In dieser Warnung erklärten die Offiziere, Gespräche seien notwendig, um den Konflikt zu lösen. Sie fuhren fort: "Alle anderen Schritte als dieser würden uns in einen dunklen Tunnel mit verderblichen Folgen zwingen; etwas, das wir nicht zulassen werden."
Bleiben die Folgen des Dekretes bestehen?
Doch die Aufhebung des strittigen Dekretes vom 22. November, in dem Mursi sich selbst Vollmachten gab, die ihn über die Gerichte stellten, bedeutet in den Augen der Präsidentschaft offenbar nicht, dass auch die Folgen dieses Dekretes annulliert würden.
Ein Sprecher der Präsidentschaft erklärte, es sei "legal unmöglich" die Massnahmen aufzuheben, die unter dem Dekret angeordnet worden waren. Deshalb bleibe das Datum für das Plebiszit über den umstrittenen Verfassungsvorschlag bestehen. Diese Abstimmung soll am 15. Dezember stattfinden. Auch der Oberste Staatsanwalt, Mahmoud, den Mursi kraft des Dekretes zum zweiten Mal entlassen hatte, bleibe entlassen. Bestehen bleibe auch der Beschluss, die Prozesse gegen die angeklagten Politiker und Agenten der Mubarak-Epoche neu aufzurollen. Sie werden für die Repression und den Tod von Demonstranten verantwortlich gemacht, die gegen Mubarak protestiert hatten.
Die Richter werden entscheiden
Dies dürfte allerdings nur die Auffassung der Rechtsfachleute der Muslimbrüder sein. Die Aufhebung des Dekretes gibt den Obersten Richtern Ägyptens ihre vollen Machtbefugnisse zurück, und es steht zu erwarten, dass sie diese gebrauchen werden, um ihre Auffassung der rechtlichen Lage zur Geltung zu bringen. Diese könnte sehr wohl anders lauten als die Meinung der Anwälte aus den Kreisen der Muslimbrüder und der Präsidentschaft. Die Richter könnten urteilen, das Dekret sei illegal, folglich seien auch die Massnahmen, die in der Folge und kraft des Dekrets eingeleitet wurden, unzulässsig.
Es sind auch die Richter, die nun wieder über die Legalität oder Illegalität der umstrittenen Verfassungsversammlung entscheiden werden. Sie hat ihre Arbeiten zwar abgeschlossen. Doch wenn sie nicht legal war, könnten die Richter gewiss auch das Resultat ihrer Arbeit als illegal ansehen. Illegal wäre also dann, den umstrittenen Verfassungsentwurf am 15. Dezember zur Abstimmung dem Volk vorzulegen. Die Opposition verlangt, dass der Termin hinausgeschoben und der Entwurf neu diskutiert oder annulliert werde.
Mursi steht wieder unter den Richtern
Kurz gesagt, die Konzession Mursis bedeutet, dass zunächst die Richter wieder in ihre Machtbefugnisse eingesetzt wurden. Ob sie diese dann anwenden werden, um auch den umstrittenen Verfassungsentwurf aufzuheben, bleibt ungewiss.
Doch Mursi muss damit rechnen, dass die Mehrheit der Richter diesen Schritt unternimmt. Sie haben sich persönlich gegen den Präsidenten aufgelehnt und stehen den jetzt mächtigen Muslimbrüdern feindlich gegenüber.
Die zivilen Politiker der Opposition haben bereits deutlich gemacht, dass sie mehr fordern als die blosse Annullierung des Dekretes. Ein Sprecher der Revolutionsgruppe vom 4. April erklärte, die Aufhebung sei ein blosser Trick, durch den Mursi das Volk irreführen wolle. Die ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Amr Moussa und Hamdi Sabahi, die sich mit dem Nobelpreisträger Baradei zu einer Oppositionsfront zusammengeschlossen haben, zeigten sich zwar bereit, nun mit Mursi zu verhandeln - was den Wünschen der Armee entsprechen dürfte. Doch haben sie auch schon angedeutet, dass sie mehr fordern: als ersten Schritt eine Verlängerung des sehr knappen Termins für das Verfassungsplebiszit und dann auch eine neue Diskussion über den Entwurf selbst. Aufgebrachte Stimmen von Personen fehlen nicht, die überhaupt einen Rücktritt Mursis verlangen. Doch dieser steht wohl zurzeit nicht ernsthaft zur Diskussion. Es werden zunächst die nun wieder voll ermächtigen Richter sein, die ihre Urteile sprechen.