Wege in der Landschaft sollen die «Wege zur Schweiz» erschliessen. Das ist die Idee eines Historikerteams. Als erstes Projekt ist der Sonderbundsweg entstanden. Er erinnert an den vierwöchigen Krieg im November 1847. Er machte den Weg frei zum modernen Bundesstaat von 1848. Ein Augenschein vor Ort.
Was prägen und bleiben soll, muss zum Erlebnis werden. Dazu ist Entdecken nötig und Verweilen. Eine Wanderung in historischer Landschaft ist ein solcher Moment. Diesem Ziel widmet sich das Projekt «Wege zur Schweiz».1) Es will im öffentlichen Raum Zugänge zur Vergangenheit unseres Landes verständlich machen und so den Bogen vom Heutigen zum Damaligen spannen. Augenfälliges und Unscheinbares, Vordergründiges und Hintergründiges, Alltägliches und Aussergewöhnliches sollen dabei sichtbar und darum erlebbar werden – auf der Basis heutiger Kenntnisse. Aufgezeigt werden wichtige Etappen der Schweizer Geschichte wie beispielsweise die Helvetik (1798–1803). Das Vorhaben initiiert hat der Historiker Jürg Stadelmann, ehemaliger Lehrer an der Kantonsschule Luzern.
Im Mikrokosmos zweier Brückenköpfe – und die Folgen
Der Sonderbundsweg führt von Sins im aargauischen Freiamt reussaufwärts über Rotkreuz (ZG) nach Gisikon (LU), eine Strecke von 13 Kilometern. Die Route eignet sich als Wanderung und als Schulreise, auch als Velofahrt. Ausgangspunkt ist die historische Holzbrücke von Sins, Schlusspunkt die Reussbrücke bei Gisikon. Zwischen diesen zwei Reussübergängen bekämpften sich die beiden Parteien. Beim Brückenkopf von Gisikon erlitten die Sonderbundskräfte am 23. November 1847 eine folgenschwere Niederlage. Sie machte den Tagsatzungstruppen den Weg frei in die Stadt Luzern. In der Folge kapitulierten die Sonderbundskantone. Frei wurde damit auch der Weg zur modernen Bundesverfassung.
Eine 23-köpfige Kommission machte sich an die Revision des Bundesvertrags von 1815. Mitte Februar 1848 hielt sie ihre erste Sitzung ab. Am 8. April, lediglich 51 Tage später, lag der Text zur neuen Bundesverfassung vor – mit dem bis heute gültigen demokratisch-föderalistischen Zweikammersystem.2)
In Volksabstimmungen bejahte eine Mehrheit der Kantone während der Monate Juli und August die neue Bundesverfassung. Am 12. September 1848 erklärte sie die Tagsatzung für angenommen. Die Schweiz wurde als Pionierland die erste stabile Demokratie Europas – inmitten eines monarchischen Umfeldes.
Vielfältige Geschichtsvermittlung
Auf dem Sonderbundsweg führen 13 Informationsstationen mit Texten und Bildern ins damalige Geschehen und erklären das Vergangene – auf vielfältige und zeitgemässe Art. Über einen QR-Code lässt sich beispielsweise ein fiktiver Radiosender abrufen: Eine Journalistin reist zurück und befragt Exponenten liberaler und konservativer Tageszeitungen der wilden 1840er-Jahre. Hörbar und spürbar wird so die heftige Polarisierung der damaligen Zeit und das raue Ringen zwischen den beiden Lagern im Vorfeld des Sonderbundskrieges (vgl. Kastentext).
Zur Sprache kommt nicht nur der politische Kontext, beleuchtet wird nicht nur die Optik und Strategie der beiden Kriegsparteien. Spannend sind auch die sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekte dieser Epoche. In der Nähe eines Bauernhofs wird beispielsweise die Lebensrealität der Menschen um 1840 thematisiert. Es geht um «Armut, Auswanderung und Ausweglosigkeit»3): das Mikroperspektivische. Standort 9 dagegen beleuchtet eine makroperspektivische Sichtweise. Die Informationen verorten den Sonderbundskrieg im europäischen Kontext der Revolutionsjahre 1848/49.
