Eines der vielen Derivategebastel aus der Hexenküche der modernen Finanz-Alchemisten droht, das weltweite Finanzsystem in die Luft zu sprengen. Mal wieder. Wie weiland bei den Hypothekarkrediten handelt es sich um ein an und für sich sinnvolles Instrument: die Kreditausfallversicherung.
Verbrieft, verpackt, verschnürt und als Credit Default Swap (CDS) handelbar gemacht. Kümmern wir uns einen Moment nicht um das wilde Gehampel der Eurokraten, das Geschacher der griechischen Regierung und das Toben der Bevölkerung. Dise liefern TV-Bilder von Kulissenschiebereien. Die Bombe tickt bei den CDS.
Wann ist eine Versicherung fällig?
Jeder Laie weiss: Die Versicherung muss zahlen, wenn das Schadensereignis eintritt. Jeder Laie weiss: Im Ernstfall kommt das dann sehr auf das Kleingedruckte an, ob und wie viel bezahlt wird. Im Fall eines CDS auf griechische Staatsschuldpapiere heisst das: Wenn der Schuldner nicht mehr zahlt, also bankrott ist, ist das Schadensereignis eingetreten, die Versicherung muss zahlen.
Ausser, und das steht nicht mal im Kleingedruckten, man vereinbart einen freiwilligen Forderungsverzicht. Wie das europäische Regierungen und Banken als Bestandteil der nächsten angeblichen Rettung fordern. Dann müssen CDS nicht bedient werden. Und wer entscheidet, ob die Bedingungen für eine Auszahlung erfüllt sind oder nicht? Natürlich die ISDA. Wer? Die International Swaps Derivates Association.
Was ist die ISDA?
Sie wurde 1985 von den grössten US-Banken gegründet, heute sind ihr die meisten Grossbanken überall auf der Welt angeschlossen. Die ISDA entscheidet als letzte und einzige Instanz, ohne dass ihr da eine Regierung reinreden könnte, ob bei einem Staatsbankrott der Versicherungsfall für CDS eintritt. Das kann sie, weil aller Swap-Derivatehandel weltweit ihrem standardisierten Vertrag, dem ISDA Master Agreement, unterliegt.
Als die Idee eines «freiwilligen» Schuldenverzichts geboren wurde, verweigerten natürlich diverse Gläubiger ihre Zustimmung und gingen davon aus, dass so ihre abgeschlossenen Ausfallversicherungen zur Zahlung fällig würden, wenn auch sie 50 oder 80 Prozent ihrer Investition verlieren. Bis die ISDA kurz und bündig mitteilte: Nein, no, non, njet, CDS werden nicht ausbezahlt, Schadensereignis nicht eingetreten, da ja freiwilliger Schuldenverzicht vereinbart wurde.
Wer hat was davon?
Hinter der ISDA stehen die Banken. Banken haben solche CDS-Versicherungen im Multimilliardenbereich an Hedgefonds oder harmlose Rentenfonds verkauft. Und sind überraschenderweise sehr daran interessiert, dass diese Policen nicht zur Zahlung fällig werden. Das wäre ohne Wenn und Aber der Fall, wenn Griechenland schlicht und einfach Staatsbankrott erklären würde. Nun könnte der Laie meinen, dass das doch nicht so schlimm sei, schliesslich sind CDS auf Griechenschuldpapiere im Wert von bloss rund 76 Milliarden Dollar im Umlauf, in heutigen Zeiten doch eher Peanuts.
Da täuscht sich der Laie aber mal wieder, sonst wäre es ja nicht eine typische Derivateblase mit einer Sprengkraft, die mit der von CDO, den damaligen Hypothekarkreditderivaten, durchaus vergleichbar ist.
Unkalkulierbar
Da alle Derivategeschäfte OTC stattfinden, also over the counter oder auf Deutsch: unreguliert, unkontrolliert, weiss niemand, welche Bank wie viele CDS auf Griechenpapiere verkauft hat. Und niemand weiss, welche Bank, ob in den USA, Europa oder sonst wo auf der Welt, sofort pleite gehen würde, müsste sie die Versicherungspolicen auszahlen. Kenner der Sachlage warnen davor, dass selbst die grössten US-Banken davon überfordert sein könnten, müssten sie die von ihnen ausgegebenen CDS bedienen.
Und bislang haben wir ja nur von Griechenland mit vergleichsweise läppischen 76 Milliarden CDS-Volumen gesprochen. Im Fall von Portugal sind es CDS im Bruttowert von 66,5 Milliarden Dollar, bei Spanien bereits 160,2 Milliarden und bei italienischen Staatsanleihen 301,4 Milliarden. Und selbst wenn diese weiteren Wackelkandidaten nicht dem griechischen Staatsbankrott mit einem eigenen folgen würden, die Banken müssten auf diese CDS Wertberichtigungen vornehmen, ginge Griechenland pleite. Bei der notorisch dünnen Eigenkapitaldecke Gift für die Bankbilanzen.
Lebender Leichnam
Also muss der lebende Leichnam griechischer Staat, so die verquere Logik der Banken und europäischen Regierungen, künstlich am Leben erhalten werden, um jeden Preis. Den zahlt - übrigens schon seit 2010, seither kann Griechenland aus eigener Kraft seine Staatsanleihen nicht mehr bedienen - der Steuerzahler in Deutschland, Frankreich und in den anderen noch solventen EU-Ländern. Das soll den Finanz-Akrobaten mal einer nachmachen. Ein Staat muss in der Twilight Zone hängen bleiben. Zum Leben erwachen wird er sowieso nicht, aber richtig sterben darf er auch nicht.
Doch auch dieser Schwebezustand kann ja nicht ewig andauern. Und kostet jedes Jahr Multimilliarden, ohne dass damit etwas gewonnen wäre. Ausser natürlich, dass sich zockende Banker weiter aus der Verantwortung stehlen können.
Unfähige Regierungen
Aber es wäre unfair, nur den Bankern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Nur zwei Zahlenvergleiche, um das ungeheuerliche Versagen der Politiker, die weder vor noch nach der Finanzkrise I im Jahre 2008 Regulatorien oder bändigende Gesetze eingeführt haben, zu illustrieren. 1990 betrug weltweit der Börsenwert aller dort gehandelten Firmen 9 Billionen Dollar, diese Zahl stieg bis 2010 auf 56 Billionen Dollar. Der ausserbörsliche Derivatehandel, also das Zocken mit Wettscheinen, betrug 1990 ganze 5 Billionen Dollar. 2010 sagenhafte 601 Billionen Dollar. Und stieg im Jahre 2011 nochmals um mehr als 3000 Prozent zum Ausgangswert auf 708 Billionen.
Mit diesen unfassbaren Summen lässt sich das Ausmass des Politiker- und Regierungsversagens messen. Oder einfacher gesagt, es ist unendlich.