Der Sieger steht schon fest. Der im Mai gestürzte Bundeskanzler Sebastian Kurz wird die vorgezogenen Wahlen gewinnen. Meinungsumfragen geben seiner konservativen christlichen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zwischen 32 und 36 Prozent.
Das sind etwa zehn Prozent mehr, als den zweitplatzierten Sozialdemokraten vorausgesagt werden. Der Vorsprung der ÖVP ist so gross, dass man die Wahlen als bereits entschieden und damit als langweilig bezeichnen könnte. Doch das sind sie nicht.
Wichtig ist, wie die anderen Parteien abschneiden. Denn um regieren zu können, braucht der 33-jährige Kurz einen Partner.
Ibiza-Skandal „professionell weggelächelt“
Die Frage, die die 6,4 Millionen Wahlberechtigten am meisten beschäftigt, ist: Wird Kurz erneut die Freiheitlichen (Mitglieder der FPÖ) ins Boot holen – dies trotz des Ibiza-Videos, in dem sich der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache aufs Schändlichste demaskierte – und trotz der vielen braunen Ausfälle mancher FPÖ-Mitglieder?
Die Partei gibt sich zurzeit geläutert. Strache wurde während des Wahlkampfs auf Eis gelegt. Der neue Parteichef, der 48-jährige Norbert Hofer, äussert sich zahm und bietet sich unterwürfig als Koalitionspartner an. Die Zeitung „Der Standard“ kommentiert: Hofer „lächelt den Ibiza-Skandal professionell weg“.
Strache ist kein Einzelfall
Doch Sebastian Kurz weiss: „Wenn ich wieder mit der FPÖ regiere, ist der nächste Skandal programmiert.“ Strache ist kein Einzelfall. Immer wieder fällt das FPÖ-Personal mit Skandälchen und Skandalen auf. Im Geist sind die Freiheitlichen nach wie vor eine teils rechtsextreme Partei. Auch wenn Strache zeitweise aus dem Verkehr gezogen wurde: Noch immer ist er präsent, und noch immer steht die Mehrheit der Partei hinter ihm. Zudem belegt seine Frau Philippa einen der ersten Listenplätze und gilt damit als so gut wie gewählt.
Man war davon ausgegangen, dass die FPÖ nach dem Ibiza-Video zusammenbrechen würde. Nichts dergleichen geschah: Die Partei verlor mickrige 6 Prozent und liegt knapp hinter den Sozialdemokraten auf Platz drei.
Der „Dobermann“
Die FPÖ tritt wieder selbstbewusst, teils arrogant auf. Da gibt es noch immer den früheren Innenminister Herbert Kickl, den Beobachter in Wien „den Dobermann“ nennen. Er hatte Kurz das Leben zur Hölle gemacht. Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos warf ihn der Kanzler aus der Regierung. Kickl verlangt jetzt aber weiterhin, Innenminister in einer neuen Regierung zu werden. Spricht man in Wien mit alteingefleischten österreichischen Journalisten, hört man in Bezug auf Kickl wenig Schmeichelhaftes. Er sei „intellektuell nicht gerade ein Klassenprimus“. Dafür beisse und poltere er und verbreite ein sehr „unangenehmes, geschichtsrevisionistisches Gedankengut“.
Norbert Hofer, der gescheiterte Anwärter auf das Amt des Bundespräsidenten, ist nach Straches Sturz Parteipräsident der FPÖ geworden. Er pflegt plötzlich einen gemässigten Stil und bekennt sich nun sogar zur EU. Doch in der Sache ist er hart und steht weit rechts. „Er hat etwas Fundamentalistisches an sich“, sagt ein Kommentator.
Würde Kurz erneut die FPÖ in die Regierung holen, würde Hofer Vizekanzler. Für Kickl könnte eine Zwangslösung gefunden werden. Anstatt Innenminister könnte er Fraktionschef der Partei (Obmann) werden. Damit könnte er weiterhin Kurz das Leben schwer machen. Denn als Obmann würde er an den wichtigen Regierungsgesprächen teilnehmen können.
Alles scheint verziehen
„Ohne uns kippt Kurz nach links“, heisst es auf Wahlplakaten der Freiheitlichen. Seine Gegner antworten: „Mit der FPÖ kippt die Regierung wieder nach rechtsaussen.“
Kaum jemand spricht heute davon, dass Sebastian Kurz es war, der die FPÖ in die Regierung geholt hat – dies, obwohl bekannt war, wes Geistes die Partei ist. Lange, lange Zeit hat er die teils rechtsextremen Eskapaden der Freiheitlichen toleriert. Das scheint alles verziehen. Auch das lächelt man weg. Man lächelt in Österreich vieles weg.
Wird also Kurz trotz allem erneut mit der FPÖ regieren? Oder besser: regieren müssen. Denn: Wer kommt sonst in Frage?
