Der israelische Uno-Botschafter erklärte, der Vergeltungsschlag gegen Iran erfolge «bald». Am Donnerstag setzte die israelische Luftwaffe ihre Angriffe auf Beirut fort. Die Bodenoffensive im südlichen Libanon geht weiter. Aus dem Gazastreifen werden heftige israelische Angriffe gemeldet. Auch ein Wohnhaus in Syrien wurde angegriffen.
Während die Angst vor einem grossen Krieg im Nahen Osten wächst, erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Video-Botschaft, der Konflikt sei «noch lange nicht vorbei». «Wir befinden uns mitten in einem harten Krieg gegen die Achse des Bösen. Iran will uns vernichten. Das wird nicht passieren.»
Danny Danon, der israelische Uno-Botschafter, sagte in New York, Iran müsse «einen hohen Preis» für den grössten Raketenangriff auf Israel in seiner Geschichte zahlen. Zuvor hatte Netanjahu den iranischen Raketenangriff auf Israel als «grossen Fehler» bezeichnet».
Der iranische Uno-Botschafter Amir Saeed Iravani warnte Israel. Iran werde bei einem israelischen Angriff nicht zögern, militärische Massnahmen zu ergreifen. Iran hatte den Raketenangriff auf Israel als Vergeltung für die Morde an den Führern der Hisbollah und der Hamas gerechtfertigt.
Bei dem iranischen Angriff am Dienstagabend haben einige israelische Luftwaffenstützpunkte «einige Treffer» erlitten, erklärt das israelische Militär. Eine der iranischen Raketen war dreihundert Meter vom Mossad-Hauptquartier bei Tel Aviv eingeschlagen.
Die von Associated Press veröffentlichten Planet Labs-Bilder zeigen mindestens einen Treffer in einem Hangar und einen weiteren in der Nähe der Start- und Landebahnen des Stützpunkts Nevatim. Es ist noch unklar, ob die Schäden durch ballistische Raketen des Irans oder durch Schrapnelle nach israelischen Abfangmanövern verursacht wurden.
«Unkonventionelle Antwort»?
Iran habe via Katar den USA eine Botschaft übermittelt. Dies meldet der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera und bezieht sich auf «eine iranische Quelle». In der Botschaft heisst es, Iran strebe «keinen regionalen Krieg» an. Doch «die Phase der einseitigen Selbstbeschränkung» sei vorbei. Weiter wird davor gewarnt, dass jeder israelische Angriff mit einer «unkonventionellen Antwort» beantwortet würde. Nicht nur militärische Ziele, auch die israelische Infrastruktur würde ins Visier genommen.
Nasrallah für Waffenstillstand?
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah habe vor seinem Tod einer Waffenruhe mit Israel «vollständig» zugestimmt. Dies erklärt der geschäftsführende libanesische Aussenminister Abdullah Bu Habib gegenüber CNN. «Wir haben die Amerikaner und die Franzosen informiert», sagte Habib. US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten zu einer 21 Tage langen Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah aufgerufen.
Angriffe auf Beirut
In Beirut waren in der Nacht zum Donnerstag schwere Explosionen zu hören. Israel hatte einen Präzisionsschlag angekündigt. Die Explosionen waren noch 20 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt zu hören. Getroffen wurde offenbar ein Gebäude der libanesischen Gesundheitsbehörde im Stadtteil Bachoura. Neun Menschen wurden dabei getötet und 14 verletzt. Angegriffen wurde auch das Hauptquartier des Geheimdienstes der Hisbollah.
1’974 libanesische Todesopfer
Der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad teilte am Donnerstag mit, dass in den vergangenen drei Tagen in Libanon vierzig Sanitäter und Feuerwehrleute getötet wurden. Abiad sagte, seit dem 8. Oktober letzten Jahres seien 97 Sanitäter und Feuerwehrleute im Land durch israelische Angriffe getötet worden. Die Zahl der Todesopfer im ganzen Land sei seit diesem Datum auf 1’974 gestiegen, darunter befänden sich 127 Kinder und 261 Frauen. Etwa eine Million Menschen wurden vertrieben.
Über Nacht wurden bei einem israelischen Angriff auf das Zentrum von Beirut sieben Mediziner getötet, die für die der Hisbollah nahestehende Islamische Gesundheitsbehörde arbeiteten. «Wir wissen, dass es internationale Gesetze zum Schutz von medizinischen Einrichtungen, Krankenwagen und medizinischem Personal gibt», sagte der Gesundheitsminister.
Ein israelischer Militärsprecher hatte die Bevölkerung Beiruts vor weiteren israelischen Angriffen gewarnt. Die Menschen wurden aufgefordert, bestimmte Gebiete zu verlassen, so unter anderem Dahieh, ein stark bevölkertes Stadtgebiet, in dem sich zahlreiche Hisbollah-Anhänger und -Kämpfer niedergelassen haben.
