Es könnten Bilder aus einem Film sein: die Terrasse eines malerischen Backsteinhauses inmitten grosser alter Bäume, ein laues Lüftchen weht durch die Blätter und macht die Hitze dieses Sommertages erträglich. Der Schatten, den das Haus auf die Terrasse wirft, scheint eine Spur dunkler zu sein, vielleicht weil im Gegensatz dazu die Sonne am frühen Nachmittag gar so grell strahlt. Die Fensterläden der Villa Schönberg sind geschlossen. Es ist still. Es ist schön hier. Weit hinten im Park, von Büschen fast verdeckt, eine Büste Richard Wagners. Dieser Garten war einst sein Revier. Die Villa war damals noch ein Riegelhaus, das der Industrielle Otto Wesendonck dem Komponisten zur Verfügung gestellt hatte. „Tristan und Isolde“ haben hier ihre Anfänge genommen. Das war vor 158 Jahren.
Heute sitzt Katharina Epprecht auf der üppig umgrünten Veranda. Die Villa ist seit Jahren Teil des Zürcher Museums Rietberg und hier hatte Katharina Epprecht zuletzt ihr Büro als Kuratorin und stellvertretende Direktorin. Ein relativ kleiner Raum, mit himmelblauen Wänden, einem Schreibtisch, einer Bücherwand, etlichen persönlichen Gegenständen und einigen Kisten und Schachteln. Denn Katharina Epprecht zieht aus. Jetzt auf der Terrasse schweift ihr Blick durch den Garten. So ganz locker nimmt sie den Abschied nicht. Ein bisschen Wehmut ist auch dabei „Ja, ich war schon sehr verwurzelt hier…“ sagt sie, aber den Seufzer, der zu den Worten passen würde, muss man sich denken. Er liegt in der Luft, aber kommt nicht.
Fliessender Übergang
Ab September ist Katharina Epprecht Direktorin des Museums zu Allerheiligen in Schaffhausen. „Ich merke, dass meine Emotionalität sich so langsam ablöst. Wenn ich hier zum Haus rausgehe, denke ich schon ans nächste, also Allerheiligen. Das verlagert sich. Ich merke immer mehr, dass mich Fragen im Zusammenhang mit Schaffhausen beschäftigen.“ Es ist ein fliessender Übergang. „Ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit hatte, ein paar Monate sowohl hier, also auch dort zu arbeiten. Es ist zwar nicht nach Lehrbuch,“ sagt sie lachend, „da heisst es ja: Abschliessen – Ferien machen – neu Anfangen.“
Ein Wechsel also nicht nach Lehrbuch, sondern sanft, aber doch bestimmt. Denn der Übergang ist trotz allem ein einschneidender. Dass ihr die Leitung des Museums zu Allerheiligen anvertraut wurde, erfuhr sie in Peru, wo sie gerade an der Eröffnung der Rietberg-Schau zur Chavín-Kultur war, einer Ausstellung über die Tempelanlage in Peru, die das Museum Rietberg zuvor in Zürich gezeigt hatte. Und das Museum zu Allerheiligen war nach dem letzten Direktionswechsel gerade etwas in Turbulenzen geraten. „Da war es nötig, sofort in Schaffhausen anzufangen, weil viel brach lag und viele Entscheidungen aufgeschoben worden waren.“ Im Museum Rietberg reduzierte sie gleichzeitig ihr Pensum, so kam sie über die Runden. „Eine Zeitlang war das sehr anstrengend“, gibt sie zu. „Am Anfang war ich fest etwas desorientiert. Ich war nicht mehr hier und noch nicht dort, das hat mich ziemlich mitgenommen, das muss ich sagen…“
Kein Wunder, denn Katharina Epprecht hat viele Jahre hier im Museum Rietberg verbracht. Schon als Studentin war sie hier als Assistentin tätig, nachdem sich ihr Interesse immer mehr nach Fernost verlagert hatte. Eigentlich hatte sie Kunstgeschichte und Archäologie studiert. Aber: „Dieses Fernöstliche, das war mir alles unglaublich fremd und das Fremde hat mich gereizt.“ China, Japan, das war die Herausforderung, die Katharina Epprecht damals suchte. In China zu studieren, war in den Achtzigerjahren schwierig, aber sie konnte sich für ein Stipendium nach Japan bewerben und bekam es. So tauchte sie ein in die japanische Kultur, lernte Japanisch, ging in Zen-Tempeln ein und aus, knüpfte Beziehungen zu Priestern, Kunstsammlern und zu Museen.
