Mit sportlichem Schritt und fliegender Kutte saust er durch den Hof des Landesmuseums und muss bei einem Türsteher auch noch kurz nach dem Weg zum richtigen Eingang fragen: Es ist Urban Federer, der Abt des Klosters Einsiedeln, der schon zur Medienorientierung der Ausstellung erwartet wird.
Auch eine Art Pilgerfahrt
Urban Federer ist der 59. Abt des Klosters Einsiedeln. Das Kloster ist eine wichtige Station auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela und wird seit rund 1’000 Jahren von Pilgern auf der Durchreise besucht. Das Pilgern steht folglich im Mittelpunkt dieser Ausstellung. «Bis zu 15’000 Pilger kommen manchmal an einem Tag», erzählt Abt Urban. «Sie kommen aus Portugal, Polen, der Slowakei und anderen Ländern.» Höchst lebendig geht es dann in Einsiedeln zu, und auch das nach aussen hin beschauliche Leben hinter den Klostermauern wird davon beeinflusst.
Sind sie selbst denn auch schon einmal den Jakobsweg entlanggepilgert, frage ich Abt Urban. Er lacht. «Nein! Wir leben zwar an einem Pilgerweg, bleiben aber an Ort und Stelle.» Dann fügt er bei: «Wir haben sozusagen eine innere Mobilität, mit der wir Gott suchen. Ausserdem ist unser täglicher Gang vom Altar zur Gnadenkapelle mit dem ‘Salve Regina’ auch eine Art Pilgerfahrt …» Dass Pilgern in den letzten Jahren auch ein bisschen eine Modeerscheinung geworden ist und verschiedene Prominente den Weg gemacht und anschliessend in Büchern darüber berichtet haben, das stört Abt Urban nicht. «Das äussere Pilgern führt auch immer zu einer inneren Einkehr.» Es gebe viele Junge, die sich zu einer Pilgerfahrt entschliessen, aber auch Ältere, die vielleicht gerade pensioniert wurden und nun an einem neuen Lebensabschnitt stünden. Viele sind in Gruppen unterwegs. Aber in unserer Ich-bezogenen Zeit würden sich auch viele ganz allein auf den Weg machen, so Abt Urban.
Als der Gedanke aufkam, das Kloster und den Pilgerbetrieb in einer Ausstellung zu würdigen, war Abt Urban zunächst nicht begeistert. «Ich will kein Museum daraus machen. Ich möchte nicht die Vergangenheit ausstellen, sondern das Kloster mit seinen 50 Mönchen in die Zukunft führen», sagt er und liess sich aber dann doch vom Konzept überzeugen. Fast alles durften die Ausstellungsmacher aus dem Kloster ins Landesmuseum bringen. Mit einer Ausnahme: die schwarze Madonna, die bleibt in Einsiedeln.
So ist auf dem Plakat auch nicht die Madonna zu sehen, sondern ihr Umhang, ihre Krone, ihr Schmuck. Und in der Ausstellung selbst sind 18 der insgesamt 35 Gewänder der Madonna zu bewundern. Ganz alte, aber auch neue, die von Stiftern aus anderen Kulturkreisen wie etwa Korea oder Indien stammen. Denn Einsiedeln ist längst nicht mehr Anziehungsort nur für katholische Christen, sondern auch Angehörige aus anderen Religionen pilgern zur Schwarzen Madonna. Pro Jahr sind es rund eine halbe Million Besucher.
Mord am heiligen Meinrad
Angefangen hat alles mit dem Heiligen Meinrad, der am heutigen Ort der Gnadenkapelle eine Klause hatte, in der er als Einsiedler lebte. 861 haben ihn, der Legende nach, zwei Räuber ermordet. Die Untat wurde von zwei Raben beobachtet; mit lautem Geschrei begleiteten sie die Räuber auf ihrer Flucht bis nach Zürich, wo man sie vor Gericht stellte und wo die Übeltäter schliesslich hingerichtet wurden. An der Stelle, wo Meinrad gelebt hatte, wurde 934 dann ein Benediktinerkloster errichtet. Das Kloster hat noch heute die beiden Raben auf goldenem Grund im Wappen. Der Ort Einsiedeln führt die beiden Raben ebenfalls im Wappen, aber auf rotem Grund.
Die über tausendjährige Geschichte des Klosters und seiner Pilgerströme wird nun mit über 300 Exponaten dargestellt. Die Objekte sind Spuren der Millionen von Menschen, die im Laufe der langen Zeit nach Einsiedeln gekommen sind. «Die Bestände haben sich ständig verändert», sagt Abt Urban. «Sitten und Moden sind anders geworden, es gab Brände und Plünderungen und immer wieder neue Gaben und Geschenke.»
Zu den ausgestellten Stücken gehören liebevoll naiv gemalte Votiv-Tafeln, mit denen sich Menschen für eine wundersame Heilung bei der Madonna bedanken, aber auch prunkvolle Goldkelche, eine Krone von Erzherzog Maximilian III. oder ein blumenbestickter Teppich von Kaiser Leopold I. Praktisch alle Gegenstände werden noch heute benutzt. Im Kloster sind sie also nicht einfach nur Ausstellungsstücke. Und verlassen haben sie das Kloster sowieso noch nie. Zu sehen sind auch alte Schriftstücke und Bücher und zwei grosse Modelle der Klosteranlage. Im Hintergrund immer mal wieder Musik von einer der Orgeln aus der Stiftskirche.
Reiseziel vieler Prominenter
Viele berühmte Künstler, Schriftsteller, Politiker oder Theologen haben im Laufe der Zeit das Kloster Einsiedeln besucht. Johann Wolfgang von Goethe gehört dazu, Mendelssohn, Casanova, Papst Johannes Paul II., der Dalai Lama, George W. Bush, und viele weitere. Beeindruckt waren sie alle.
Dass die Ausstellung nun so lebendig daherkommt und dass sie im neuen Teil des Landesmuseums gezeigt wird, gefällt Abt Urban. Seine ursprünglichen Zweifel sind verflogen, zumal diese tausendjährige Geschichte des Klosters und des Pilgerwesens, im heutigen Rahmen dargestellt, interessante Einsichten gewährt.
Dann muss Abt Urban schon wieder zurück nach Einsiedeln. Genau an diesem Tag ist «Engelweihe», ein hohes Fest im Kloster. Auch dies eine interessante Geschichte, die auf das Jahr 948 zurückgeht. Gemäss einer mittelalterlichen Legende soll Jesus höchstpersönlich die Gnadenkapelle zu Ehren seiner Mutter Maria geweiht haben. Die Legende beruht auf einer Papst Leo III. zugeschriebenen, aber gefälschten Urkunde. «Fake News ...!», sagt Abt Urban lachend. Aber über tausend Jahre hinweg hat die Legende Einsiedeln zum Wallfahrtsort gemacht. Und jedes Jahr am 14. September wird die «Engelweihe» mit Gottesdienst, Musik, einer Prozession und vielen Kerzen auf dem illuminierten Klosterplatz gefeiert. Und wer es verpasst hat, sieht sich stattdessen die Ausstellung im Landesmuseum an …
Landesmuseum Zürich
«Kloster Einsiedeln. Pilgern seit 1000 Jahren»
16. September 2017 bis 21. Januar 2018