Unter dem Titel „Die Tunisreise 1914“ widmet das Zentrum Paul Klee (ZPK) in Bern dem legendären, zum ungewöhnlichen Ereignis gewordenen Ausflug der drei Künstlerfreunde in das nordafrikanische Land eine aufschlussreiche und sehenswerte Ausstellung. (* Über 140 Werke lassen diese „Sternstunde der Moderne“, wie die Reise oft bezeichnet wird, in ihrer ganzen Pracht aufleuchten. Die Tunesienreise gehört zu den kunsthistorischen Schlüsselereignissen des 20. Jahrhunderts. In der Aquarellmalerei wurden neue Akzente gesetzt. Künstlerische Ausdrucksmittel und Formen wurden massgebend in neue Dimensionen gerückt.
Der Tunesientrip hat das Schaffen der drei befreundeten Künstler tiefgehend geprägt und nachhaltig beeinflusst. Das Fremde, das Exotische hat die Gruppe fasziniert und inspiriert. Durch das spezielle nordafrikanische Licht verleitet, schufen die drei Maler eigenständige Bilder von beeindruckender, unverwechselbarer Leuchtkraft und Schönheit. Klee, Macke und Moilliet konnten während des knapp zweiwöchigen Aufenthalts ihre Eindrücke gegenseitig austauschen, über ihre Bilder diskutieren. Ihre Kreationen entstanden in einem Dialog künstlerischer Selbstverwirklichung. Paul Klee brachte 30 Aquarelle und 13 Zeichnungen heim. August Macke malte 33 Aquarelle und füllte drei Skizzenbücher mit 79 Zeichnungen. Louis Moilliet, der schon früher in Tunesien weilte, begnügte sich mit lediglich drei Aquarellen und 11 Zeichnungen. Klee und Macke lieferten sich in Tunesien einen regelrechten bildnerischen „Wettstreit“. Die Bilder gleichen sich oft und zeichnen sich trotzdem durch eine klare Differenzierung und persönlich Raumgestaltung aus. Auch thematisch kommen die persönlichen Empfindungen der drei Künstler zum Ausdruck. Bei Macke beispielweise stehen vielmehr die Natur, aber auch Menschen und Tiere, Markt- und Strassenszenen im Vordergrund, bei Klee hingegen ist eher die architektonische Vielfalt bildbeherrschend, untrennbar mit der unmittelbaren Landschaft verbunden. .
„Die Farbe hat mich“
Die Reise begann am 7. April 1914 in Tunis, wo die Gruppe von einem Schweizer Ehepaar aufgenommen und betreut wurde. Nach ersten Eindrücken, und ersten Bildern aus dem Araberviertel, vom Strand oder aus Sidi bou Said wurde die Umgebung der Hauptstadt besucht. Am 14. April ging es weiter nach Hammamet und dann zum Teil zu Fuss über sandige Strassen nach Kairouan. „Was für ein Tag“, schreibt Klee nach Ankunft in Hammamet und präzisiert beim Blick auf die Welt, die sich ihm hier auftut: „Das ist ganz biblisch“. Das große Erlebnis ist aber eindeutig Kairouan, dieser heilige Ort in der Wüste. Die Künstler sind überwältigt von dieser Stadt mit einer grossartigen Moschee, eines der grossen geistigen Zentren des Islams überhaupt. Drei Tage, vom 15. bis 18. April, es war Ostern, verbrachten die Künstlerfreunde an diesem magischen Ort. Ein Osterspaziergang der besonderen Art. Das Licht, die Farben Tunesien tauchen gerade in dieser eigenartigen Umgebung alles in eine geradezu mystische Atmosphäre. Und sie bilden die prägenden Merkmale der künstlerischen Ausdrucksformen der drei Künstler. „Die Farbe hat mich. Ich brauch nicht mehr nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer „, so ein Eintrag Klees in sein Tagebuch, datiert vom 16. April 1914. Und er präzisiert: „Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler“..
Neben den Bildern von Tunis und Umgebung oder von Hammamet sind die Aquarelle aus Kairouan sicher die aussagestärksten und originellsten. Kaum angekommen malten und zeichneten die drei Freunde bereits und liessen sich von der einmaligen Atmosphäre des Ortes inspirieren. Der Aufenthalt in der Wüstenstadt bildete den Höhepunkt der Reise. Wie sehr beispielweise Kairouan zum künstlerischen Erweckungserlebnis wurde geht aus den Tagebuchnotizen Klee hervor: „Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiss“.
