Ein findiger Coiffeur hat im Fenster seines Salons am Dupont Circle einen grossen Stimmzettel montiert, auf dem es entweder „Obama“, „Romney“ oder „Haarschnitt“ anzukreuzen gilt. Angekreuzt ist, wenig überraschend, „Haarschnitt“. Der Mann hat nicht unrecht: Amerikas Wählerinnen und Wähler haben den Republikanern unter Mitt Romney tags zuvor einen Schnitt verpasst, den diese so radikal nicht erwartet hatten. Ideologisch verblendet und von Wunschdenken getrieben hatten sie versucht, sich realen Daten und Fakten zu verschliessen: Ihr in Nostalgie getränktes Amerika erwies sich als Fata Morgana.
Mit Ausnahme North Carolinas (und unter Umständen, aber wenig wahrscheinlich Floridas) gewann Barack Obama am 6. November alle „swing states“ und mindestens 303, wenn nicht 332 der 270 nötigen Elektorenstimmen. Zwar behalten die Republikaner ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus, das Kräfteverhältnis im Senat aber haben sie nicht umstossen können, obwohl noch bis vor kurzem die Voraussetzungen dafür fast ideal schienen.
*Die Partei der alten weissen Männer"
Doch die republikanische Partei, „die Partei der zornigen, alten weissen Männer“, ist an sich selbst gescheitert. Und an der Einschätzung, ein immer jüngeres und diverseres Amerika erwarte von der Regierung ausser Steuersenkungen sowie einem Verbot der Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehen nichts. Die „Grand Old Party“ (GOP) setzte ganz auf die Karte Wirtschaft und vergass darüber, dass auch Themen wie Einwanderung, Gesundheitsversorgung, Klimawandel oder Eigenverantwortung die Menschen bewegen. Nicht umsonst sind in einzelnen Staaten Initiativen zur Legalisierung von Homosexuellen-Ehen oder von Marihuana-Konsum angenommen worden. Was in letzterem Fall die Regierung in Bedrängnis bringt, weil Marihuana auf nationaler Ebene eine illegale Substanz ist.
Einer der prominentesten Verlierer seitens der Republikaner dürfte indes George W. Bushs früherer Berater Karl Rove sein. Der Texaner hat dank üppiger Spenden von Millionären und Milliardären Unsummen Geldes in den jüngsten Wahlkampf investiert, ohne jetzt etwas Zählbares vorweisen zu können. Was zumindest vorläufig die Diskussion beenden dürfte, ob sich in den USA ein politisches Amt kaufen liesse. Insgesamt haben beide Parteien im Präsidentschaftswahlkampf über zwei Milliarden Dollar ausgegeben, und die zwei Kandidaten standen am Ende exakt dort, wo sie sich laut Umfragen zu Beginn des Rennens befunden hatten. Ausser Spesen nichts gewesen.
100 Millionen Dollar in den Sand gesetzt
Auch Linda McMahon, die frühere Chefin der World Wrestling Federation (WWF), hat es nicht geschafft, in den Senat gewählt zu werden, obwohl sie in Connecticut 100 Millionen Dollar aus eigener Tasche einsetzte, um ihren Traum vom politischen Catch-as-catch-can zu realisieren. Die Erben dieser Politiker, meinte in der Wahlnacht maliziös ein Beobachter, würden wohl wahnsinnig angesichts solcher Geldverschwendung.
Entgegen dem deutlichen Wahlresultat aber haben die Republikaner fürs Erste trotzig reagiert. Von einem Mandat für Präsident Barack Obama, hiess es aus ihren Reihen, könne keine Rede sein, und zu faulen Kompromissen im Kongress seien sie schon gar nicht bereit. Wäre Amerika eine parlamentarische Demokratie, so ihr Argument, würden sie jetzt dank der Mehrzahl der Sitze in Washington DC sogar regieren.
Hoffnung auf moderate Republikaner
Die Uneinsichtigkeit verheisst wenig Gutes für die Lösung der dringendsten nationalen Probleme, in erster Linie für die Überwindung der „fiscal cliff“, über welche die USA Ende Jahr in eine Rezession stürzen. Es sei denn, Demokraten und Republikaner einigen sich im Budgetstreit auf einen Mechanismus, der verhindert, dass am 1. Januar automatisch massive Ausgabensenkungen und Steuererhöhungen im Umfang von einer halben Billion Dollar in Kraft treten, die den Aufschwung der Wirtschaft mit Sicherheit abwürgen würden.
