Viel Interaktion, ein Newsroom samt Recherche-Aufgabe, Schautafeln, informative Filme – und jede Menge Stoff zum Nachdenken: Die Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit. Wir und der Journalismus» will viele Erwartungen erfüllen. Ein Augenschein in St. Gallen, wo die Wanderausstellung gestartet und noch bis 2. Juli zu sehen ist. Und wo eine regionale Ergänzung des Themas leider ziemlich mager ausgefallen ist.
Man muss der Journalistin Ekaterina Glikman nicht erklären, worin für ihre Heimat der Wert unabhängiger Medien bestehen würde. Gerade werden in Russland die allerletzten Reste von Medienfreiheit beseitigt, während die 42-Jährige von Schaffhausen aus, wo sie seit drei Jahren lebt, gegenzusteuern sucht. Allein ist sie nicht. Die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen der unabhängigen «Nowaja Gaseta» haben sich bei Kriegsbeginn ins Ausland abgesetzt, zurückgeblieben in Wladimir Putins immer totalitärer regiertem Reich sind ihre Informanten. Auf der Online-Plattform «Nowaja Gaseta Europa» suchen sie zu ergründen, was hinter dem dichten Schleier staatlicher Propaganda vor sich geht.
«Aussergewöhnlich hohe Zahl» von Besuchern
Ekaterina Glikman ist zu Gast gewesen in einer Ausstellung, die sich um genau dies dreht: Wie ein unabhängiger Journalismus die Demokratie erst ermöglicht. Gestartet ist sie im Kulturmuseum St. Gallen, wo wir sie besucht haben, und im Polit-Forum Bern im Käfigturm, weitere Stationen werden folgen. Ein Besuch könnte sich lohnen, nicht nur für Schulklassen und Jugendliche, deren Informations-Welt allzu oft von den Angeboten der sozialen Medien dominiert wird.
Das Interesse ist da. Mit Stand Mitte Mai hat Monika Mähr vom Kulturmuseum St. Gallen 2703 Besucherinnen und Besucher gezählt, «eine aussergewöhnlich hohe Zahl», wie sie schreibt. Darunter sind über 40 Schulklassen und viele Studentinnen und Studenten der Pädagogischen Hochschule, aber auch ein bedeutender Anteil Älterer über 45 Jahren.
Dass man das so genau weiss, hängt damit zusammen, dass die Ausstellung viel Interaktion bietet. Am Start muss man sich mit einem Badge anmelden, der Zugang schafft zu weiteren Stationen. Da ist ein als Escape-Room angelegter Newsroom mit einer handfesten Recherche-Aufgabe, geeignet vor allem für Teams. Da sind Schautafeln, die anhand wichtiger Themen von Frauenstimmrecht bis Ukraine-Krieg die Rolle der Medien erläutern. Da sind Filme, die anhand von Beispielen aus vergangenen Jahrzehnten (Stichworte etwa: Kopp-Affäre, Steuerhinterziehung in Obwalden, Fall Jagmetti), aber auch anhand von Themen der Gegenwart (Frauen im Journalismus, Journalismus in Zeiten des Krieges, Standpunkt und Haltung, Swissleaks, das Medikament Roaccutane, Bondy Blog) und Zukunft (Die Zukunft des Journalismus) namhafte Journalistinnen und Journalisten der Deutsch- wie der Westschweiz zu Wort kommen lassen.
Die St. Galler Erweiterung: eine Enttäuschung
Mit Namen wie Jacques Pilet, Hugo Bütler, Margrit Sprecher, Adrienne Fichter, Ueli Haldimann, Klara Obermüller, Roger Blum, Rita Flubacher, Stefan Keller und Kurt Pelda legt das von namhaften Partnern getragene Projekt eine breite Spur in die Schweizer Medienlandschaft. Die zum Teil mehrstündigen Interviews mit 30 Schweizer Journalistinnen und Journalisten sind im Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich online zugänglich. Ausserdem findet man im Online-Auftritt der Ausstellung unter dem Punkt «Bonus» Erläuterungen des Medienwissenschaftler Linards Udris und weiteres Material. Der für das ganze Projekt verantwortliche Verein Journalistory hat beeindruckend gründliche Arbeit geleistet.
Wenig zu überzeugen vermag dagegen die «St. Galler Arena» betitelte regionale Erweiterung. Eine durchlaufende Bildserie mit Schauplätzen der St. Galler Mediengeschichte beschränkt sich auf die Kantonshauptstadt und vermittelt nicht den Hauch der hochinteressanten, regional enorm vielfältigen Mediengeschichte des Kantons St. Gallen und der gesamten Ostschweiz. Da hätte – mit wenig Aufwand – reichhaltiges Material zur Verfügung gestanden. Auch die über den Raum verteilten Informationstafeln zu einzelnen Medienereignissen wirken thematisch ziemlich willkürlich gewählt. Immerhin: Ein Wettbewerb mit dem sinnigen Titel «Scoop!» fordert Interessierte auf, bis zum 12.Juni eine eigene Geschichte zu recherchieren und an eine regionale Jury einzureichen.
