Hier siehst du Blätter, Früchte, Blumenspenden
und hier mein Herz, es schlägt für dich allein.
Dies sind die poetischen ersten zwei Zeilen des Gedichts „Green“ von Paul Verlaine. Es stammt aus einem Gedichtband mit dem Titel „Romances sans paroles“, also Lieder ohne Worte. Vor rund 150 Jahren hat Verlaine diese Gedichte geschrieben. Für Philippe Jaroussky wurden sie zum „geheimen Garten“, wie er es nicht minder poetisch ausdrückt. Zu einem Garten, in dem er nun die Blumen für einen Strauss wunderschöner Lieder gepflückt hat. Lieder und Chansons, mit denen er jetzt auf Tournee ist und die er auf seiner neuesten CD veröffentlicht hat. „Green“ heisst das Programm, und „Green“ heisst die CD.
Star unter den Countertenören
Philippe Jaroussky, 37 Jahre alt, Franzose mit russischen Wurzeln, gilt heute als einer der Stars unter den Countertenören. Mit hinreissenden Barockarien aus der Zeit der Kastraten betört er sein Publikum weltweit. Dafür erhielt er Auszeichnungen und Preise und seine Fans lieben die teils halsbrecherischen Koloraturen und seine Falsettstimme.
Und nun das: Lieder mit Gedichten von Verlaine. Zuvor hatte er unter dem Titel „Opium“ einen ersten Versuch – ausserhalb des Barock - mit verschiedenen französischen Komponisten gemacht. „Für mich war dieses Repertoire immer mein geheimer Garten und nach dem ersten Album ‚Opium‘ habe ich beschlossen ein zweites mit der Dichtung Paul Verlaines zusammenzustellen. Er ist der französische Dichter, der am meisten vertont wurde.“
Die zarten Gedichte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verlaine zu seiner Zeit ein Skandalgenie war. Sex, drugs and rock ’n‘ roll schien eher seine Masche zu sein als die blaue Blume der Poesie. Vielleicht waren sex, drugs and rock ‚n‘ roll aber nur der Nährboden für die Gedichte, die nun dank Philippe Jaroussky zu neuem Leben erwachen.
Verborgene Schätze
„Die Auswahl war riesengross und ich wollte mich vor allem auf die bekanntesten Gedichte konzentrieren“, so Jaroussky. Besonders interessant wird es dort, wo er das gleiche Gedicht in verschiedenen musikalischen Versionen präsentiert. „Da gibt es die geläufigen von Fauré, Debussy und Hahn, aber auch kleine, verborgene Schätze etwa von Poldowski oder Bordes.“
Acht Jahre hat Philippe Jaroussky an diesem Projekt gearbeitet. Zusammen mit dem Pianisten Jérôme Ducros hat er an Bearbeitungen herum getüftelt und schliesslich 43 Stücke zusammengestellt. „Das ist ein Repertoire, das einen sozusagen nackt auf der Bühne stehen lässt. Wenn man diese Lieder singt, stellt man sich aus.“ Man ist schutzlos und kann sich nicht hinter der grossen Operngeste oder unter dicker Schminke verstecken. Und beim Proben hat er herausgefunden: „Man muss es so nüchtern wie möglich singen, man darf nicht zu dramatisch werden.“ Eher so, wie die grossen Stars des französischen Chansons: Edith Piaf oder Charles Trenet. „Diese Lieder sind eine Reise ins Innere, um sich selbst besser kennenzulernen“. Voilà!
Befremdlich und irritierend
„Green“, das bezieht sich aber nicht nur auf die Natur, sondern auch auf die „grüne Fee“, den Absinth, dem Paul Verlaine mehr zugetan war, als ihm gut tat. Neben dem Alkoholmissbrauch brachte ihn aber auch seine homosexuelle Beziehung zu Dichterkollege Arthur Rimbaud ins Gerede und als er versuchte, ihn zu erschiessen, wanderte Verlaine auch noch ins Gefängnis. Dort schrieb er immerhin einen grossen Teil, seiner Gedichte.
Dass diese Gedichte nun in der faszinierenden Stimmlage eines Countertenors gesungen werden, passt. Es ist nicht der gerade, harmonische, einfache Weg. Jarousskys Interpretation hat stattdessen etwas Befremdliches, etwas Irritierendes, das diese Lieder verführerisch macht und den Gedichten und ihrem Hintergrund absolut gerecht wird.
„Für mich ist diese Stimmlage einfach eine Gesangstechnik“, erklärt Philippe Jaroussky. „Für viele Leute bleibt sie aber ein Mysterium. Für einen Countertenor ist sie aber Teil des Erfolgs.“ Ganz besonders natürlich bei den Barockarien. „Die Stimme führt das Publikum zurück in die Vergangenheit mit all‘ den Kastratengeschichten. Das Publikum begibt sich auf eine Reise ins Imaginäre.“ Und eine Reise ins Imaginäre sind nun auch die Lieder mit Verlaine-Gedichten, die Jaroussky mit „Engelsstimme“ singt, wie seine Stimme oft und gern beschrieben wird.
Engelsstimme
„Das Image einer Engelsstimme gefällt mir gar nicht“, wehrt er sofort ab. „Das reduziert mich zu sehr auf einen netten, herzigen Bub.“ Trotzdem verdankt er seinen Erfolg genau dieser „Engelsstimme“. „Das wesentliche ist, engelhaft auf der Bühne zu sein, und ganz irdisch, wenn man von der Bühne abtritt.“
Jetzt ist Philippe Jaroussky erst einmal unterwegs mit „Green“. Dann geht es aber im Sommer weiter mit Barock. In Aix-en-Provence spielt er den Ruggiero in Händels „Alcina“. Und noch etwas wartet auf Philippe Jaroussky: Johann Sebastian Bach. „Das ist eines meiner wichtigsten Projekte“.
Philippe Jaroussky mit „Green“
Montag, 13. April im KKL
Dienstag, 5. Mai L’Abbaye de Bonmont
CD „Green“ – Mélodies françaises sur des poèmes de Verlaine
Erato Warner Classics