Toshio Hosokawa hat mit «Umarmung – Licht und Schatten» fremde Klänge ins Tonhalle-Orchester gebracht. Bei diesem Konzert spielte die neue Orgel der Tonhalle eine herausragende Rolle. Dieses Konzert ist auf SRF2 Kultur am 27. Juli 2023 um 20 Uhr zu hören.
Es war ein ganz besonderer Konzertabend Ende Juni in der Zürcher Tonhalle. Eher unbekannte Namen standen auf dem Programm. Unbekannt zumindest für ein breiteres Publikum. Josef Suk, ein tschechischer Komponist und Schwiegersohn Antonín Dvořáks. Und Toshio Hosokawa, ein zeitgenössischer Komponist aus Japan. Die Gegenüberstellung der beiden Komponisten war wie ein Ohrenöffner: neue Klänge, unbekannte Klänge, betörende Klänge, ein Klangerlebnis, das fremde musikalische Welten öffnete.
Und: Eine Hauptrolle an diesem Abend spielt die phantastische neue Orgel, die hier atemberaubend durch Christian Schmitt in Szene gesetzt wird. Die Orgel, eingebettet in das Tonhalle-Orchester, ein Erlebnis, das relativ rar ist. Zu hören nun auch im Radio auf SRF2.
Toshio Hosokawa war in der vergangenen Saison eine Art Hauskomponist für das Tonhalle-Orchester, «Creative Chair», nennt man diese Position hier. «Es war mir eine grosse Ehre und aufrichtige Freude, zum Creative Chair dieses wunderbaren Orchesters ernannt zu werden. Und es war ein wichtiges Ereignis in meinem kompositorischen Leben», so fasst Hosokawa seine Erfahrungen mit der Tonhalle zusammen.
Vor etwa sieben Jahren hatte er das Stück «Umarmung – Licht und Schatten» als Auftragswerk für Christian Schmitt und die Bamberger Symphoniker komponiert. Christian Schmitt, der den Bau der neuen Zürcher Orgel beratend begleitet hat, spielte damals auch in Bamberg bei der Uraufführung die Orgel. Und er schwärmt noch heute: «Es gibt vieles, das nicht in der Partitur steht, das ich aber ins Spiel einfliessen lassen kann, ohne werkuntreu zu werden.» Die meisten Orgelstücke, die heute geschrieben werden, stammten – dank ihrer Kenntnis des Instruments – hauptsächlich von Organisten oder Organistinnen, sagt Schmitt. Aber beispielsweise Wolfgang Rihm habe in jüngeren Jahren einige Stücke für Orgel komponiert. «Das war dann auch die Idee, Toshio Hosokawa als Komponisten anzufragen, der ganz anders für Orgel schreibt, sehr sphärisch, sehr entschleunigend, würde man heute sagen», so Christian Schmitt.
«Die Orgel war für mich ein sehr europäisches Instrument, was für mich als Japaner sehr schwierig war», erklärt Hosokawa. «Allerdings bin ich mit der japanischen Mundorgel ‘Sho’ vertraut. Die Sho ist ein kleines Instrument, das aus zwölf Bambusrohren besteht, an denen Rohrblätter befestigt sind, die durch Ein- und Ausatmen zum Klingen gebracht werden. Ich wollte die Orgel in ein orientalisches Instrument verwandeln, indem ich mir die westliche Orgel als riesige Sho vorstellte. Und ich sah das Orchester, das davor stand, ebenfalls als riesige Sho. Ich stellte mir eine Musik vor, in der sich die Klänge dieser beiden Sho miteinander umarmen.» Wer sich das jetzt nicht so richtig vorstellen kann, bekommt von Hosokawa aber auch eine optische Unterstützung. «Die Idee für die Umarmung entstand wohl, als ich Brancusis Skulptur ‘der Kuss’ sah. Sie zeigt einen Mann und eine Frau in enger Umarmung. In meinen musikalischen Werken versuche ich immer, ein Klanguniversum zu schaffen, in dem Töne in einer Ying-Yang-Beziehung miteinander verbunden sind. Die verschiedenen Elemente, Licht und Schatten, hell und dunkel, männlich und weiblich, hoch und tief, bringen sich nicht gegenseitig um, sondern ergänzen und umarmen sich und schaffen Harmonie in der Welt. Wenn die Orgel und die Akustik des Orchesters aufeinandertreffen, hoffe ich, eine solche klangliche Umarmung zu schaffen.»
Christian Schmitt erinnert sich gern an die Zeit, als Hosokawa das Stück entwarf. «Wie Gustav Mahler hat Hosokawa ein Komponier-Häuschen. Mahler hatte es am See, Hosokawas Häuschen steht am Meer. Und Hosokawa hat uns Bilder geschickt vom Sonnenaufgang, dem stillen Wasser … und er hat diese Bilder in Musik umgesetzt. Das klingt erst sanft wie am Zürichsee. Dann plötzlich kommt die erste Welle, als ob ein Motorboot über den Zürichsee donnert ...» Die Orgel darf dann an dieser Stelle aus dem Vollen schöpfen. Schmitt lacht, während er von diesem musikalischen Bild schwärmt, das Hosokawa da in Noten gefasst hat. «Aber es sind kleine Wellen, es ist nie so, als ob es die grosse Fontäne von Genf wär’, es bleibt im Rahmen, in diesem bescheidenen und ruhigen japanischen Rahmen …, aber die Rhythmen sind kompliziert. Für Organisten ist es spannend, sich musikalisch auf diese japanische Welt einzulassen.»
Und was ist für Jakub Hrůša, den Dirigenten des Konzerts, das Spezielle an Hosokawas Musik? «Die Qualität. Hosokawas Fähigkeit, eine grosse Atmosphäre aufzubauen», sagt Hrůša spontan. «Dieses Stück ist aussergewöhnlich, denn immer, wenn man Orgel und Orchester verbindet. ergibt sich eine sehr spezifische Klangwelt. Die Orgel in Zürich ist super! Und Christian Schmitt versteht dieses Instrument so hervorragend, weil er am Aufbau beteiligt war. Wir haben das Stück vorher bereits in Bamberg und in Köln aufgeführt, aber das Klangresultat hat mir hier in Zürich am besten gefallen.» Und Christian Schmitt doppelt nach: «Ich bin immer wieder begeistert von der schönen Orgel in Zürich.»
Hosokawas Musik ist nicht wie jede andere. «Ich möchte Musik schreiben, die nur Japaner komponieren können. Ich möchte Musik schaffen, die selbst mit westlichen Orgeln und Orchestern in ihrem Klang den weiten Osten heraufbeschwört. Ich habe eine tiefe Liebe zur westlichen Musik, aber meine Heimat ist der Osten. Und was ich tief in meinem Herzen suche, ist Musik mit einer östlichen Quelle. Was das ist, weiss ich allerdings immer noch nicht …»
«Umarmung – Licht und Schatten»
«Im Konzertsaal»
Radio SRF2 Kultur
27. Juli 2023, 20 Uhr