Fassungslos verfolgen Medienkonsumenten rund um den Globus die Geschehnisse in Japan, das vor einer Woche von einer der grössten Naturkatastrophen der letzten hundert Jahre getroffen wurde. Die Flut von Bildern und Berichten, die uns aus Japan erreicht, zeigt die gewaltige Zerstörungskraft des Erdbebens und vor allem des dadurch ausgelösten Tsunamis - Bilder wie aus Kriegsgebieten, ganze Dörfer und Stadtgebiete gewissermassen ausradiert, Menschen, die in endlosen Trümmerfeldern nach ihren Freunden und Verwandten suchen, Kälte, Hunger, unglaubliches menschliches Leid.
Bangen rund um die Welt
Gleichzeitig verfolgen wir besorgt den Kampf der Atomspezialisten und Feuerwehrleute, die zum Teil unter Lebensgefahr versuchen, die Kernanlagen von Fukushima 1 südlich von Sendai soweit unter Kontrolle zu halten, dass es zu keiner katastrophalen Freisetzung von Radioaktivität kommt. Seit Tagen, so gewinnt man den Eindruck, steht man im Kraftwerkskomplex kurz vor der endgültigen Katastrophe. Immer wieder wird zwar von erhöhter Strahlung berichtet, und von innerhalb der Anlage und aus unmittelbarer Nähe wurden vorübergehend auch lebensbedrohliche Intensitäten gemeldet. Bis jetzt scheint es aber trotz allem gelungen zu sein, die Freisetzung riesiger Radioaktivitätsmengen aus den abgeschalteten Reaktoren und den viel weniger geschützten Becken mit den abgebrannten Brennelementen zu verhindern. Und im Moment der Publikation dieses Berichtes, Freitagnacht japanische Zeit, scheint es sogar wieder etwas Hoffnung zu geben, dass mit einer verbesserten Stromversorgung vielleicht Pumpen in Betrieb genommen werden können, die eine effizientere Kühlung der überhitzten Brennelemente ermöglichen, was die kritische Situation etwas entspannen würde.
Die Verhinderung einer letztlich drohenden langfristigen Verseuchung grösserer Landstriche durch radioaktiven Fallout, die mit einem endgültigen Versagen der Reaktorhüllen oder der Freisetzung grosser Mengen des radioaktiven Inventars aus den abgebrannten Brennelementen zu befürchten wäre, scheint damit wieder etwas realistischer. Gleichzeitig sollen amerikanische Messungen ergeben haben, dass sich die "schlimmste" Kontamination tatsächlich nicht über einen Umkreis von 30 Kilometer ausdehnt, wobei die nächste Umgebung der Reaktoren weitaus am stärksten betroffen ist.
Die Bewältigung wird noch Jahre dauern
Doch selbst wenn das Schlimmste in den nächsten Tagen verhindert werden kann, dürfte die Situation noch während Tagen, wenn nicht gar Wochen kritisch bleiben. Und die endgültige Stilllegung der Anlagen ist zweifellos eine äusserst schwierige Aufgabe, die viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Ganz zu schweigen davon, wenn sich die Situation stark verschlechtern sollte. Im Moment will sich kaum ein Experte dazu äussern, wie dann die Zukunft der betroffenen Gebiete aussehen würde.
Wie immer sich die Dinge in der Kernanlage entwickeln, klar ist, dass das Versagen der Kühlung nach dem Jahrhundert-Erdbeben mit seinem Tsunami den Umgang mit der Kerntechnologie weltweit nachhaltig verändern wird. Eine prägende Erfahrung der vergangenen Woche ist die Beobachtung, wie die Experten ausserhalb Japans vor laufenden Kameras in aller Ehrlichkeit erklären mussten, dass auch sie nur spekulieren können – zu dürftig waren und sind zum Teil immer noch die konkreten Informationen. Auch die internationale Atombehörde in Wien, die IAEA, konnte aus diesen Gründen die Lage nur vage und nicht unabhängig einschätzen, obwohl sie von einem Generaldirektor, Yukiya Amano, geleitet wird, der aus Japan kommt. Zugleich mussten die Fachleute alle tatenlos zusehen, wie ihre japanischen Kollegen verzweifelt mit allen möglichen Notmassnahmen gegen das sich abzeichnende Desaster ankämpften.
Späte Einsicht in die Überforderung
Erst in den letzten Tagen haben nun die Japaner signalisiert, dass sie Hilfe anzunehmen bereit sind. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Betreiberfirma Tepco, wenn sie rascher zur Einsicht in die eigene Überforderung gelangt wäre – nach den immensen Zerstörungen durch die Naturkatastrophen in den Augen der Weltbevölkerung sicherlich kein Gesichtsverlust – die Situation früher hätte unter Kontrolle bringen können. Zu denken wäre zum Beispiel an eine rasche Anlieferung von technischem Gerät aus der Luft durch die Amerikaner oder die Zusammenarbeit mit Spezialisten, die Erfahrung mit diesen auch in anderen Ländern in Betrieb stehenden Reaktoren haben. Das hätte allenfalls helfen können, die Kühlung in den zum Teil notfallmässig abgeschalteten Reaktorblöcken schneller wieder in Gang zu bringen. Sollte es zu einer wirklich grossen Katastrophe kommen, wird die Diskussion über solche Optionen und die entsprechende Verantwortung besonders bitter werden.
Die Erfahrung, dass die Information nur spärlich fliesst, ist zwar nicht neu, ebenso wenig wie die nun aufkommende Kritik an der IAEA. Tatsache ist allerdings, dass die IAEA gemäss ihrem Statut nur auf Anfrage handeln kann. Ihre Aufgabe ist nicht die Aufsicht über Nuklearkraftwerke, sondern die Förderung der friedlichen Kernenergienutzung weltweit. Kontrollaufgaben hat sie einzig im Zusammenhang mit dem Atomsperrvertrag, der die Weiterverbreitung von nuklearen Waffen verhindern soll. Dieser verspricht im Gegenzug zum Verzicht auf Atomwaffen allen Nicht-Atomstaaten den möglichst ungehinderten Zugang zur friedlichen Atomtechnologie. Dabei kommt der Souveränität der Staaten grosse Bedeutung zu.
Die Atompolitik neu denken
Soll die Kernenergie nun auch nach dem Desaster von Fukushima eine wichtige Rolle in der Energieversorgung spielen – und nicht nur der rasch wachsende Energiebedarf der Schwellenländer, sondern auch die Klimaproblematik spricht in den Augen vieler dafür – ist es wohl unerlässlich darüber nachzudenken, ob der Wert der nationalen Souveränität im Bereich der Kernenergie weiterhin so hoch gehalten werden kann, wie dies vor einem halben Jahrhundert festgeschrieben wurde. Nur mit grösserer Transparenz und mit mehr internationaler Kontrolle der Technologie dürfte das Vertrauen in die Kernenergie, wenn überhaupt, zurückzugewinnen sein. Ein gestärktes internationales Regime mit strengeren Kontrollen bei der friedlichen Kernenergie wird für manche Staaten aber wohl höchstens akzeptabel sein, wenn auch der Atomsperrvertrag und mit ihm das Nichtweiterverbreitungsregime unter die Lupe genommen werden. Auch dieser ist nämlich in den letzten Jahrzehnten, seit Indien und Pakistan Ende der 1990er Jahre offen den Status von Atommächten fordern, löchrig geworden.