Der Bundesstaat von 1848 als Kompromiss zwischen Apfel und Traube
Der Abschnitt zwischen 1798 und 1848 ist eine der spannendsten Epochen der Schweizer Geschichte. Die Zeitspanne beinhaltet den kräftigen Konflikt zwischen zentralem Einheitsstaat und lockerem Staatenbund; es ist der Streit zwischen dem französisch-napoleonischen Zentralismus – symbolisiert im Apfel – und dem alteidgenössischen Föderalismus, abgebildet in der Traube. Der fünfzigjährige Kampf zwischen Apfel und Traube, zwischen der Idee eines neuen Einheitsstaates und der alten föderalen Struktur ist intensiv. Verstärkt wird die Polarisierung zwischen Liberal-Radikalen und Konservativen über die Konfessionalisierung durch Protestanten und Katholische. 1841 hebt der liberale Kanton Aargau die Klöster auf. Daraufhin beruft Luzern Jesuiten an seine höheren Schulen. 1844 und 1845 kommt es zu zwei Freischarenzügen. Ein Schutzbündnis der sieben katholisch-konservativen Kantone ist die Folge: der Sonderbund zwischen Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Freiburg und dem Wallis. Das alles führt zu einem Crescendo mit kriegerischer Konfrontation. Und wieder droht ein Bruch – wie beispielsweise im Alten Zürichkrieg 1436–1450 oder in der Zeit vor dem Stanser Verkommnis 1481.
Ein Krieg ebnet den Weg zum Bundesstaat von 1848
Mitte 1847 erklärt die Tagsatzung, der eidgenössische Gesandtenkongress in Bern, den Sonderbund für ungültig; Anfang November beschliesst sie seine gewaltsame Auflösung. Es kommt zum letzten Bürgerkrieg in der Schweiz. Auf der einen Seite stehen die Tagsatzungseinheiten mit rund 100’000 Mann unter General Guilaume-Henri Dufour, auf der anderen Seite die Sonderbundstruppen unter dem Kommando von Johann Ulrich Salis-Soglio mit rund 50’000 Soldaten.
Es ist ein kurzer Krieg. Die Sonderbundskantone stehen auf verlorenem Posten und kapitulieren bald. Die Gefechte kosten rund 100 Menschen das Leben; etwa 500 werden verwundet. Zehn Monate später liegt eine neue Verfassung vor. Am 12. September 1848 wird die Schweizerische Eidgenossenschaft zum Bundesstaat. Er bringt den Kompromiss – in Form der Orange: Die Haut symbolisiert den Bund, die Schnitze stehen für die Kantone. Konkret: Die Schweiz, ein vielfältiges Land mit möglichst autonomen Gliedstaaten oder eben Kantonen, dies dank einer föderativen Staatsstruktur. Aus dem alten Staatenbund wird über den helvetischen Einheitsstaat von 1798 der heutige Bundesstaat von 1848. Der Sonderbundeskrieg vom November 1847 hat dazu den Weg freigemacht.
Der Sonderbund kennt wenig Eindeutigkeiten
Was war 1847? Ein Religionskrieg? Ein Bürgerkrieg oder ein Bruderzwist, gar ein Sezessionskrieg? Und war 1848 ein Staat der Sieger und der Durchbruch der Moderne? War es eine Stunde Null?4) Können wir von einer Zäsur oder sogar einer Revolution sprechen? So fragt der Historiker und Initiant Jürg Stadelmann. Nur eines steht für ihn eindeutig fest: «Der Weg zum Bundesstaat ist frei geworden über einen Krieg.»
Darüber hinaus gibt es wenig Eindeutigkeiten. Das zeigt ein Video am Standort 11. «Was war der Sonderbundskrieg aus heutiger Sicht nun wirklich?» Auf diese Frage reagieren und argumentieren vier ausgewiesene Fachleute und Geschichtsexperten ganz unterschiedlich. Heidi Bossard-Borner, Kurt Messmer, Jakob Tanner und Walter Troxler kommen zu verschiedenen Schlüssen. Das ist ebenfalls eine wichtige Erkenntnis auf dem historischen «Weg zur Schweiz» zwischen Sins und Gisikon – gerade auch für Schülerinnen und Schüler.
1) Auf der Website www.wege-zur-schweiz.ch finden sich detaillierte Informationen zum Sonderbundsweg. Der Inhalt eignet sich auch als Unterrichtsmaterial. Dazu sind über das Smartphone Audio- und Videosequenzen abrufbar.
2) In die Verfassungskommission eingebracht hat die Idee der liberale Schwyzer Katholik Melchior Diethelm. Er stützte sich dabei auf eine Publikation des Luzerner Philosophen Ignaz Paul Vital Troxler.
Vgl. Jürg Stadelmann: Ein Duo prägte die moderne Schweiz. Was haben Melchior Diethelm aus Schwyz und Ignaz Troxler aus Beromünster mit der Schaffung von National- und Ständerat zu tun? Sehr viel. In: Luzerner Zeitung. CH Media, 23.03.2023, S. 20.
3) Vgl. Erich Aschwanden: Geschichte will erwandert sein – auf dem Sonderbundsweg unterwegs zur modernen Schweiz. In: NZZ, 08.09.2023.
4) Vgl. Rolf Holenstein: Stunde Null. Die Neuerfindung der Schweiz 1848. Die Privatprotokolle und Geheimberichte. Basel: Echtzeit Verlag GmbH, 2018.