Was für ein grandioses Finale: Benjamin Brittens «War Requiem» zum Abschluss. Damit beendet Teodor Currentzis seine Tätigkeit als musikalischer Leiter des SWR-Symphonieorchesters und setzt gleichzeitig ein mächtiges Zeichen gegen Krieg und Zerstörung, das deutlicher nicht hätte ausfallen können.
Noch einmal war Currentzis auf Tournee, von Stuttgart über Freiburg in die grossen Konzertsäle Deutschlands. Alle Konzerte waren ausverkauft. Und überall war das Publikum gleichermassen ergriffen von diesem gewaltigen Werk, das Britten als Mahnmal gegen die beiden Weltkriege und zur Einweihung der neuerbauten Kathedrale von Coventry komponiert hatte, nachdem die prächtige alte Kathedrale im zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe total zerstört worden war.
Currentzis hat dieses Werk sehr bewusst gewählt, denn seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine stand Currentzis – als griechisch-russischer Doppelbürger – unter dem Erwartungsdruck, sich gegen Russland zu äussern. Aber in St. Petersburg hat er sein eigenes Orchester, MusicAeterna, mit dem er vor dem Krieg in ganz Europa bewundert und bejubelt wurde. Ein Orchester, das er aufgebaut hat und das er auch nicht ohne weiteres verlassen konnte und wollte. Er schwieg.
Musikalisches Statement
Man kann das «War Requiem» in der Interpretation von Currentzis nun durchaus als sein ganz persönliches Statement zum Krieg ansehen und so hat es das Publikum auch verstanden. «Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen» singt der Chor gleich zu Beginn. Es sind Texte einer Totenmesse und Gedichte des Engländers Wilfried Owen. Das «War Requiem» gilt seit jeher als musikalisches Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung. In diesem Sinne ist es auch eine Anklage gegen aktuelle Kriege, in der Ukraine und anderswo.
Nach anderthalb Stunden gewaltiger Musik, die Kriegsbilder vor dem geistigen Auge entstehen lässt, Musik mit grossem Orchester, mit Chor und separatem Knabenchor und drei Solisten, verebbt der Klang am Schluss wie im Nichts … ohrenbetäubende Stille … Dann tosender Applaus und Ovationen.
In einem Clip des SWR hat sich Currentzis vor der Konzert-Tournee in der ihm eigenen philosophisch angehauchten Weise geäussert: «Das ist ein Stück, das jeder kennen muss. Ein Stück, das die Wahrheit auf spirituelle Weise sagt. Es geht um verschiedene Arten von Frieden, die miteinander verbunden werden. ‘Requiem’ heisst: Lasst sie in Frieden ruhen. Das ist die eine Art von Frieden. Der Friede zwischen den Menschen ist die andere. Lasst uns in diesem Bild der Stille am Ende des Stücks auf unser eigenes Leben schauen. Du willst keinen Krieg? Dann schliesse Frieden in deiner Familie. Du willst keine Unterdrückung? Also sei nett zu deinen Mitmenschen. Du willst keine Feinde haben? Vergib den Menschen, die dir etwas angetan haben.»
Made by Currentzis
Vor sechs Jahren hat Teodor Currentzis – überraschend – das SWR-Orchester übernommen. Entstanden ist es aus der Zusammenlegung zweier verschiedener Rundfunk-Orchester. Eine knifflige Aufgabe, für die Currentzis dank seines Charismas und seiner Erfahrung die ideale Wahl war. Schon nach kurzer Zeit ist es ein bisschen auch «sein» Orchester geworden, wie zuvor schon «MusicAeterna», das er in Novosibirsk gegründet hat und das ihm nach Perm und schliesslich nach St. Petersburg gefolgt ist. Ein Orchester, das seither Beifallsstürme ausgelöst hat, wo immer es quer durch Europa aufgetreten ist. Das war vor dem Ukraine-Krieg. Seither hat Currentzis ein weiteres Orchester nach ähnlichem Muster aufgebaut, «Utopia», mit dem er ausserhalb Russlands arbeitet. Alle drei Orchester haben das Qualitäts-Label «Made by Currentzis». Für den SWR war es ein absoluter Coup.
Sabrina Haane, die Gesamtleiterin des SWR-Orchesters, sagt: «Currentzis hat damals das Orchester nur übernommen, weil er es selbst formen konnte. Und geprägt war die Zeit von Aufregung und künstlerischer Exzellenz: 100 Prozent sind ihm nicht genug.» Die Leidenschaft für das, was er tue, sei sein Antrieb, sagt sie. «Das ‘War Requiem’ aufzuführen, war für ihn ein Kindheitstraum, sagte uns Currentzis, und das wollten wir ihm ermöglichen.»
Currentzis selbst fasst diese kreative Phase beim Aufbau des Orchesters so zusammen: «Ich wollte einen Sound kreieren, der die Hingabe zur Musik lebendig macht, der den Musikern das Gefühl gibt, dass sie wahre Künstler sind, ich wollte das künstlerische Feuer in ihnen entfachen.»
Dies alles ist ihm gelungen. Und das «War Requiem» ist der krönende Abschluss des gemeinsamen Weges von SWR-Orchester und Teodor Currentzis. Leidenschaft und bedingungslose Hingabe an die Musik seien das Erbe, das der Dirigent dem Orchester und seinem Publikum hinterlasse, so die Orchester-Leiterin Sabrina Haane.
Auch für das SWR-Orchester geht nun eine spannende Zeit zuende. Tatjana Ruhland, Soloflötistin des SWR-Orchesters, über die Jahre mit Teodor Currentzis
Bedauert das Orchester das Ende seiner Ära mit Teodor Currentzis?
«Wie bei jedem Chefdirigentenwechsel gibt es bleibende Eindrücke von Konzerten und von der Probenarbeit, die wir sehr geschätzt haben und an die man sich gern erinnert. Das SWR-Orchester konnte sich in diesen entscheidenden, ersten Jahren seines Bestehens mit Teodor Currentzis auf die künstlerische Arbeit konzentrieren. Dafür und für die Möglichkeit, mit ihm regelmässige Gastspiele, zum Beispiel in der Elbphilharmonie, der Berliner Philharmonie oder im Festspielhaus Bade-Baden zu geben, sind wir dankbar.»
Was waren für Sie die Highlights?
«Ich erinnere mich gern an die 7. Sinfonie von Schostakowitsch an den Salzburger Festspielen 2019. Ausserdem war das allererste Sonderkonzert zum Amtsantritt mit Musik von Jean-Philippe Rameau 2018 für mich ein highlight».
Hat der Ukraine-Krieg in der Beziehung zwischen Currentis und dem Orchester eine Rolle gespielt?
«Selbstverständlich war das ein Thema, das stets präsent war und worüber im Orchester diskutiert wurde».
Und was nehmen Sie persönlich aus der Zusammenarbeit mit Currentzis mit?
«Ich persönlich habe diese Phase als eine Zeit von höchst energetischen Dirigaten erlebt und von packenden Interpretationen, die geprägt waren von extremer Dynamik. Das Orchester kann auf Konzerte zurückblicken, die beim Publikum sehr gut ankamen»