Die Pakistaner haben in Massen gewählt. Die Drohungen der Taleban haben sie nicht abgehalten. Die Wahlen waren in vieler Hinsicht ausserordentlich. Sie waren ehrlicher als gewöhnlich, weil eine neutrale Wahlregierung eingesetzt worden war und eine machtvolle Wahlkommission nach Kräften für Sauberkeit sorgte.
Bereinigte Wählerlisten
Die Wahlkomission hat erklärt, sie habe im Vorfeld der Wahlen nicht weniger als 36 Millionen von falschen oder verfallenen Namen (das heisst Namen von Verstorbenen) von den Wahllisten getilgt und 36 Millionen Namen von lebenden und meist jungen Wählern neu registiert. Etwas unter 100 Millionen von Wahlberechtigten stehen auf den Listen.
Es war auch die erste Wahl seit dem Bestehen Pakistans (1947 gegründet), in der eine gewählte Regierung einer anderen gewählten die Macht übergab. Bisher waren immer Armeeputsche dazwischen gekommen.
Die Wahl zeichnete sich dadurch aus, dass in der wichtigsten Provinz Pakistans, Punjab, wo 60 Prozent aller Wähler leben, eine neue Partei die alten bestehenden Machteliten herausforderte. Es war jene von Imran Khan, dem einstigen Cricket Star, die "Wechsel" versprach und die jungen Wähler ansprechen wollte. Sie hatte im Vorfeld der Wahlen grosse Massenversammlungen in Punjab mobilisiert.
Terror blieb wirkungslos
Die Wahl war durch die Drohungen der Pakistanisachen Taleban überschattet. Im Vorfeld hatten gegen 100 Personen durch Anschläge der Terroristen ihr Leben verloren. Die Taleban nahmen selektiv die Parteien aufs Korn, die zur vorausgehenden Regierungskoalition gehört hatten und die sie als säkular ausgerichtet betrachteten. Sie drohten auch, während der Wahlen zuzuschlagen, und sie haben am Wahltag durch Bombenanschläge noch einmal gegen 20 Personen ermordet. Genaue Zahlen fehlen, weil sich die Taleban nur für einige der Bombenanschläge und Mordaktionen verantwortlich erklärt haben. Bei anderen blieb offen, wer sie verübt hat.
Die Drohungen hatten bewirkt, dass manche Parteien ihre Wahlveranstaltungen ungehemmt durchführen konnten, doch für die drei, die zur Regierungskoalition gehört hatten, war es allzu gefährlich, Massenversammlungen durchzuführen. Zurückhaltung der Offiziere
Vor schweren Zeiten
Die Wahl war auch einzigartig durch die grosse Menge von jungen Frauen und Männern, die zum ersten Mal wählten. In den durch die Taleban besonders bedrohten Provinzen des Nordwestens, an der afghanischen Grenze, kamen die Frauen in Massen an die Urnen. Sie wollten zeigen, dass sie sich von den Taleban nicht einschüchtern liessen.
Die Militärs waren dafür, dass die Wahlen durchgeführt würden, und sie liessen sie durch 60.000 Soldaten überwachen. Denn Pakistan stehen dermassen schwere Zeiten bevor, dass die Offiziere zunächst den zivilen Politikern die Verantwortung dafür überlassen möchten, was in den kommenden Jahren geschieht.
Nawaz Sharif als der Sieger
Die offiziellen Wahlresultate sind noch nicht bekannt. Doch die Hochrechnungen der Parteien ergeben, dass die Partei von Nawaz Sharif gesiegt haben dürfte. Sie hat bereits ihren Sieg gefeiert, und ihre Politiker sagen, sie hätten eine absolutes Mehr in der zentralen Regierung gewonnen. Die meisten Hochrechnungen geben der Partei gegen 100 Abgeordente, für ein absolutes Mehr würde sie 120 benötigen. Ob sie dies wirklich erreicht, ist zweifelhaft. Doch jedenfalls scheint ihr ein relatives Mehr gewiss. Die beiden nächsten Rivalen, die bisher regierende Pakistanische Volkspartei (PPP) der Bhutto Familie und die neue Partei von Imran Khan, dem ehemaligen Cricket Star, liegen beide in der Region von etwa 40 Abgeordneten. Noch ist ungewiss, welche von ihnen als der zweite und welche als der dritte Sieger aus der Wahl für die Zentralregierung hervorgehen wird.
