Zum Glück, sagen die einen. Ganz im Gegenteil, sagen die anderen und sind damit schon einen Schritt weiter. Sie haben die Operette vom Staub befreit und darunter musikalische Kostbarkeiten entdeckt und auf Hochglanz poliert.
Zu den Operetten-Wiederentdeckern gehören zum Beispiel Startenor Jonas Kaufmann, sein Kollege Klaus Florian Vogt, oder das Zürcher Kammerorchester, wo man sich zurzeit mit diesem Genre befasst.
„Die Operette ist alles andere als verstaubt“, sagt Paul Suter. Er muss es wissen, denn er ist Regisseur und steckt gerade in den letzten Proben.
Er inszeniert „Die schöne Galathée“ von Franz von Suppé und „Il Campanello di Notte“ von Gaetano Donizetti. Gespielt wird in der „Opera Box“. Das ist sozusagen die Operetten-Sektion des Kammerorchesters, verstärkt durch ein Gesangs-Ensemble. „Für mich ist die Operette eine ganz faszinierende, schillernde Kunst, so Suter.
Neben ihm sitzt Erich Bieri. Er ist Bassbariton und strahlt. „Es macht richtig Spass“, sagt er, schränkt aber auch gleich ein: „Es ist aber gar nicht so einfach. Die leichte Muse ist oft schwer zu singen. Früher hatte man ja deshalb spezialisierte Operettensänger, wie Richard Tauber oder Rudolf Schock“.
Tenöre, ein hochgehandeltes Gut
Ein Operettensänger ist Jonas Kaufmann nicht gerade. Nachdem seine Karriere vor einigen Jahren am Zürcher Opernhaus so richtig in Schwung gekommen ist, gehört er inzwischen international zu den grossen Weltstars. „Du bist die Welt für mich“ und andere Gassenhauer aus der Operette schmettert er neuerdings auf CD. „Ich hatte Grosseltern, die diese Melodien gepfiffen haben“, erinnert er sich. „Da ist eine Melodie schöner als die andere, und ein Stück versprüht mehr Lebensfreude als das nächste“, schwärmt Kaufmann.
Lust auf mehr habe ihm diese CD gemacht. Diese Stücke mit dem feinsten, weichsten Piano zu singen und dann wieder ein paar grosse Töne zum Besten zu geben, sei grossartig. „Da ist wirklich alles drin und das auf engstem Raum“, sagt Kaufmann. „Diese Komponisten haben wunderschöne Melodien geschrieben. Vor allem für Tenöre. Tenöre waren damals ein sehr hoch gehandeltes Gut und man hat fast das Gefühl, die Komponisten wetteiferten darin, wer den Tenören die schönsten Melodien in den Mund legen kann.“ Kaufmann hat gut Lachen. Seine CD ist prompt auf Platz 11 der deutschen Pop-Charts gelandet. Noch vor Lady Gaga.
80 % der Operetten stammen von jüdischen Autoren
Klaus Florian Vogt hat sich vor allem als Helden-Tenor in Wagner-Opern einen Namen gemacht und ist zurzeit der Lohengrin vom Dienst. Auch in Zürich. Trotzdem hat auch er einen Seitensprung zur Operette gewagt. Zumindest auf CD. „Dein ist mein ganzes Herz“ schmachtet er da, und ein paar Musical-Stücke sind auch drauf.
Woher aber kommt diese neue Liebe zur alten Operette? Vorreiter der Wiederbelebung der Operette ist ein Australier. Er heisst Barrie Kosky und ist der Intendant der Komischen Oper in Berlin. Sein Vorgänger war übrigens Andreas Homoki, der jetzt das Opernhaus Zürich leitet.
Barrie Kosky hat jüdische Wurzeln, die nach Russland, Polen und Ungarn reichen. Seit er in Berlin ist, „kam die Operette mit Wucht in die Hauptstadt zurück“ jubelt die Süddeutsche Zeitung. Weit entfernt von althergebrachter Aufführungspraxis hat Kosky alte Operetten so auf die Bühne gebracht, dass dem Publikum kein Staub sondern viel frischer Wind entgegenblies.