Einzelne Kommentatoren schliessen nicht aus, dass sich im neuen Kongress und zwar im Senat der eine oder andere moderate Republikaner finden lässt, welcher dem Wohlergehen der Nation willen zum Gespräch mit dem Weissen Haus und zu Kompromissen bereit ist.
Frauen und Lationos vergrault
Ein stichhaltiges Argument ist allenfalls der Hinweis, dass die gesetzlich verordneten Budgetkürzungen, die querbeet erfolgten, auch den amerikanischen Verteidigungshaushalt empfindlich treffen und die nationale Sicherheit gefährden würden, die der GOP so sehr am Herzen liegt. Nicht zuletzt auch aus der Geschäftswelt dürfte es Druck auf die Partei geben, den Sprung über die Klippe in den finanziellen Abgrund zu vermeiden.
Weniger Einsicht ist dagegen von republikanischen Abgeordneten zu erwarten, die sich mehr um ihre Wiederwahl, die alle zwei Jahre anfällt, als um nationale Anliegen kümmern. Solche Sachzwänge könnte allenfalls eine Reform des Wahlsystems beseitigen helfen, doch eine solche erscheint derzeit als höchst unwahrscheinlich. Nach wie vor belohnt das politische System jene, die in den parteiinternen Vorwahlen am radikalsten auftreten, ein Umstand, der Mitt Romney jetzt zum Verhängnis geworden ist, weil er mit seinen erzkonservativen rechten Positionen Frauen, Junge und Latinos vergraulte.
Für Obama wird das Regieren nicht einfacher
Nötig wäre künftig wohl auch ein Verzicht auf Grover Norqists „tax pledge“, ein Gelübde, laut dem sich republikanische Parlamentarier feierlich dazu verpflichten, unter keinen Umständen je Steuern zu erhöhen. Was zwar seinerzeit selbst Ronald Reagan, das grosse Vorbild konservativer Republikaner, getan hat, allerdings unter dem Etikett „user fees“, was sich etwa mit Konsumabgaben übersetzen liesse. Vor allem aber sollten sich Republikaner nicht erneut der Realität verschliessen und zur Kenntnis nehmen, dass Amerika sich in vielerlei Hinsicht verändert hat und nicht mehr jene Insel der Seligen ist, die es in den 50er-Jahren vielleicht einmal war. Tue die Partei das nicht, warnen Politologen, werde sie zu einer aussterbenden Spezies.
Was wiederum nicht heisst, dass das Regieren für Barack Obama in den nächsten vier Jahren einfacher wird. Auf ihn und seine Partei warten etliche Herausforderungen, von der Überwindung der „fiscal cliff“ über die Umsetzung der Gesundheitsreform und einer Überholung des Einwanderungswesens bis hin zur Eindämmung aussenpolitischer Brandherde wie dem iranischen Atomprogramm oder dem gespannten Verhältnis zu Russland und China. Auch eine Intensivierung der eher distanzierten Beziehungen zu Europa wäre wünschbar.
Hillary Clinton ersetzen
Zudem hat der Präsident in seinem Kabinett erfahrene Leute wie Aussenministerin Hillary Clinton oder Finanzminister Timothy Geithner zu ersetzen. Und er wird lernen müssen, die Distanz zum Wähler zu reduzieren und seine Politik besser zu kommunizieren. Amerikanische Politik ist kein elegantes Schattenboxen, sondern brutaler Nahkampf.
Und schliesslich dürften Barack Obama, wie in der Wahlnacht eine Moderatorin auf ABC bemerkte, künftig seine Töchter Sasha und Malia stärker beschäftigen, die allmählich zu Teenagern werden, mit Allem, was dazu gehört: Mode, Schminken, Autofahren lernen, der erste Freund. Die beiden Mädchen hatten nach der ersten Wahl als Belohnung für ihr Wohlverhalten einen portugiesischen Wasserhund namens Bo geschenkt bekommen. Einen zweiten Hund im Weissen Haus werde es aber nicht geben, sagte der 51-Jährige in seiner Siegesrede in Chicago. Tröstlich zu wissen, dass Amerika in Barack Obamas zweiter Amtszeit nicht auf den Hund kommt.