Ablösung der Feudalfamilien
Nawaz Sherif wird also entweder eine Koalition bilden müssen oder er wird alleine regieren. Sein Sieg und das jedenfalls respektable Resultat des Neupolitikers Imran Khan bedeuten, dass diesmal und möglicherweise für alle Zukunft die Politiker mit grossstädtischer Basis in der Führung stehen. Die grossen landbesitzenden Familien "feudaler" Tradition haben vermutlich mit der nun abgetretenen Regierung der PPP der Bhutto Familie das Ende ihrer Vormachtstellung erreicht. Sie dürften diese in den vergangenen Jahren wahrscheinlich vielen der 36 Millionen Stimmen verdankt haben, die nun als ungültig aus den Wahllisten getilgt worden sind.
Der zukünftige Ministerpräsident Pakistans, Nawaz Scharif, ist einer der reichsten Industriebarone des Landes. Seiner Familie gehört das Stahlkonglomerat der "Ittefah Group" in Manshera. Die Familie lebt in Lahore. Nawaz Sherif wird als "pro-business und konservativ" eingestuft. Zu seinen Wahlversprechen gehört, er werde für das wirtschaftliche Aufblühen Pakistans sorgen. Dies, so erklärte er, sei eine Vorbedingung für die Verbesserung der politischen und der Sicherheitslage, denn wenn die Wirtschaft blühe, werde alles andere viel leichter werden. Sein Slogan war, er wolle Pakistan in einen "asiatischen Tiger" verwandeln. Der Tiger ist auch sein politisches Symbol.
Seine konservative Seite zeigt sich in seiner Haltung gegenüber der islamischen Politik. Er hat es vermieden, die Taleban zu verurteilen, und diese haben seine Haltung dadurch honoriert, dass sie ihn und seine Anhänger nicht mit Terror bedrohten. Auch Imran Khan wurde nicht bedroht. Er hatte seinem Wahlpublikum versprochen, er werde mit den Taleban "Frieden schliessen".
Karrierebeginn unter Zia ul-Haqq
Nawaz Sharif hat seine politische Laufbahn als ein Protégé des islamistischen Militrädiktators Zia ul-Haqq , der von 1977 bis 1988 herrschte, begonnen. Zia ul-Haq hatte den Chef der PPP Ministerpräsident Ali Bhutto, den Vater von Benazir, hängen lassen. Sharif war unter ihm zuerst Minister, dann Ministerpräsident in der Provinzregierung von Punjab. Er wurde damals als ein guter Verwalter bekannt. Ein enges Verhältnis zur islamischen Politik war unter Zia Voraussetzung für eine politische Karriere. Die Partei, die Sharif damals, zunächst im Auftrag des Generals, in Punjab aufbaute, hiess und heisst Muslim Liga, sie hat seither die Sigel "N" (für Nawaz) zusätzlich erhalten, um sie als "seine" Muslim Liga zu markieren, die sich von fünf weiteren Muslim Ligas ohne "N" unterscheidet. Der Begriff Muslim Liga ist historisch. Es war die Parteiformation, in deren Namen Pakistan unter Jinnah gegründet wurde.
Nach Zia ul-Haqq brachte es Nawaz Sharif mit seiner auf den Punjab konzentrierten Partei zweimal zum Ministerpräsidenten der Zentralregierung von Islamabad, 1990-1993 und 1997-1999. Benazir Bhutto löste ihn zwischen seinen beiden Regierungsperioden ab. Nun wird er wahrscheinlich ein drittes Mal Ministerpräsident werden.
