Abchasien und Südossetien sind zwei winzige Territorien am Südhang des Kaukasus-Gebirges. Im Sowjetimperium hatte Stalin sie der Sowjetrepublik Georgien zugeschlagen. Nach dem Zerfall des Sowjetreiches rebellierten beide mit russischer Schützenhilfe gegen die Zugehörigkeit zu Georgien.
Das russische Zarenreich hatte im Zuge seiner Expansion das heterogene Vielvölker-Puzzle im Nord- und Südkaukasus im 19. Jahrhundert unter seine imperiale Kontrolle gebracht. Als die kommunistische Sowjetführung das zaristische Erbe übernahm, erklärten zwar einige dieser Gebiete zunächst ihre Unabhängigkeit. Doch der Kremlherrscher Stalin, ein gebürtiger Georgier, setzte solchen Bestrebungen schnell ein Ende. Er ordnete die administrativen Zugehörigkeiten der unzähligen Kaukasusvölker willkürlich gemäss den Moskauer Machtinteressen. So wurden die abchasischen und südossetischen Siedlungsgebiete der georgischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Schon in der Spätphase des Sowjetimperiums wurde öfter über Konflikte vor allem zwischen aufmüpfigen Abchasen und der nominellen georgischen Regierung berichtet.
Abspaltung von Georgien
Als die Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre auseinanderbrach, nutzten die unzufriedenen Abchasen die damit verbundenen Turbulenzen und erklärten 1994 ihre staatliche Unabhängigkeit. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen, in deren Folge abertausende von ansässig gewordenen Georgiern aus der Enklave am Schwarzen Meer vertrieben wurden. Russische Truppen unterstützten die Abchasen im Kampf gegen das georgische Militär, das geschlagen wurde und sich zurückziehen musste. Noch heute sind in Abchasien sogenannte «Friedenstruppen» Moskaus präsent. Die kleine «Republik» mit einer Grösse von 8600 Quadratkilometern und schätzungsweis 240’000 Einwohnern wäre ohne die militärische und wirtschaftliche Protektion Russlands kaum überlebensfähig. Allerdings wird sie als unabhängiger Staat ausser von Russland nur noch von weit entfernten russischen Verbündeten wie Nicaragua, Venezuela und Syrien anerkannt.
Nach ähnlichem Muster hat sich auch die Abspaltung Südossetiens von Georgien und dessen Erklärung als «unabhängige Republik» abgespielt. Die Osseten sind sprachlich und ethnisch ursprünglich iranischer Herkunft. Sie gerieten im Lauf des 19. Jahrhunderts wie fast alle Stämme und Völker in der Kaukasusregion unter zaristische Oberherrschaft. Nach der Etablierung der Sowjetmacht wurde Nordossetien im nördlichen Teil des Kaukasus der Russischen Sowjetrepublik (RSFSR) eingegliedert. Südossetien erhielt den Status einer sogenannten Autonomen Republik innerhalb der Georgischen Sowjetrepublik.
Beim Zerfall der Sowjetunion erklärte sich Südossetien (Grösse: 3900 Quadratkilometer, Einwohnerzahl: rund 50’000) schon 1990 als unabhängig, was zu militärischen Zusammenstössen mit Georgien führte. Wie im Fall Abchasiens unterstützte die russische Armee die abtrünnigen Südosseten, und zahlreiche in diesem Gebiet angesiedelte ethnische Georgier wurden nach Georgien vertrieben.
2008 spitzte sich der Konflikt zwischen Georgien und seiner ehemaligen Provinz Südossetien zu. Der damalige georgische Präsident Saakaschwili, der 2003 die unblutige Rosenrevolution gegen die Regierung des früheren sowjetischen Aussenministers Schewardnadse angeführt hatte, liess sich zu einer überstürzten und wenig durchdachten Militärintervention in Südossetien hinreissen. Die georgischen Truppen wurden von russischen Streitkräften schnell vertrieben, was Saakaschwilis Popularität im eigenen Land deutlich beschädigte und Putins Prestige in Russland weiteren Auftrieb verschaffte.
Politisch eingefroren
Die Konfliktsituation in Abchasien und Südossetien hat sich zwar im militärischen Sinne in den letzten zwanzig Jahren einigermassen entspannt. Die Georgier haben klugerweise eingesehen, dass sie diese beiden ehemaligen Provinzen, die sie während ihrer Herrschaftszeit offenbar nicht sehr umsichtig und tolerant regiert hatten, nicht mit militärischer Gewalt zurückgewinnen können.
Politisch hingegen bleibt der Status von Abchasien und Südossetien völlig ungelöst. Diplomaten und Politologen ordnen die beiden Fälle der Kategorie der sogenannten eingefrorenen Konflikte zu. Die selbst deklarierte staatliche Unabhängigkeit der beiden Gebiete wird, wie erwähnt, nur von Russland, Syrien, Nicaragua und Venezuela anerkannt. In Wirklichkeit handelt es sich um russische Protektorate, deren Einwohner problemlos auch russische Pässe beziehen können. Eine ursprünglich im Jahr 2022 geplante Volksabstimmung in Südossetien über einen formellen Beitritt zur Russischen Föderation wurde aus undurchsichtigen Gründen wieder abgesagt.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und der formellen Annexion ukrainischer Provinzen im Donbass hatte der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew damit gedroht, dass Moskau auch Abchasien und Südossetien offiziell dem russischen Staatsgebiet einverleiben würde, falls Georgien in die Nato aufgenommen werden sollte. Die Frage, ob die Bevölkerung in Abchasien und Südossetien einer solchen definitiven Annexion auch zustimmen würden, schien Medwedew nicht zu beschäftigen.
Georgien ist zwar – ähnlich wie die Ukraine – grundsätzlich an einer Nato-Mitgliedschaft interessiert, doch solange der Konflikt um diese ehemaligen Gebiete nicht politisch gelöst ist, dürfte diese Mitgliedschaft kaum spruchreif werden.