Während sich zumindest in Teilen von Europa ein Ende der Nuklearenergie abzeichnet, verläuft die Entwicklung in Südostasien gerade umgekehrt. Kernkraft ist dort seit langer Zeit ein Thema. Bislang ohne konkretes Resultat, was sich aber in rund zehn Jahren mit der Inbetriebnahme des ersten Nuklearkraftwerkes in Vietnam ändern wird.
Thailand, die Philippinen, Malaysia und Indonesien sind in verschiedenen Stadien der Grundsatzdiskussion über Nuklearenergie begriffen, konkretere Schritte sind absehbar. Singapur hat sich seit jeher vorbehalten, auf den Bau von Nuklearkraftwerken in seiner Nachbarschaft mit eigenen Projekten zu antworten. Die Begründung ist primär wirtschaftlicher Natur. Ob Rohstofflieferant (Indonesien, Malaysia, Singapur als weltgrösster Öllagerplatz) oder Energieimporteur (Vietnam, Thailand, Philippinen, Singapur), stark schwankende Preise für fossile Energie auf dem Weltmarkt führen alle diese Länder zum Schluss, einen Teil ihrer Energieerzeugung via eigene Nuklearenergie zu decken, also mit langfristig stabilem oder doch voraussehbarem Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Vielfältige Optionen Australiens
Einen nuklearen Spezialfall bildet Australien, ein Hauptpartner der Asean in Wirtschaft, Erziehung und Ausbildung sowie Tourismus. Das Land wäre in jeder Beziehung seit langem in der Lage zur Entwicklung einer eigenen Nuklearindustrie. Schon 1970 bestand ein ernsthaftes Projekt für ein nukleares Kraftwerk bei Sydney (Jarvis Bay), welches wegen einer Mischung von Protesten durch Atomkraftgegner und fehlendem wirtschaftlichem Anreiz nie realisiert worden ist.
Australien verfügt in allen Bereichen von Energierohstoffen (Kohle, Öl, Gas, Uranerz, aber auch, ausser Wasser, alle Quellen alternativer Energie wie Sonne, Wind, Gezeiten etc.) über praktisch unbegrenzte Reserven. Im Moment wird der grösste Teil australischer Energie in Kohlekraftwerken produziert. Kohle wird in Australien wie im Rest von Asien – und im Gegensatz zu Europa und auch den USA – nicht als Energie der Vergangenheit gesehen. Sollten die mannigfaltigen Forschungsanstrengungen in Richtung „clean coal“ eines Tages Früchte tragen, würde Kohle unversehens wieder zum ernsthaften, CO2-neutralen Konkurrenten von Uran, aber mit weniger Folgeproblemen.
Aufgaben für die Asean
Nun sind Entscheide über Energienutzung zwar national. Gefährdungspotential, Entsorgung und weitere Aspekte der Nuklearenergie hingegen sind aber so offensichtlich transnational, dass die öffentlich zugängliche Diskussion darüber in internationalen Gremien geführt wird. In Südostasien geschieht dies primär innerhalb der Asean, wo sich verschiedene Gremien damit befassen. Der entsprechende Abkürzungssalat (Aseantom etc.) ist nur Spezialisten geläufig, zeigt aber, dass die politisch oft zaghafte und blockierte Asean in technischen Bereichen durchaus nützlich zusammenarbeiten kann.
Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass gewisse „Wildwest“-Projekte der ersten Stunde – so ein vor Jahren von Indonesien ernsthaft geprüftes Verankern ausgedienter sowjetischer Atomseefahrzeuge vor seiner Küste als Mini-Kraftwerke – auch durch nachbarschaftlichen Druck via die unverdächtige Regionalorganisation Asean im Keime erstickt worden sind.
Aus entsprechenden Diskussionen, auch in Think-tanks im Asean-Raum, erscheint hervorzugehen, dass im Moment noch westlich ausgebildete Spezialisten (aus Frankreich für Vietnam, aus den USA für die anderen) an entscheidender Stelle in den Asean-Ländern tätig sind. Japan stellt die akademischen Spezialisten, welche mit Erfahrung aus dem eigenen Land für die gesamte Nuklearproblematik (Aufbereitung, Anwendung, Entsorgung, Katastrophenverhinderung und -bewältigung) beratend tätig sind.
Bewusstsein für Gefahren
So wie Tschernobyl in Europa, hat Fukushima im Raume Asien-Pazifik als erstes nukleares Menetekel gewirkt. Trotz oder wegen vielerorts autoritärer werdendem Umfeld (Thailand, Malaysia, seit kurzem auch die Philippinen) entwickelt sich in Südostasien eine immer vielfältigere Landschaft von Nichtregierungsorganisationen. Umwelt, Klima generell und Nuklearenergie speziell sind nun Bereiche, wo Regierungen und Verwaltungen es sich auch in Südostasien immer weniger leisten können, die Zivilgesellschaft lediglich als Vehikel, und nicht auch als Korrektiv zu sehen. Kontroverse Diskussionen und politische Auseinandersetzungen über Nuklearenergie sind also voraussehbar.
Europa, eingeschlossen die Schweiz, könnte, wo angezeigt und gewünscht, relevante Erfahrung und Forschungsergebnisse liefern. Dies jedenfalls, solange hierzulande Technologie und Forschung im Nuklearbereich bestehen und über eine wirtschaftliche Grundlage verfügen. Alternativ kann Südostasien nämlich auch auf chinesisches und russisches Know-how zurückgreifen. Dort, aber auch in Indien, hat die friedliche Nuklearenergie – ganz zu schweigen von Nuklearwaffen, welche eine eng verwandte Problematik darstellen (Iran!) – noch lange nicht ausgedient, im Gegenteil. Das gilt natürlich auch für entsprechende Bedrohungen, deren Reichweite bekanntlich global ist.