Der Zusammenstoss mit General Musharraf
Es war der Staatsstreich des Generals Musharraf, der Nawaz Sharif zu Fall brachte. Unter Musharraf wurde er in zwei verschiedenen Prozessen zuerst wegen angeblicher Korruption zu einem lebenslänglichen Politverbot und dann wegen Hochverrat und Kidnapping zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Ein vermutetes Geheimabkommen zwischen Zia und Saudi Arabien bewirkte jedoch, dass der Verurteilte mit 40 seiner Familienangehören nach Saudi Arabien ins Exil ausreisen durfte. Dort verbachte er sieben Jahre von zehn, die er hätte verbleiben sollen. 2007 kehrte er im Triumpf nach Pakistan zurück. Damals wurden Wahlen ausgeschrieben, für die auch Benazir Bhutto heimkehrte, nur um kurz darauf ermordet zu werden. In diesen Wahlen schlug die Muslim Liga (N) in den Landeswahlen für Pubjab, die Koalition von Parteien, die für Musharraf eintrat (darunter gab es auch eine Muslim Liga, die sich Muslim Liga für ganz Pakistan nannte), und der Bruder von Nawaz Sharif, Shahbaz Sharif, wurde Chef der Landesregierung von Punjab. Doch die Wahlen für das Zentralparlament gewann die Bhutto Partei auf Grund der Sympathiestimmen für die ermordete Benazir. Ihr Gemahl, Zardari, wurde Präsident, und die Bhutto Partei regierte in einer Koalition.
Nawaz Sharif erlebte ein weiteres Politabenteur, als das Oberste Gericht in Islamabad ihn und seinen Bruder im Jahre 2009 wegen angeblicher Korruption als nicht mehr wählbar erklärte. Sharif sah in dieser Massnahme eine Intrige von Zardari, der damals Staatspräsident war und es bis heute bleibt. Es gelang ihm, dieses Urteil zu wenden, weil gewisse Richter des Obergerichtes, die von Musharraf abgesetzt worden waren, gewiss nicht ohne Beihilfe von Nawaz Sharif, in das Gericht zurückkehren konnten und sich als Gegner von Zardari und seiner Regierung und als Freunde Sharifs erwiesen.
Hoffnung auf Effizienz
"Null Korruption" gehörte auch zu den Wahlversprechen des künftigen Ministerpräsidenten. Im Wahlkampf gegen Imran Khan verwies Nawaz Sharif gerne auf die Leistungen seines Bruders in der Landesverwaltung von Punjab. Dort hat der Bruder die erste Autobahn Pakistans bauen lassen, und Nawaz versprach vergleichbare und noch grössere Leistungen für ganz Pakistan. Er knauserte auch nicht mit Wahlgeschenken für seine Anhänger. Unter Studenten, die für ihn wirkten, liess er Laptops verteilen.
Sein Prestige als Grossindustrieller dürfte in den Wahlen wichtig gewesen sein. Es sind neben der Teuerung in erster Linie Elektrizitäts- und Brennstoffmangel, die in Pakistan für berechtigte Unzufriedenheit sorgen. Die Städte erleiden stundenlange Elektrizitätsausfälle, und riesige Schlangen von Automobilen warten viele Stunden vor den Benzinpumpen. Viele Fabriken stehen still, weil der Strom fehlt oder zu teuer geworden ist. Die staatlichen Elektrizitätswerke erklären, ein Drittel ihres Stroms werde von Elektriziätsdieben gestohlen, die die Leitungen anzapfen. Die bisherige PPP Regierung hat wenig getan, um diesen Zuständen abzuhelfen, und die Bevölkerung erwartet ohne Zweifel, dass der Industriekapitän und "Tiger" Nawaz Sharif dies schnell ändert - wie er ja versprochen hat.
