Vor ein paar Monaten nahm ich an einem katholischen Gottesdienst in einer erzkonservativen Gemeinde Deutschlands teil. Den zelebrierenden Priester umgab dabei eine dominante, überhebliche Aura, die meinem Verständnis von Priestertum widerspricht. Während der Messe ging eine Frau vor ihm auf die Knie und küsste den Saum seines Rockes. Der Priester war weder erstaunt noch erschrocken. Im Gegenteil, er liess dies mit grosser Selbstverständlichkeit geschehen und zelebrierte seine «göttliche» Macht gegenüber der unterwürfigen Frau. Die Frau war die Dienende, er der Herrscher, der sich in dieser fast anbetenden Szene offensichtlich wohl fühlte.
Eine solche Szene ist weder in Deutschland noch in der Schweiz die Norm. Im Gegenteil: Als Zürcher Katholikin bin ich es gewohnt, dass der Priester auf Augenhöhe mit den Gemeindemitgliedern kommuniziert. Als Zürcher Katholikin erlebe ich den Gottesdienst als gemeinsames Feiern ohne hierarchische Barrieren. Als Zürcher Katholikin bin ich es auch gewohnt, dass Frauen nicht auf die Knie gehen, sondern auf die Kanzel.
Jahrhunderte lange Erziehung von Mädchen und jungen Frauen
Trotzdem steht diese Szene exemplarisch für offensichtliche Fehlentwicklungen innerhalb der katholischen Kirche, die schonungslos aufgearbeitet werden müssen. Zum Beispiel beim Thema Macht: Die Machtausübung von Männern gegenüber Frauen ist tief verwurzelt in einem Jahrhunderte alten Erziehungsmuster, das auch in der katholischen Kirche zu finden ist: Die Frau wird zur Keuschheit erzogen, während der Mann die sexuelle Welt im Eilzug erobern darf. Die ledige schwangere Frau wurde zur Hexe, der schwängernde Mann zog seines Weges. Wer über Jahrhunderte glauben lässt, dies sei göttlicher Wille und der Mann sei mit göttlicher Macht versehen, glaubt es am Ende selber.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil waren viele Katholikinnen und Katholiken überzeugt, nun stehe eine neue Ära bevor, in die Frauen und Männer gleichberechtigt aufbrechen würden. Inzwischen sind viele von ihnen alt, sind in ihren Hoffnungen enttäuscht und haben ihren Glauben daran verloren.
Dabei machen es viele Kirchgemeinden gerade in der Schweiz und in Deutschland vor: Frauen und Männer gestalten gemeinsam die Kirche, nicht nur wenn es um den Blumenschmuck oder die Auswahl der Lieder geht. Doch es braucht mehr, und die Zeit drängt.
Hausgemachte Krise
Die Kirche steckt heute in einer existentiellen Krise, weil sie schädliche Machtstrukturen nicht behoben hat, und weil dort, wo Schaden angerichtet wurde, wenig Gutmachung geschehen ist. Auch der so genannte «Missbrauchsskandal» erschüttert die Kirche in ihrer Grundexistenz.
Viele der aufgeblasenen, sich den Rock küssen lassenden Priester sind inzwischen zu Tätern geworden. Machtbewusste Männer, Priester mit vermeintlich göttlicher Aura, haben sich an Kindern und Jugendlichen vergangen, auch an erwachsenen Frauen und Männern. Körperlich. Seelisch. Vom Küssen des Rocksaums ist es bis zum Küssen des Körpers manchmal kein weiter Weg.
Sexueller Missbrauch ist im Kern Machtmissbrauch. Er findet überall statt, in erster Linie in der eigenen Familie. Die Kirche steht hier aber in einer besonderen Verantwortung. Das Einbinden der Frauen in die Führungsverantwortung ist der effektvollste und wirksamste Lösungsansatz, um Machtgefälle im Keim zu ersticken. Frauen müssen die Kirche partnerschaftlich mitgestalten können, sei es in der Seelsorge, sei es beim Predigen, sei es im Spenden von Sakramenten.
Die falsche Debatte um den Streik
Der katholische Frauenbund hat beschlossen, sich dem Streik vom 14. Juni anzuschliessen. Ob ein Frauenstreik der richtige Weg sei, wird mancherorts gefragt. Dabei wird immer wieder zwischen linken, streikenden und bürgerlichen, nicht streikenden Frauen unterschieden. Mit Verlaub: Wer diese Frage auf einen politischen Flügelstreit reduziert, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Der Mann, auf den sich die Christen berufen, wurde zu Tode gefoltert. Nicht nur, weil er die Machtgefüge der damaligen Priester störte, sondern auch, weil er den Frauen sowie anderen Benachteiligten auf Augenhöhe begegnete. Eine Tatsache, die damals als skandalös empfunden wurde. Maria Magdalena ist das leuchtende Beispiel der Frau, die als Jüngerin Jesu sein Leben und Leiden teilte. Auch dafür wurde er gefoltert.
Hätte man damals auf ihn gehört, hätte man den Weg frei gemacht für die vielen Maria Magdalenas, welche zu den treuesten der Jüngerinnen und Jünger Jesu gehörten, dann wäre die katholische Kirche zweitausend Jahre später nicht in ihren Grundfesten erschüttert. Die vermeintlich göttlichen Priester hätten längst vom Sockel heruntersteigen und die Macht paritätisch teilen müssen.
Ob katholische Frauen am 14. Juni 2019 streiken oder nicht: Wichtig ist, dass Zeichen gesetzt werden, dass Frauen zu echten Partnerinnen werden – nicht nur in der Krise, sondern bei der zukünftigen Gestaltung der katholischen Kirche. Oder wie es unlängst Priorin Gassmann vom Kloster Fahr sagte: «Die Kirche kann nur gesunden und erstarken, wenn Frauen und Männer gleichberechtigt miteinander in die Zukunft gehen.» Dem ist nichts beizufügen.