Zum Beispiel Elisabeth Kopp
Ein «Scoop», ein Knüller also: Das ist der Traum vieler Journalistinnen und Journalisten. Und manchmal gelingt er auch tatsächlich, sogar mit politisch einschneidenden Konsequenzen, wie die Ausstellung zeigt. Gerade ist mit Elisabeth Kopp die erste Bundesrätin gestorben. Aus diesem Anlass kam auch wieder jene Affäre zur Sprache, die 1989 zu ihrem Sturz führte. In einem der Filme berichten Journalisten, wie sie davon Wind bekommen haben, dass gegen eine Firma ermittelt wird, in deren Verwaltungsrat Bundesrätinnen-Gatte Hans W. Kopp sitzt – und dass er von seiner Frau gewarnt worden ist.
Heute stellen sich andere Fragen als damals. Fragen wie: War sie ein Opfer ihrer selbst – oder Opfer eines öffentlichen «Kesseltreibens», wie Nationalratspräsident Martin Candinas sagte? Ein «klassisches Damenopfer», wie die Politologin Regula Stämpfli meint, «sie musste gehen, weil sie der FDP zu mächtig wurde». Oder hat Arnold Koller recht, der zwei Jahre lang mit ihr im Bundesrat sass und heute sagt: «Ich habe Elisabeth Kopp sehr geschätzt. Aber ihr Verhalten war höchst problematisch.» Wobei nicht das Telefonat an sich, sondern sein beharrliches Verschweigen zum Sturz von Elisabeth Kopp geführt habe. Mit anderen Worten: Gehört vieles von dem, was heute zu Elisabeth Kopps Entlastung gesagt wird, ins Reich jener Legendenbildung, an der sie selber tüchtig mitgestrickt hat, wie ihre Biografin Catherine Duttweiler kühl bilanziert. Eine unangenehme, aber auch sehr interessante Frage.
Genau mit solchen Fragen haben es Journalistinnen und Journalisten oft zu tun. Wenn er das Gefühl habe, jemand lüge ihn an, dann sporne ihn das umso mehr an, sagt Rolf Wespe, einer jener Journalisten, die den Fall Kopp aufgedeckt haben. Und der auch den Obwaldner Regierungsrat Hans Hess zu Fall gebracht hat, der nach seinen Recherchen 1989 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt worden und im Jahr darauf zurückgetreten ist. Dass Wespe samt seiner Familie auch anonym bedroht worden ist, gehört zum Preis, den Journalisten manchmal für heikle Recherchen zu zahlen haben.
Womit sich Journalisten sonst noch befassen
Man tut freilich gut daran, im Alltag von Journalistinnen und Journalisten nicht allzu sehr die Heldentaten zu suchen. Zum einen, weil dieser Alltag von vielem bestimmt wird, das nicht in den grossen «Scoop» münden kann. Sie berichten über Gemeindeversammlungen, Parlamente, Bilanz-Medienkonferenzen oder Konzerte, sie porträtieren einfache Menschen, besuchen Spitäler, Kindergärten und Betriebe – und versuchen dies auf interessante und verständliche Weise zu tun. Gerade in einer Zeit schwindender Bereitschaft, für diese professionelle Berichterstattung auch zu zahlen, ist dieser Journalismus extrem wichtig.
Noch einen zweiten Grund gibt es, das Heldentum eher zu meiden als anzustreben und sich seiner Aufgabe in Demut zu stellen. Nicht nur der Fall Kopp zeigt: Die Wahrheit präsentiert sich selten schwarz und weiss. Die Grautöne sind es vielmehr, die unsere Wirklichkeit ausmachen, und deren Abbild die Medien eigentlich sein sollten. Zwar taucht mit Niklaus Meienberg in der Ausstellung auch ein grosser Schwarz-Weiss-Maler auf, dem in seiner von der 68er-Bewegung geprägten Generation viel Bewunderung entgegengebracht worden ist. Meienberg sei schon allein mit seiner Sprache der «Inbegriff einer Urgewalt» gewesen, erzählt die erfahrene Tamedia-Wirtschaftsjournalistin Rita Flubacher. Aber er habe gern «Fakten mit Erfundenem kombiniert», um zum gewünschten Resultat zu kommen, fügt die Reporterin Margrit Sprecher hinzu. Und Res Strehle, Mitbegründer der WOZ und später Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», blickt kritisch auf seinen Dogmatismus von einst. «Wir haben das Gefühl gehabt, wir wissen es; wir haben die Wahrheit.»
Solche Offenheit ist löblich. Nicht nur, weil sie zeigt: Man kann, ja man muss als Journalist oder Journalistin Lernender und Lernende bleiben – ein Leben lang. Sondern auch: Was in den Medien Tag für Tag zur Sprache kommt, verdient nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, sondern ganz ausdrücklich seine kritische Aufmerksamkeit. Zuhörer, Zuschauer, Leser müssen mitdenken und ihrerseits nachfragen. Auch das lehrt diese Ausstellung.
Hinweise:
Weitere Stationen der Ausstellung:
- Médiathèque Valais Martigny 6.Juli – 28.Oktober 2023
- Museum Schaffen Winterthur 9.Juli – 29.Oktober 2023
- Stadtmuseum Aarau 9.November 2023 – 4.Februar 2024
- Kantonsbibliothek Uri Altdorf 23.Februar – 13.April 2024
- Historisches Museum Sarnen 20.April – 18.August 2024
- Historisches Museum Luzern 23.Mai – Oktober 2024
- Musée d’Art et d’Histoire Delémont September 2024 – Februar 2025
- Historisches Museum Lausanne November 2024 – Februar 2025
- Gewerblich-Industrielles Bildungszentrum Zug 20.Oktober – 19.Dezember 2025
- Universitätsbibliothek Basel September 2025 – Januar 2026