfen.
Problem gelöst?
Wir erinnern uns: Der Euro-Gipfel vom 21. Juli endete mit der Ansage, dass nun aber und wirklich und Ehrenwort wenigstens das Problem Griechenland erledigt sei. Der x-te Rettungsschirm wird zur stehenden Einrichtung gemacht, das Ungetüm Europäische Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) wird mit Bürgschaften über 780 Milliarden Euro ausgestattet, die x-te und endgültige Finanzspritze für Griechenland gefüllt und abgedrückt. Mitnichten. Kaum einen Monat später wird wieder einmal klar, dass es sich hier um reines Wunschdenken handelte.
Problem eins
Am 7. September entscheidet das Deutsche Bundesverfassungsgericht über die Rechtmässigkeit der ersten (nicht der aktuellen, wohlgemerkt) Griechenland-Hilfe. Es ist nun nicht anzunehmen, dass die obersten deutschen Richter ihrer Regierung frontal eins vor den Latz knallen, das wäre Neuland. Aber angesichts des auch juristisch sehr wackeligen Fundaments dieser ersten Rettungsaktion, die im Eiltempo durch den deutschen Bundestag gepeitscht wurde, kann man mindestens davon ausgehen, dass die Verfassungsrichter ernsthaft und hörbar die Stirne runzeln werden. Was Wasser auf die Mühlen aller Zweifler am aktuellen Rettungspaket sein wird.
Problem zwei
Das führt nahtlos zu Problem zwei, denn auch die wortbrüchig zu einer stehenden Einrichtung gemachte EFSF muss erst noch durchs Parlament. Und nicht nur der deutsche Bundespräsident hat sich in eher aussergewöhnlicher Klarheit kritisch dagegen zu Wort gemeldet. Auch immer mehr Parlamentarier aus den eigenen CDU-Reihen entdecken, dass sie eigentlich nur ihrem Gewissen verpflichtet sind und deshalb Nein sagen müssen. Dann hätten wir noch den ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), der ab 2013 den EFSF ablösen soll und mit etwa 1500 Milliarden Euro ausgestattet wäre. Für Deutschland bedeuten diese beiden Wunderwerke, bei der EFSF mit 211 Milliarden und beim ESM mit weiteren 190 Milliarden Euro zu bürgen. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich weder die Bezeichnungen, noch die Beträge, noch die Art ihrer Bewilligung erfunden habe.
Problem drei
Wie heisst es in US-Gameshows immer so schön: But that’s not all. Damit die EFSF überhaupt in Kraft tritt, müssen ihr alle 17 Euro-Staaten zustimmen. Dummerweise ebenfalls nach Konsultation ihrer Parlamente, so viel Demokratie muss selbst in der EU sein. So hat die in der Slowakei mitregierende Partei «Freiheit und Solidarität» bereits klar angekündigt, dass sie dagegen stimmen werde. Was auch nur konsequent ist, denn bislang hat die Slowakei jegliche Kredite an Griechenland verweigert. Natürlich kann man Parlamente und notfalls auch Bevölkerungen so lange abstimmen lassen, bis das gewünschte Resultat erreicht ist, dieses Prozedere kennen wir ja bereits von der EU-Verfassung her. Aber diesmal ist doch etwas Feuer im Dach, denn Griechenland ist ja nicht erst in ein paar Jahren zahlungsunfähig, wenn es keine weitere Finanzspritzen erhält. Sondern umgehend.
Problem vier
Erinnert sich noch jemand an die markige Ankündigung von Joe «Victory-Zeichen» Ackermann, dass auch Finanzinstitute «freiwillig» einen Beitrag zur Lösung der griechischen Schuldenkrise leisten werden? Letzthin etwas davon gehört? Ich auch nicht. Nur die armen Griechen pochen auf die Einlösung dieses Versprechens und machen sogar todesmutig die Akzeptanz weiterer Finanzhilfen davon abhängig. Aber was ein bis über den Scheitel verschuldeter Staat sagt oder gar androht, nimmt ja niemand so wirklich ernst. Am allerwenigsten ein Banker.
Problem fünf
Finnland hatte bekanntlich angekündigt, von dieser Klausel des grossartigen EFSF-Vertrags Gebrauch zu machen: «Wo angebracht, wird eine Pfandvereinbarung getroffen, um das Risiko abzudecken, das Euro-Ländern aus ihren Garantien an den EFSF erwächst.» Inzwischen wurde Finnland dem Vernehmen nach weichgeklopft, das doch zu unterlassen. Was wiederum die Chancen, dass das finnische Parlament zustimmen wird, eher sinken lässt. Und Österreich, Holland, die Slowakei und Slowenien machen weiterhin klar, dass wenn jemand Pfandrecht beansprucht, sie das auch tun werden. Es gab in der Leserschaft einige kritische Stimmen gegen meine Verwendung des Begriffs «Trümmerhaufen des europäischen Hauses». Ich kann leider nicht erkennen, wo hier im Demokratiegebäude noch ein Stein auf dem anderen steht. Vom finanziellen Fundament ganz zu schweigen. Oder kann jemand behaupten, der deutsche Steuerzahler (oder sein gewählter Volksvertreter) hätte bislang auch nur den Hauch einer Möglichkeit gehabt, bei der Sinnhaftigkeit von Bürgschaften in der Höhe von über 400 Milliarden Euro (immerhin fast das Bruttoinlandprodukt der Schweiz) mitzureden oder gar zu bestimmen?