Highligt „Tohaku“
Zurück in Zürich verarbeitete sie die neuen Eindrücke und Erfahrungen. Mehr noch: sie fragte im Museum Rietberg an, ob man sich auch eine Ausstellung vorstellen könnte über den Maler Hasegawa Tōhaku (1539–1610), ihr Dissertationsthema. „Das wäre wunderbar, sagten die Zuständigen damals. Und weil auch gerade die Stelle für Japanische Kunst frei geworden war, bin ich da so reingerutscht.“
Rückblickend sagt sie heute, dass die Tohaku-Ausstellung auch gleich das Highlight ihrer Tätigkeit im Museum Rietberg wurde. „Dank meiner Kontakte, die ich während des Studiums aufbauen konnte, ist es viel einfacher gewesen, bedeutende Kunstwerke für das Museum auszulehnen. Gerade in Japan ist es sehr wichtig, die Leute persönlich zu kennen.“ So wurde es möglich, einzelne Bilder, wie zum Beispiel der „Kiefernwald“ überhaupt zum ersten Mal ausserhalb von Japan zu zeigen. Wer die Ausstellung damals besucht hat, wurde sofort gefangengenommen von dieser unvergleichlichen Atmosphäre, vom Geheimnisvollen des alten Japan, von diesen zarten, luftigen Zeichnungen, die im Gedächtnis haften bleiben.
Die Sonderschau „Tohaku“ wurde gleichermassen zu einem Highlight für Katharina Epprecht persönlich wie für das Museum Rietberg. „Ja, das war ein grosses Glück, so eine Ausstellung machen zu können, auf der Basis einer wissenschaftlichen Arbeit, an der man jahrelang gearbeitet hat, wo man Fachkenntnis hat.“ In der Folge blieb sie 17 Jahre im Museum Rietberg, machte Ausstellungen, unter anderem auch die Eröffnungs-Schau im Neubau, sie kümmerte sich um Medien und Kommunikation, machte nebenher Weiterbildung in Unternehmensführung, wurde stellvertretende Direktorin…. aber: „Ich habe auch gesehen, dass ich so etwas Grosses wie die Tohaku-Ausstellung nicht noch einmal machen könnte, weil ich nur schon wegen der zusätzlichen Führungsaufgaben gar keine Zeit mehr dafür habe.“
Neu-Orientierung
Der richtige Zeitpunkt für eine Neu-Orientierung also. Und damit für Schaffhausen, wo ihr das Museum zu Allerheiligen andere Aufgaben bietet. „Gemäss Stellenbeschrieb kümmere ich mich hier vor allem ums Management und mache keine Ausstellungen.“ Schaden kann es jedoch nicht, wenn sie immerhin weiss, wie man Ausstellungen macht, damit sie auch beim Publikum ankommen. Gleich an ihrem ersten Arbeitstag wird sie eine Ausstellung eröffnen können und stellt sich damit in ihrer neuen Funktion vor. Gezeigt werden dann Werke der jungen Schweizer Künstlerin Sereina Steinemann, die den diesjährigen Manor Kunstpreis erhalten hat.
Damit ist Katharina Epprecht wieder da, wo sie angefangen hat, bei der westlichen Kunst, die ihr damals, während des Studiums, nicht so spannend schien. „Das war eindeutig eine Fehleinschätzung“, sagt sie heute. „Westliche Kunst war zu jener Zeit kein Buch mit sieben Siegeln für mich… vermeintlich! Ich dachte, ich würde nicht wirklich herausgefordert und damit bin ich absolut falsch gelegen.“ Die Zeit in Japan und die Beschäftigung mit asiatischer Kunst haben dann diese Distanz zur westlichen Kunst gebracht, die ihren Blick auf die eigene Kultur geschärft hat. Sie freut sich darauf, im Museum zu Allerheiligen kulturell wieder zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren.
Wenn sie nun dem Museum Rietberg, dem prächtigen Park darum herum und der Villa Schönberg den Rücken kehrt, wird sie aber wieder auf geschichtsträchtigem Gelände ankommen. Das Museum zu Allerheiligen geht auf ein Kloster zurück, das vor fast 1000 Jahren gegründet wurde. „Dort habe ich einen Kreuzgang, durch den ich am Morgen gehen kann und einen Kräutergarten“. Poetisch und sinnlich ist also auch diese Umgebung und inspirierend obendrein. Und alle Heiligen werden schon dafür sorgen, dass Katharina Epprecht sich dort ebenso wohl fühlt, wie zuvor im Museum Rietberg.