Die Operette, so Kosky, sei eigentlich eine jüdische Kunstform. Über 80 Prozent der Operetten stammten von jüdischen Autoren und Komponisten. Was da in den Zwanzigerjahren mit jüdischem Witz noch frech daherkam, wurde später „eingedeutscht“ oder „arisiert“, wie Kosky es nennt. Die Operette wurde fad, kitschig, uninteressant. Man müsse dasselbe machen, wie vor einigen Jahren mit der Barockoper, findet Kosky, also historisch informierte Operetten zeigen. Bei Kosky in Berlin funktioniert es bestens. Die Vorstellungen sind ausverkauft, das Publikum bunt gemischt und die Inszenierungen schrill, spannend, schwungvoll und frivol.
Verschiedene Stilrichtungen
Das Zürcher Kammerorchester hat im Vergleich nur begrenzte Möglichkeiten. Aber die Herausforderung bleibt gleich gross. Regisseur Paul Suter: „Die Operette ist eine fabelhafte Kunstgattung, in der alles zusammenkommt: Schauspiel, Gesang, Tanz. Das verlangt von den Darstellern viel mehr als in der Oper. Wenn man in der Operette die verschiedenen Facetten seines Metiers nicht beherrscht, dann ist man verloren.“
Was aber ist denn so schwierig am Operetten-Gesang, verglichen etwa mit der Oper? „Also Jacques Offenbach zum Beispiel komponierte oft sozusagen ‚instrumental‘, auch für die Singstimmen. Das macht es sehr schwierig,“ sagt der Sänger Erich Bieri. „Es gab zwar zu seiner Zeit ein paar Primadonnen, für die er ganz spezifisch geschrieben hat, manchmal auch wahnsinnig schwierige Partien. Die anderen Stimmen sind aber praktisch instrumental aufgebaut.“
Operette ist ein allgemeiner Begriff. Dabei gibt es aber verschiedene Stilrichtungen, die sich stark unterscheiden können. Regisseur Paul Suter: „Da ist die Wiener Operette mit einem melancholischen Touch, mit einer Träne im Auge. Die Berliner Operette ist kess und frech, frisch und witzig. Und die französische Operette hat beides.“
Grossartige Show
Warum die Operette gerade jetzt eine Renaissance erlebt, erklärt sich Erich Bieri unter anderem auch mit dem heutigen Regiestil. „Moderne Inszenierungen sind zum Teil so schwere Kost fürs Publikum, dabei möchten die Leute doch Show auf der Bühne haben. Das war schon in den Zwanzigerjahren so, als Fritzi Massary noch über die Bühne wirbelte. Und heute macht uns Barrie Kosky vor, wie’s geht: er zeigt nicht einfach Operette, sondern grossartige Show mit superguten Leuten.“
Neben dem Kammerorchester setzen zum Jahreswechsel auch andere Theater in der Schweiz auf Operetten. Das St. Galler Stadttheater zeigt „Gräfin Mariza“ von Emmerich Kalman, mit Walter Andreas Müller und Mitgliedern des Musik-Kabarett-Trios „Geschwister Pfister“. In Luzern dagegen ist es Franz Lehars „Lustige Witwe“, die das Publikum in Champagner-Laune versetzen soll.
Und das ist letztlich auch beim Zürcher Kammerorchester das Ziel. Es geht um Unterhaltung, im besten Sinne des Wortes. „Die schöne Galathée“ ist eine reine Operette, „Il Campanello di Notte“ eine Opera buffa.. „Wir haben die Stücke in die heutige Zeit verlegt“, sagt Paul Suter. „Musikalisch haben wir nichts bearbeitet, den Text haben wir aber etwas zurechtgestutzt.“ Und, ganz wie es sich für eine Operette gehört, fügt Suter noch bei: „Wir wollen die Leute packen und mitreissen. Es soll funkeln und moussieren wie bester Champagner.“
Na, dann Prost.
DU BIST DIE WELT FÜR MICH
Jonas Kaufmann, Tenor
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
SONY 888837574222
„Die schöne Galathée“ / „Il Campanello die Notte“
Opera Box
Zürcher Kammerorchester
Premiere : 28.12.2014