Am Montag hatte Israel das Cola-Viertel im Zentrum von Beirut angegriffen. Am Mittwoch erfolgte ein Angriff auf ein Spital im Bachoura-Viertel. Vor beiden Angriffen war die Bevölkerung nicht gewarnt worden.
Laut einem Bericht von Sky News Arabic wird der iranische Aussenminister Abbas Araghchi am Freitag in Beirut eintreffen und libanesische Beamte und Regierungsmitglieder treffen.
Bodenoffensive im Süden Libanons
Die israelische Bodenoffensive im südlichen Libanon ging auch am Donnerstag weiter. Ziel der Israeli sind Raketenstellungen der Hisbollah. Nach verschiedenen Angaben hat die Terrororganisation Zehntausende Raketen auf Israel gerichtet. Die Offensive in der bergigen und hügligen Landschaft des Südlibanon stellt Israel vor Herausforderungen.
Die Israelische Armee erklärte am Donnerstag, sie hätte in der Nacht rund 200 Ziele der Hisbollah auf libanesischem Gebiet angegriffen, darunter Infrastrukturanlagen, Waffenlager und Beobachtungsposten der militanten Gruppe im Südlibanon. Die israelische Luftwaffe habe dabei ein Gemeindegebäude in Bint Jbeil im Südlibanon «präzise getroffen». In dem Gebäude hatten die Hisbollah-Kämpfer «grosse Mengen von Hisbollah-Waffen» gelagert. Nach israelischen Angaben wurden 15 Hisbollah-Kämpfer getötet.
Die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA meldete, dass bei israelischen Angriffen auf den westlichen Küstenbezirk von Tyrus zwei äthiopische Staatsangehörige getötet wurden; auch Bint Jbeil sei Ziel der Angriffe gewesen.
Die israelische Armee forderte wegen der drohenden Kämpfe und Bombardierungen die Bewohnerinnen und Bewohner von zusätzlich 25 südlibanesischen Dörfern auf, ihre Häuser zu verlassen und in den Norden zu ziehen. Bereits zuvor hatte Israel mehrere hundert Menschen in Südlibanon aufgerufen zu evakuieren.
Am Mittwoch, am zweiten Tag der israelischen Bodenoffensive im Süden Libanons, waren acht israelische Soldaten getötet worden – eine relativ hohe Zahl im Vergleich zu den täglichen Verlusten, die das Militär im Gaza-Krieg erlitten hat. Diese waren in Nahkämpfe mit Hisbollah-Kämpfern verwickelt gewesen.
Am Donnerstag teilte die israelische Armee mit, dass aus Südlibanon 25 Raketen und zwei Drohnen auf die nordisraelische Region Obergaliläa abgeschossen wurden. Einige der Raketen wurden von Israel abgefangen. Andere stürzten in offenem Gelände ab. Verletzte gab es keine.
Die Hisbollah hat nach eigenen Angaben einen israelischen Vorstoss in Libanon beim Grenzübergang Fatima Gate zurückgeschlagen. Die vorrückenden israelischen Soldaten seien durch einen Artilleriebeschuss der Hisbollah gestoppt worden. Auch ein israelischer Angriff in der Nähe der Stadt Maroun Al-Ras wurde nach Hisbollah-Angaben abgewehrt. Israel hat diese Angaben bisher weder bestätigt noch dementiert.
Vor einem grossen Krieg?
Laut den Analysten der New York Times scheinen Israel und Iran, die seit Jahren einen direkten Konflikt vermieden haben, jetzt «bereit zu sein, einen direkten, langwierigen und ausserordentlich kostspieligen Konflikt zu riskieren».
«Analysten zufolge», schreibt die New York Times, «herrscht im israelischen Militär- und Sicherheitsapparat ein wachsender Konsens darüber, dass Israel nach dem zweiten Grossangriff auf Israel innerhalb von sechs Monaten bereit sein muss, Iran direkt anzugreifen, und zwar auf viel energischere und öffentlichere Weise als bisher.»
Amerikanische Beamte rufen Israel und Iran zu einer Deeskalation auf. Juliette Kayyem, eine Analystin für nationale «Sicherheit, Nachrichtendienste und Terrorismus» erklärte gegenüber CNN, es sei schwierig, Israels Reaktion zum jetzigen Zeitpunkt vorherzusagen. Der Einfluss der Vereinigten Staaten auf die Militärstrategie des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu habe seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober abgenommen. Die Vereinigten Staaten unterstützen Israel mit Waffen, aber ihre «Fähigkeit, Israel in Bezug auf seine militärische Strategie zu kontrollieren, erweist sich als ziemlich begrenzt», sagte Kayyem.
