Der an den Verlag Huber in Frauenfeld gerichtete Brief vom 10. November 1916 liest sich in seiner verknorzten Eleganz höchst vergnüglich: "Ihre sehr angenehme Bemerkung, daß es Sie freuen würde, weiter mit mir zusammenzuarbeiten, verbindet mich zu Dank und erlaubt mir die Äußerung, daß ich mich meinerseits freuen werde, eine derartige Aussicht auf alle Fälle lebhaft im Gedächtnis behalten zu dürfen."
“Sonst ermüdet der Leser"
Aufschlussreich ist das dem Verlag im Brief vom 12. April 1917 skizzierte Gestaltungs- und Rezeptionsverständnis Robert Walsers: "Ein Buch muss seine Luft und seine angenehme vernunftnahe Schwere haben, es darf nicht so vollgestopft werden, daß die Dinge darin förmlich einander ersticken. Sonst ermüdet der Leser, das Erdrückende schreckt ihn ab, das ist mir klar."
Solche und andere nun ans Tageslicht gerückte Korrespondenz-Passagen fesseln und bringen uns das Denken, die Lebensumstände und die Erwartungen des Schriftstellers noch näher. Der Reihe nach:
Akribische Edition
Der vielleicht sensationelle, auf jeden Fall ausserordentlich bemerkenswerte Fund besteht aus dem Schriftverkehr, den Robert Walser, sein Bruder Karl und der Frauenfelder Verlag Huber zwischen 1916 und 1922 miteinander führten. Es handelt sich u. a. um bisher Unbekanntes, nämlich um sieben Postkarten und elf Briefe und ein Telegramm Robert Walsers an den Verlag und um eine Postkarte, zwanzig Briefe und zwei Telegramme von Huber an den Schriftsteller, sodann um drei Briefe und vier Telegramme, die zwischen Huber und dem Künstler Karl Walser gewechselt wurden. Dazu kommen, bis anhin ebenfalls unbekannt, Vertragsentwürfe und Verträge sowie aus Robert Walsers Hand das Inhaltsverzeichnis fürs geplante Buch "Studien und Novellen".
Dieser umfangreiche Konvolut fand sich jüngst im 1998 dem thurgauischen Staatsarchiv übergebenen Verlagsarchiv, das zwar peinlich genau, aber nicht sofort klar durchschaubar geordnet war, weshalb literaturgeschichtlich Wertvolles lange im Verborgenen blieb. Staatsarchivar André Salathé edierte den gehobenen Schatz mit den teils unbekannten, teils bekannten, jedoch noch nicht veröffentlichten Schriftstücken mit jeder erdenklichen wissenschaftlichen Sorgfalt als Buch unter dem Titel "Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen".
Es wurde, ergänzt mit einer ausführlichen Biografie des Robert Walser betreuenden Verlagsleiters Walther Lohmeyer, als Band 150 vom Historischen Verein des Kantons Thurgau jetzt herausgegeben. Robert Walser, damals an die vierzig Jahre alt und unter bescheidensten Bedingungen in Biel wohnhaft, publizierte bei Huber 1917 "Der Spaziergang" und 1918 "Poetenleben", beide in der Reihe "Schweizerische Erzähler", in der u. a. auch Paul Ilg, Meinrad Lienert, Felix Moeschlin, Ernst Zahn, Robert Faesi, Charles Ferdinand Ramuz und Gonzague de Reynold vertreten waren.
Lohnende Einblicke
Die edierte Korrespondenz, deren informative Kommentierung und die spannende Lohmeyer-Biografie vermitteln in mehrfacher Hinsicht lohnende Einblicke. Wir begegnen einem Robert Walser, der mit Klugheit und Bauernschläue, mit Geradlinigkeit und Stolz, mit Drohungen und Unterwürfigkeit seine schriftstellerischen, wirtschaftlichen und buchgestalterischen Interessen vertritt und sich dabei mal freundlich, mal bockig und stets unberechenbar zeigt.
Ihm gegenüber erleben wir im Deutschen Walther Lohmeyer einen kompetenten, der literarischen Qualität und der gepflegten Buchausstattung verpflichteten Verlagsleiter, der auf seinen Autor Walser mit fördernder Sensibilität reagierte - ihn aber nie persönlich traf - und dessen Wünsche, zuweilen kühne Ansinnen, bis an den Rand des drucktechnisch und finanziell gerade noch Machbaren erfüllte.
"Den Buchstaben entschieden verwerfen"
Die detaillierten Ansprüche Robert Walser verdeutlicht etwa sein Brief vom 19. Juni 1917: "Zum freundlich übersandten Druckmuster werden Sie mir gestatten, folgendes zu sagen: Mit der Wahl des Papiers kann ich mich einverstanden erklären (…), hingegen muss ich, immer Ihre freundliche Erlaubnis vorausgesetzt, den Buchstaben entschieden verwerfen, weil er mir besonders für ein Buch wie 'Poetenleben' zu spitzig und zu eckig vorkommt. Es ist etwas Gekünsteltes, im übrigen etwas durchaus Unvolkstümliches daran, dem ich mich weigere, meine Zustimmung zu geben. (…) Ich schlage eine schlichte, altherkömmliche, ehrbare, an Schul-Lesebücher mahnende, einfache, ehrliche, un-reformierte Fraktur vor, ganz dem Traditionellen entsprechend, warm und vor allen Dingen: rund."
Dem Buch André Salathés gebührt auch das Lob für seinen erhellenden Beitrag zur schweizerischen Literatur- und Verlagsszene während des Ersten Weltkrieges, der die Probleme der kulturellen Identität verschärfte.
Die Rezension sei benutzt für den Hinweis auf die bis zum 15. Oktober 2014 dauernde Ausstellung "Robert Walsers Mikrogramme" im Robert-Walser-Zentrum in Bern.
André Salathé, "Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen." Robert und Karl Walsers Briefwechsel mit dem Verlag Huber (1916-1922) samt einer Biografie von Verleger Walther Lohmeyer (1890-1951), Frauenfeld 2013. ISBN 978-3-9522896-9-3
Robert-Walser-Zentrum, Marktgasse 45, Bern, www.robertwalser.ch
Robert Walser (1878–1956)
Robert Walser gehört zu den rätselhaftesten Schriftstellern seiner Zeit. Geboren in Biel, absolvierte er eine Banklehre. Erste Gedichte erschienen 1898, was ihm den Zutritt zu den literarischen Kreisen Münchens verschaffte.
Mit seinen drei Romanen Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909) erzielte er zwar einen Achtungserfolg, konnte sich im literarischen Leben von Berlin, wo er seit 1905 lebte, jedoch nicht durchsetzen. Im Gefühl, gescheitert zu sein, kehrte Walser 1913 in seine Heimatstadt Biel zurück. Im Dienstbotentrakt des Hotels Blaues Kreuz mietete er sich eine Dachkammer und schuf dort unter äußerst ärmlichen Bedingungen eine große Zahl von Kurzprosatexten. Ab 1921 lebte Walser in Bern. Er veröffentlichte weiterhin im Feuilleton, konnte jedoch, abgesehen von der Buchsammlung Die Rose (1925), keine Bücher mehr publizieren. Nach einer psychischen Krise kam Walser Anfang 1929 in die Heil- und Pflegeanstalt Waldau in Bern, 1933 in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau. Dort stellte er das Schreiben ein und lebte noch 23 Jahre als fast vergessener Autor. Er starb am Weihnachtstag 1956 auf einem einsamen Spaziergang im Schnee.
Quelle: Homepage Robert-Walser-Zentrum