Wiedergeburt der Grünen
Die Grünen sind bei den letzten Wahlen aus dem Parlament geflogen, weil sie mit 3,8 Prozent die 4-Prozent-Hürde nicht übersprangen. Jetzt könnten sie eine fast schon phantastische Wiedergeburt erleben. Meinungsforscher prophezeien der Partei deutlich mehr als 10 Prozent. Der grüne Parteiführer, der 57-jährige Werner Kogler, ist ein pragmatischer Politiker, kein Träumer. Wegen „seines Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge“, werde er als „Unternehmergrüner“ bezeichnet, schreibt Christian Rainer, der Herausgeber des Nachrichtenmagazins „Profil“.
Kogler plädiert auch für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen und vertritt damit eine weniger strikte Abschottungspolitik als der Kanzler. Dieser kritisierte diese Woche die humaner gewordene Flüchtlingspolitik Italiens und Spaniens.
Würden die Grünen in die Regierung eingebunden, gelänge ihnen, was kaum einer Partei gelingt: der Sprung von der aussenparlamentarischen Opposition direkt auf die Regierungsbank.
Doch auch mit den Grünen könnte Kurz Probleme kriegen. Etwa 40 Prozent der grünen Belegschaft stehen klar links. Viele sind radikale Linke und radikale Grüne. Die Frage würde sein, welche Richtung sich schliesslich in der Partei durchsetzt.
Moderne, linke Parteichefin
Die Sozialdemokraten, die einst ehrwürdige Partei von Leuten wie Bruno Kreisky, haben viel von ihrem Glanz verloren. Sie können allerdings damit prahlen, dass sie sowohl die bürgerliche ÖVP als auch die Grünen und die „Neos“ stark „sozialdemokratisiert“ haben. Immerhin ist die SPÖ mit prognostizierten 23 Prozent noch immer die zweitstärkste Formation im Land. Ihre Parteichefin, die 48-jährige Pamela Rendi-Wagner, eine Ärztin, vertritt eine moderne, linke, pragmatische Politik.
Die meisten Beobachter zweifeln allerdings daran, ob Kanzler Kurz mit Frau Rendi-Wagner regieren könnte. Die beiden geraten sich immer wieder in die Haare. Rendi-Wagner griff den Kanzler mehrmals persönlich stark an. In Wien sagt man, die beiden würden sich innig verachten. „Für Kurz steht Pamela Rendi-Wagner allzu links“, heisst es. Doch auch in Österreich gilt nach den Wahlen oft nicht mehr, was vor den Wahlen galt.
Das Abschneiden der SPÖ könnte entscheidend sein. Erzielt die Partei ein schlechtes Ergebnis, könnte Frau Rendi-Wagner stürzen.
Dann könnte sie ersetzt werden durch Hans Peter Doskozil, den SPÖ-Landesparteivorsitzenden des Burgenlandes. Er steht weiter rechts als Rendi-Wagner und wäre dann Sebastian Kurz wohl genehmer. „Die SPÖ könnte sich dann dem Kanzler vor die Füsse werfen“, heisst es.
Die Neos, links und rechts
Die „Neos“ sind eine moderne Zwitterpartei. Gesellschaftspolitisch stehen sie klar links und vertreten auch viele grüne Postulate. Wirtschaftspolitisch hingegen ist sie eine kompromisslose Rechtspartei, die die freie Marktwirtschaft und die Globalisierung über alles stellt. Angeführt wird die Partei, die laut Umfragen auf 9 bis 11 Prozent der Stimmen kommt, von der 41-jährigen Abgeordneten Beate Meinl-Reisinger.
Doch eine Koalition zwischen der ÖVP von Kanzler Kurz und den Neos würde zahlmässig nicht zur nötigen Mehrheit reichen. Da bräuchte es einen dritten Koalitionspartner. Das wären wohl die Grünen. Doch eine Dreierkoalition möchte Kurz vermeiden, da sie viel Unruhe brächte.
Sicher ist nur: Ohne die ÖVP kann, rein rechnerisch, keine Koalition regieren.
Der alte und neue Kanzler ist nicht zu beneiden, denn alle Optionen sind äusserst riskant. Welche Partei er auch immer als Koalitionspartner wählt: Er könnte sich heftige Probleme einhandeln.
Mehrere Beobachter fürchten, dass er sich dann doch wieder für die FPÖ entscheidet.
Dann allerdings kann er nur hoffen, dass nicht bald ein neuer Skandal losbricht – so wie vergangene Woche.
Der niederösterreichische FPÖ-Klubobmann Martin Huber hatte am 20. April, dem Geburtstag Hitlers auf Facebook geschrieben: „Herzlichen Glückwunsch an jene, die heute Geburtstag haben.“ Das Posting ist zwar nicht neu, wurde aber erst jetzt bekannt. Immerhin reagierte FPÖ-Chef Hofer umgehend: er suspendierte Huber. Dieser reagierte unbeholfen: „Am 20. April“, verteidigte er sich, „haben ja auch andere Geburtstag.“