Israelischer Angriff auf iranische Ölfelder?
US-Präsident Joe Biden sagte am Mittwoch, er würde einen israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen «nicht unterstützen». Biden und die anderen Staats- und Regierungschefs der G7 erklärten, sie unterstützten das israelische Recht auf einen Gegenschlag. Dieser müsse jedoch «verhältnismässig» sein. Wieder einmal beschloss die G7, Iran mit zusätzlichen Sanktionen zu bestrafen.
Auf die Frage, ob er es unterstützen würde, wenn Israel als Vergeltung für den massiven Raketenangriff auf Israel am Dienstag die iranischen Ölreserven angreifen würde, sagte Biden am Donnerstag: «Wir sind in Gesprächen darüber», aber «es wird heute nichts passieren; wir werden später darüber sprechen.»
Angriff in Syrien
Bei einem israelischen Luftangriff auf ein Wohnhaus in der syrischen Hauptstadt Damaskus wurden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte und staatlicher Nachrichtenmedien drei Menschen getötet.
Angriffe im Gazastreifen
Israel greift nicht nur in Beirut, im Südlibanon, in Syrien, sondern verstärkt auch wieder im Gazastreifen an. In der Nacht zum Mittwoch wurden zahlreiche Menschen in Schulen und Wohnhäusern getötet. Dies erklärt das Gesundheitsministerium in Gaza. Bei einer israelischen Militäroperation am frühen Mittwochmorgen in mehreren Teilen von Khan Younis im südlichen Gazastreifen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 51 Menschen getötet und 82 verletzt.
Im Norden, in der Nähe von Gaza-Stadt, wurden mindestens acht Menschen getötet und mehrere verletzt, als die israelische Armee ein Waisenhaus des al-Amal-Instituts für Waisen beschoss, in dem sich Hunderte von vertriebenen Zivilisten aufhielten. Das Institut erklärt, im Gebäude hätten sich vor allem Frauen und Kinder befunden.
Israel tötet Hisbollah-Kommandanten
Das israelische Militär erklärte am Donnerstag, es habe den Hisbollah-Kommandanrten getötet, der für den Raketenbeschuss verantwortlich war, bei dem Anfang des Jahres ein Dutzend Kinder auf den Golanhöhen getötet worden waren. Nach Angaben des Militärs wurde Haidar Al-Shahabiya, am Mittwoch bei einem Luftangriff getötet. Von der Hisbollah gab es dazu keine unmittelbare Stellungnahme.
Angriff der Huthi
Jemenitische Huthi-Milizen haben nach eigenen Angaben in der Nacht zum Donnerstag einen Drohnenangriff auf Tel Aviv durchgeführt. Die von Iran unterstützte militante Gruppe behauptete, sie habe ein Ziel in der israelischen Stadt angegriffen, ohne jedoch genaue Angaben zu machen. In der Küstenstadt Bat Yam südlich von Tel Aviv ertönten Warnsirenen. Eine Drohne wurde von der israelischen Luftwaffe über dem Meer abgefangen, die zweite stürzte auf offenem Gelände ab, wobei es keine Verletzten gab, so das Militär.
Qassam-Brigaden übernehmen Verantwortung
Der bewaffnete Flügel der Hamas, die Qassam-Brigaden, haben die Verantwortung für die Schiesserei auf eine Strassenbahn in Tel Aviv am Dienstagabend übernommen. Sieben Menschen waren dabei ums Leben gekommen. Die Gruppe erklärte, die beiden Schützen hätten einen Soldaten erstochen und ihm die Waffe abgenommen, um den Anschlag auszuführen.
Guterres unerwünscht
Inzwischen wurde Uno-Generalsekretär António Guterres die Einreise in Israel verweigert. Aussenminister Israel Katz kritisierte den Uno-Chef dafür, dass er den jüngsten Raketenangriff Irans nicht energisch verurteilt hat.
Rosch ha-Schana
Die Eskalation im Nahen Osten findet während des jüdischen Neujahrsfestes Rosch ha-Schana statt, das dieses Jahr am 3. und 4. Oktober gefeiert wird. Juden auf der ganzen Welt läuten traditionell Rosch ha-Schana ein, indem sie Äpfel in Honig tauchen, in der Hoffnung auf süsse Zeiten. Doch die Feierlichkeiten der Israeli waren am Mittwochabend inmitten der eskalierenden Konflikte im Land gedämpft. Kurz vor Beginn der Feiern erfuhren die Israeli, dass acht Soldaten in Libanon getötet wurden.
(Journal 21 mit Associated Press, New York Times, CNN, BBC, Haaretz, Washington Post, Al-Jazeera)