Der griechische Ministerpräsident Samaras greift zum verbalen Zweihänder. Wenn seine Regierung scheitern sollte, «wartet auf uns das Chaos». Den Zustand seines Landes vergleicht er «mit Weimarer Verhältnissen», also der Zeit vor dem Beginn des Hitler-Faschismus in Deutschland. Wenn die nächste Hilfstranche von 31 Milliarden nicht ausbezahlt werde, ist Ende November «die Kasse leer». Darüber braucht er sich allerdings keine grossen Sorgen zu machen.
Wenn’s gut läuft ...
Als letzter Zahlmeister der Eurozone bleibt nur noch Deutschland. Und da hat der Wahlkampf begonnen. Beides hat eigentlich nichts mit der griechischen Tragödie zu tun, wird aber verhindern, dass dort der Vorhang endlich fällt. Denn die ihre Wiederwahl sichern wollende Kanzlerin Merkel kann keine Staatspleite, Verwerfungen auf den Finanzmärkten und Schuldzuweisungen von Spanien, Italien und Frankreich brauchen. Also wird die Hilfspolitik fortgesetzt, die in mehr als zwei Jahren nichts anderes bewirkt hat, als dass Griechenland noch mehr pleite ist als am Anfang. Das ist die wahrscheinliche Variante. Gut ist sie nicht.
Wahlkampfgedöns
Ihr Herausforderer, das selbsternannte Finanzgenie Steinbrück, dröhnt aus rein wahltaktischen Gründen, dass er den Griechen entgegenkommen würde. Man müsse ihnen «mehr Zeit geben», ja vielleicht sogar ein drittes Hilfspaket auf den Weg bringen. Natürlich weiss selbst Vielredner Steinbrück, dass das Unsinn ist. Bereitet aber den Boden für markige Worte, wenn Griechenland tatsächlich Bankrott erklären würde: Merkel hat versagt, mit mir, Steinbrück, wäre das nicht passiert. Aber ich bin ja leider nicht an der Regierung. Das lässt sich aber mit den nächsten Wahlen ändern.
Wenn’s schlecht läuft ...
Ein bis zum Gehtnichtmehr hinausgezögerter Bankrott hat es an sich, dass ganz plötzlich und im wahrsten Sinne unvorhersehbar etwas passiert, was alle Rettungspläne und alles Wahlkampfgedöns Makulatur werden lässt. Wenn’s in einer Gesellschaft an allen Ecken und Enden bröckelt, Hunger, nackte Existenzangst, Verzweiflung und ein völliger Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Staates, wenigstens eine Perspektive aufzeigen zu können, immer mehr um sich greifen, dann brennt die Zündschnur. Da hat Samaras recht, dann droht das Chaos. Es kommt zum Zusammenbruch der Ordnungsmacht, Faustrecht, rechtsfreien Räumen. Parallel dazu erschallt der Ruf nach einer starken Hand, einem Führer, der Hoffnung verspricht und Schuldige benennt. Weimarer Verhältnisse eben.
Alternativlos
Was passiert aber, wenn auch die nächste Hilfstranche von 31 Milliarden Euro in das Fass ohne Boden geworfen wird? Ist dann im November ein einziges Problem gelöst, das Griechenland im Oktober hat? Hat es in den letzten zwei Jahren, ausserhalb des verantwortungslosen Politikergeschwätzes der Eurokraten, irgend ein Anzeichen gegeben, dass Griechenland aus seiner fundamentalen wirtschaftliche Misere herauskommt? Aufschwung, Wachstum, fallende Arbeitslosenzahlen? Optimismus, Hoffnung, Perspektive? Nein, nein und abermals nein. Also werden 31 Milliarden, eine stolze Summe, nur dazu dienen, dass Griechenland allenfalls den Jahreswechsel überleben wird. Um im Januar alternativlos im gleichen Desaster zu stecken wie im Oktober.
Was dann?
Die Wiederholung macht es vielleicht langweiliger, aber nicht falscher. Hätte Griechenland vor zwei Jahren den Staatsbankrott erklärt, ginge es den Hellenen heute besser. Wären die Rettungspakete im Multimilliardenbereich nach einem schmerzlichen Schuldenschnitt und anschliessendem Neustart für Wirtschaftsaufbau verwendet worden, ginge es den Griechen heute besser. Erklärt Griechenland heute, oder im November, Staatsbankrott, dann ginge es dem Land immer noch besser als bei einer Fortsetzung der zwecklosen Lebenserhaltung für einen Leichnam.
Reine Gewohnheit
Perverserweise profitiert Griechenland nur davon, dass die abgehärteten EU-Steuerzahler nicht in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit mehr als einem Brandherd gleichzeitig zu widmen. Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich, das Karussell dreht sich, schlechte Nachrichten aus einem dieser Wackelstaaten werden abgelöst durch noch schlechtere Neuigkeiten aus einem anderen. Unterbrochen von gelegentlichem Triumphgeheul von Eurokraten, denen niemand mehr ein Wort glaubt. Endspiel in Europa. Während sich Merkel und Steinbrück um die nächsten Wahlen kümmern.