In diversen Medien werden die Anhänger der Pegida-Demonstrationen als Idioten oder Vollidioten tituliert. Tatsächlich ist es bizarr und befremdlich, dass Pegida gegen Muslime demonstriert, die in Dresden, wo diese Bewegung entstand und am stärksten ist, kaum zu finden sind. Und Pegida beschwört deutsche Sitten, deutsches Brauchtum, deutsches Lied und deutschen Klang, die bei genauerer Betrachtung alle möglichen Wurzeln haben, nur keine „genuin deutschen“. Es gibt so gut wie kein deutsches Copyright auf "Volkstum".
Putin, der Führer
Das alles kann man wissen, aber sie wissen es nicht. Das ist denen auch egal, denn es geht ja nicht um vernünftige Argumente, sondern um das Gegenteil: die Wut im Bauch. Es ist diese Wut, die jedes vernünftige Argument vom Tisch wischt. Ist diese Wut erst einmal freigesetzt, ermöglicht sie die aberwitzigsten "Entdeckungen".
Pegida entdeckt zum Beispiel, dass Putin derjenige ist, der wieder Zucht und Ordnung und überhaupt Identität in den Saftladen bringen könnte, zu dem das deutsche Gemeinwesen heruntergekommen ist. Statt Propaganda für die Homoehe und Genderideologie sollen wieder Zucht und Ordnung herrschen. Aus dieser Perspektive wirkt es wie eine glänzende Bestätigung, dass Putin auch den französischen Rechtspopulisten unter Marine Le Pen mit einigen Millionen Euro unter die Arme greift. Putin ist der richtige Führer zur rechten Zeit.
Kein Mangel an Intelligenz
Der Aufstand des Bauches gegen den Kopf ist das, was Intellektuelle am meisten fürchten. Wenn die Vernunft niedergebrüllt wird, schwindet in ihren Augen die Grundlage rationaler Politik. Der Historiker Fritz Stern und der Altkanzler Helmut Schmidt haben diesen Prozess in ihren Gesprächen über „Unser Jahrhundert“ am Beispiel von Amerika verdeutlicht. In der republikanischen Partei hat sich seit Jahrzehnten ein Trend verstärkt, der sich gegen die Intellektualität der „Ostküste“ richtet. Man will diese „Intellektuellen“ nicht mehr. Entsprechend geht es in der politischen Auseinandersetzung nicht mehr um Argumente, sondern um Parolen – je emotionaler und irrsinniger, desto besser.
Man täuscht sich aber, wenn man diese Art der Dummheit allein mit einem Mangel an Intelligenz gleichsetzt. Dieser Mangel ist zwar weit verbreitet, aber es gibt auch das Gegenteil. Der Gründer und Chef der AfD, Bernd Lucke, ist hochintelligent. Auch viele seiner Mitstreiter sind es. Das Gleiche lässt sich von Nigel Farage, dem Gründer der populistischen Ukip in England sagen. In öffentlichen Debatten nimmt Farage etablierte Politiker derartig auseinander, dass man froh ist, wenn die noch auf eigenen Beinen den Saal verlassen können.
Elementare Wucht
Wie kann man diese Art der Dummheit deuten? Ist sie fehlgeleitete Intelligenz? Und ist sie gerade deswegen so gefährlich, weil sie sich mit der genuinen Dummheit, also dem eklatanten Mangel an Intelligenz, paart? Intelligenz ist verführbar und verführend. Niemand kann sie zwingen, sich für das einzusetzen, was man unter „vernünftig“ versteht: Ziele, die das Leben auf der Welt insgesamt verbessern, und die Bereitschaft, die Ansprüche anderer als gleichwertig mit den eigenen anzuerkennen.
Der Pöbel, der Parolen brüllt, ist leicht in seiner Beschränktheit zu erkennen. Es ist ja gerade diese Beschränktheit, die sich Geltung verschaffen will. Die elementare Wucht, die davon ausgeht, walzt den herkömmlichen politischen Diskurs nieder. Deswegen zeigen sich die etablierten Politiker ratlos. Aber es ist eben nicht nur dieser Pöbel. Er hat inzwischen eloquente Wortführer wie Farage und Lucke. Die bringen Argumente, die in sich völlig verstiegen sein können, sich trotzdem aber nicht ganz leicht widerlegen lassen. Es entsteht also eine unübersichtliche Gemengelage.
Zerfasernde Vernunft
Um die ganze Schwierigkeit zu verstehen, ist es sinnvoll, die Perspektive zu wechseln. Man kann fragen, ob es denn in der Politik so etwas wie „die Vernunft“ gibt. Und die gibt es leider nicht. Denn es gibt nicht „die Politik“. Es gibt Wähler, es gibt Interessen. Aber es fehlt ein Gesichtspunkt für alles. Was aus der Sicht der Ökologie sinnvoll und nötig ist, ist es aus der Sicht der Wirtschaft nicht – zumindest nicht im ersten Anlauf. Wer gegen industrielles Wachstum ist, sichert nicht jene Produktivität, die die Menschen mit Arbeit versorgt und den Sozialstaat dank Steuereinnahmen am Laufen erhält. Wer spart, um die Staatshaushalte zu sanieren, kreiert Massenelend und marode Infrastruktur, wer investiert, hinterlässt Schulden, für die sich die Jungen eines Tages noch herzlich bedanken werden.
Die Vernunft zerfasert. Gerade wenn intelligente Politiker sich mit bestem Wissen und Gewissen für ein bestimmtes Ziel einsetzen, entstehen Kollateralschäden, die ihren besten Intentionen Hohn sprechen. Und wir wissen aus trauriger Anschauung, dass gerade intelligente Politiker sich in Gemengelagen verheddert haben, die keine Ruhmesblätter der Weltgeschichte sind: Henry Kissinger und Kambodscha, Bill Clinton und Somalia, Condoleezza Rice und der Irakkrieg.
Die Torheit der Regierenden
Das ist überhaupt ein Phänomen der Weltgeschichte: „Die Torheit der Regierenden“, wie die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman eines ihrer bekanntesten Bücher genannt hat, ist nicht, wie sie in der amerikanischen Ausgabe im Titel betont, mit „stupidity“ zu verwechseln.
Heisst das nun, dass in der Dummheit von Pegida ein kluger Kern steckt, den es nur noch freizulegen gilt? Das kann nicht die Aufgabe derjenigen sein, die andere Positionen vertreten. Denken heisst urteilen. Der Dummheit muss entschieden und wiederholt entgegengehalten werden, dass sie einen Irrweg passabel machen will.
Wieder und wieder muss wiederholt werden, dass Bauchgefühle gute Sekundenträume sein mögen, sich aber nicht mit der Realität zur Deckung bringen lassen. Wer das nicht kann und will, wird sich später von einigen Mitläufern fragen lassen müssen: Warum habt ihr uns das nicht schon früher gesagt?