„Claudio Abbado“ steht auf der Steinplatte. Sonst nichts. Schlicht, schmucklos und unauffällig ist das Urnengrab, in dem einer der grössten Dirigenten unserer Zeit seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Dieses Urnengrab liegt in einem kleinen Friedhof im Fextal. Dort, wo auch Abbado zu Lebzeiten so gern war. Das Licht, die Stille, die Berge, die Natur. Das bildete für Claudio Abbado im Engadin, und ganz besonders im Fextal, eine unvergleichliche Einheit.
Anfang Oktober gab es in der „Engadiner Post“ unter der Rubrik „Aus den Verhandlungen des Gemeindevorstands Sils“ eine kleine Notiz. Da hiess es ganz lapidar: „Der Gemeindesvorstand heisst die Anfrage für die Urnenbestattung des jahrelang im Val Fex wohnhaften Claudio Abbado auf dem Friedhof Fex gut“.
Ruhe Stille
Drei Wochen später, an Allerheiligen, wurde die Urne im Friedhof Fex beigesetzt. Ohne Rummel, ohne Öffentlichkeit , in aller Stille.
Überrascht war sogar Michael Haefliger, der Intendant des Lucerne Festivals und ein enger Freund Abbados. Haefliger war zu diesem Zeitpunkt gerade mit dem Festival-Orchester in Japan unterwegs. „Ich hatte eigentlich mit Bologna gerechnet“, sagt er. „Ich finde es wunderbar, dass er im Fextal beigesetzt wurde. Er liebte diesen Ort über alles und hat hier immer Ruhe und Kraft gefunden“, sagt Michael Haefliger.
Ruhe. Stille. Sie war ohnehin das Leitmotiv für Claudio Abbado. Wenn er während eines Konzerts die Musik fliessen liess und den Raum mit Klang füllte, dann liess er anschliessend alles in Stille münden, in geradezu ohrenbetäubende Stille, bevor er den Applaus des Publikums zuliess.
Zusammengewürfeltes Orchester
Diese Stille liebte er auch im Fextal. Eine Stille, die es ihm ermöglichte, Schneeflocken fallen zu hören, wenn er sein Haus verliess und durch die Landschaft spazierte.
Michael Haefliger war es, der spontan und mit Begeisterung zugestimmt hatte, als Claudio Abbado ihm vor mehr als zehn Jahren vorschlug, die Idee eines Luzerner Festivalorchesters wieder aufzunehmen. In den Anfangszeiten der „Internationalen Musikfestwochen Luzern“, wie das Lucerne Festival damals vor 76 Jahren noch hiess, hatte der grosse Arturo Toscanini ein Orchester gegründet, in dem die besten internationalen Musiker zusammenspannten. Es war Krieg und viele Musiker mussten ihr Land und ihr Orchester verlassen. In Luzern fanden sie damals zusammen.
Claudio Abbado schwebte ebenfalls ein zusammengewürfeltes Orchester vor. Zum Glück aber ohne Krieg… Abbado griff zum Telefon und rief befreundete Musiker an. „Wenn Claudio am Telefon ist und fragt, ob man in sein Orchester kommen will, dann kann einem einfach nichts Besseres passieren“, heisst es von Seiten der Musiker.
Das Orchester hat seine Lichtgestalt verloren
So konnte Claudio Abbado in den letzten zehn Jahren seines Lebens in der Schweiz mit dem Lucerne Festival Orchester einen Traum verwirklichen. Es wurde ein Orchester der Superlative. Und Abbado blühte noch einmal auf. „Musizieren mit Freunden“ nannte er das, was er seither jeden Sommer in Luzern machte. Aber auch zu den Osterfestspielen trat das Orchester mit der Zeit auf und es gab unter der Leitung von Claudio Abbado Konzerte in aller Welt. Die Kritik überschlug sich in Lobesworten und das Publikum war begeistert. Abbado verzauberte alle. Das war Magie.
Im Januar dieses Jahres ist Claudio Abbado dann nach längerer Krankheit gestorben. Das Orchester hatte seine Lichtgestalt verloren. Es wird aber weiter existieren.
"Claudio-Tal"
Dazu Michael Haefliger: „Für das Orchester ist es natürlich wunderschön, Claudio in der (Schweizer) Nähe zu wissen, denn im Fextal hat er auch seine Pläne und Überlegungen zum Lucerne Festival Orchestra entwickelt“. Unzählige Treffen habe er mit Abbado im Fextal gehabt, so Haefliger. „Wir haben wunderbare Gespräche geführt und Programme geschmiedet. Nirgendwo war Abbado so entspannt wie im Fextal. Ich persönlich habe so natürlich auch diese herrliche Landschaft kennengelernt und werde sie für immer und ewig mit Claudio verbinden. So ist das Fextal für mich eigentlich das „Claudio-Tal“.