Paul Klee, vom Erlebten wohl allzu viel in sich aufgenommen, entschloss sich frühzeitig zurückzureisen. „Ich habe eine gewisse Unruh, mein Karren ist zu voll geladen, ich muss an die Arbeit. Die große Jagd ist zu Ende“, hat der Künstler am 19. April in sein Tagebuch geschrieben. Die künstlerische Arbeit in Tunesien wird bis heute als Wendepunkt in seinem Schaffen angesehen. Zurück in München, wo er damals wohnte und arbeitete, malte er sogleich weitere Bilder, die auf Tunesien verweisen. Und noch während ein paar Jahren lassen sich in den Werken tunesische Spuren erkennen. Einen sicheren und letzten nicht undramatischen Höhepunkt war die Tunesienreise für August Macke. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nur wenige Wochen nach der Heimkehr musste Macke einrücken und Ende September des gleichen Jahres fand er an der Westfront, in der Champagne, den Tod.
Leihgaben aus der ganzen Welt
Michael Baumgartner, der große international angesehene Kleekenner und Leiter der Abteilung Sammlung, Ausstellung und Forschung des ZPK, hat die Ausstellung meisterhaft kuriert. Ein breitgestecktes, lückenloses Panorama vermittelt ein lebendiges Bild der aussergewöhnlichen Reise. Die Faszinationskraft wird in ihrer Ganzheit wahrgenommen. Es wird auch sichtbar, wie sehr die Reise sich im Schaffen Klees nachhaltig ausgewirkt hat. Auch bei Moilliet, der in der Folge mehrmals nach Tunesien zurückgekehrt war, ist die spannende Auseinandersetzung mit orientalischer Thematik offensichtlich. Noch nie zuvor waren so viele auf der Reise oder darauf Bezug nehmende Werke der drei Künstler in einer einzigen Ausstellung zu sehen, wie beim ZPK festgehalten wird. Es war ein ehrgeiziges Ziel, soviel wie nur möglich der über die ganze Welt verstreuten Aquarelle von Klee, Macke und Moilliet zusammenzubringen. Dank der ausgezeichneten internationalen Vernetzung des Zentrums Paul Klee ist eine praktisch nahtlose Zusammenstellung gelungen. Neben zahlreichen privaten Sammlern hat ein gutes Dutzend der grössten Museen und Kunstinstitutionen der Welt mit Leihgaben die Ausstellung ermöglicht. Erwähnt seien hier das Metropolitan Museum of Art in New York, das Museo Thyssen in Madrid , das Centre Pompidou in Paris, die Phillips Collection in Washington usw. bis hin zu den führenden Kunstmuseen der Schweiz.
Wechselvolle Vorgeschichte
Eine wechselvolle Beziehung und Geschichte zeichnet das Vorspiel zu der legendären Reise. Paul Klee und Louis Moilliet kannten sich aus der Schulzeit. Beide besuchten zusammen in den Jahren 1890 bis 1898 das Literarische Gymnasium Bern und schlossen mit dem Abitur ab. Moilliet reiste bereits 1908 erstmals nach Tunesien. Im Haus der Moilliets in Gunten am Thunersee lernt Klee Macke kennen, der mit Moilliet befreundet ist. Der deutsche Künstler übersiedelt bald in die Schweiz und wohnt ebenfalls am Thunersee, in Hilterfingen. Mehrmals taucht die Idee von einer Tunesienreise auf. Im Dezember 1913 waren die Künstler bei den Moilliets versammelt. Jetzt haben wir zu drei geschworen, dass es sein soll“ so ein Eintrag Klees in sein Tagebuch. Das grosse Problem ist für Klee die Finanzierung.
„Ich kann als vermögensloser Familienvater so etwas erst dann riskieren, wenn Garantien vorlegen“, schrieb er noch wenige Wochen vor Reiseantritt an seinen Freund Moilliet. Ein Berner Apotheker sprang ein. Gegen ein paar Bilder von Klee stellte er dem Künstler 500 Franken zur Verfügung. Die Reise konnte stattfinden.
Katalog als Dauerausstellung
Der von Michael Baumgartner bei Hatje Cantz verlegte Katalog ist weit mehr als ein blosser Ausstellungsführer. Der 340 seitige Band, reichlich illustriert (287 Bilder) ist nicht nur ein wertvoller Begleiter durch die Ausstellung sondern eine regelrechte „Dauerausstellung“, die jederzeit begangen werden kann. Sämtliche ausgestellten Bilder sind ganzseitig wiedergegeben. Die Veröffentlichung enthält zudem mehrere wissenschaftliche Beiträge, die das kunsthistorische Ereignis erleuchten und verständlich machen.
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*) Die Tunisreise 1914, Paul Klee, August Macke, Louis Moilliet. Zentrum Paul Klee, Bern. Bis 22. Juni 2014. .