Doch von heute auf morgen wird es auch ein "Tiger" nicht ändern können. Der neuen Regierung stehen Verhandlungen mit dem IMF bevor, um neue Anleihen zu erhalten. Die pakistanischen Oberschichten, besonders die Landbesitzer, pflegen es zu vermeiden, Steuern zu zahlen. Der IMF wird Reformen fordern, darunter auch solche der Steuerwesens und eine realistischere Energiepolitik. Alle Reformen werden zunächst einmal überwiegend zu Lasten der Armen gehen.
Die Armee wacht über ihren Interessen
Mit der Armee ist Nawaz Sharif 1999 zusammengestossen. Sie hat damals Musharraf unterstützt und Sharif abgesetzt. Die Beobachter sagten, die Armee sei darüber aufgebracht gewesen, dass Sharif damals versuchte, "das Gewicht der Institutionen im Staat" zu vermindern. Mit den Institutionen sind die Armee und die Gerichte gemeint.
Gegenwärtig soll die Armee darüber beunruhigt sein, dass der ehemalige Militärgewaltige, General Musharraf, der für die Wahlen heimgekehrt war, um seine Partei anzuführen, Hausarrest und Politverbot erhielt und unter drei verschiedenen Anklagen vor ein ziviles Gericht gestellt werden soll. Der Armee geht es nicht um die Person Musharrafs sondern vielmehr um den Präzedenzfall. Es wäre das erste Mal, dass ein Armeegeneral nicht vor ein Militärgericht sondern vor die zivilen Gerichte käme.
Der Streit um die Drohnen
Eine weitere Gratwanderung, bei der es um die Militärs und um die Beziehungen mit den USA geht, steht dem kommenden Ministerpräsidenten bevor. Drei Tage vor den Wahlen hat das Obergericht von Peshawar einen langen Prozess entschieden, bei dem es um die Klage eines Pashtunen ging, dessen Vater durch eine amerikanische Drohne getötet wurde. Das Gericht hat entschieden, Tötungen von Zivilisten in Pakistan durch Drohnen seien "Kriegsverbrechen", sie verstiessen offensichtlich gegen die grundlegendsten Menschenrechte. Die Regierung habe die Pflicht, gegen diese "kriminellen Handlungen" einzuschreiten und Gewalt zu gebrauchen, wenn dies nötig sei, um die Drohnenaktionen zu beenden.
Der Richter erklärte auch, die Regierung habe Information über die Opfer der Drohnenschläge zu sammeln und den Angehörigen Kompensationen zu zahlen.
Gegen die USA und gegen ISI
Von diesem Urteil sind nicht nur die Amerikaner betroffen, weil die CIA die Drohnen betreibt, die von pakistanischen Militärflugplätzen aus starten, sondern auch die pakistanische Armee und deren Geheimdienste ISI (Inter Service Intelligence). Offiziell haben sich zwar die pakistanischen Regierungen immer wieder bei den Amerikanern über den Drohneneinsatz in pakistanischen Gebieten beschwert. Jedoch ist bekannt, dass die CIA bei dem Drohneneinsatz in Pakistan mit dem Einverständnis und mit Hilfe von ISI und der Armeeführung handelt.
Die kommende Regierung wird sofort zu entscheiden haben, ob sie gegen das Urteil von Peshawar beim Obersten Gerichtshof in Islamabad Berufung einlegt oder nicht. Der Rechtsspruch gegen die Drohneneinsätze ist in Pakistan ohne Zweifel sehr populär. Wenn sie Berufung einlegt, riskiert die Regierung, dass der Oberste Gerichtshof das Urteil bestätigen könnte, und es wird schwierig sein, in den Gerichtsverhandlungen der Frage auszuweichen, warum bisher die Drohnenschläge vom Geheimdienst verdeckt gefördert wurden, während offiziell und nach aussen hin die Regierung sich gegen sie stellte.