Mit Blick auf die islamischen Terrorattacken gegen Pendlerzüge in Madrid im Jahre 200 sieht der Vertrag von Lissabon von 2009 (die geltende verfassungsmässige Grundlage der EU) die Möglichkeit vor, dass ein Mitglied, wenn angegriffen, militärische Unterstützung einfordern kann. Dies entweder bilateral, auf der Basis von Art. 42 oder im EU-Rahmen (Art. 222), wobei dann die Leitung in Brüssel liegt.
Wie reagieren London und Berlin?
Frankreich hat sich nach der Pariser Terrornacht für die erste Möglichkeit entschieden, wobei der französische Verteidigungsminister ausdrücklich auf den politischen Charakter dieser Entscheidung hinwies. Trotz klarer Rethorik des Staatspräsidenten (‘la France est en guerre’ ), begnügt sich Paris mit der Anrufung der ersten Stufe militärischer Zusammenarbeit im Rahmen der EU und hat dabei spezifische Anliegen an einzelne Mitglieder herangetragen. Im Vordergrund steht einmal eine bessere Zusammenarbeit im Bereich Nachrichtendienst, wo offensichtliche Unzulänglichkeiten bestehen.
Frankreich möchte weiter eine Entlastung seines seit einiger Zeit bestehenden militärischen Engagements im Kampf gegen islamischen Terror ausserhalb des “Islamischen Staats” (IS), so etwa in Mali und im Libanon. Laut ersten Meldungen erwägen Spanien und Irland entsprechende Truppenentsendungen. Von entscheidender Bedeutung werden Beiträge von Grossbritannien und Deutschland sein. In den bilateralen Gipfeltreffen von Präsident Hollande in der laufenden Woche steht dieses Thema sowohl in London als auch in Berlin im Zentrum. Cameron wird dem Unterhaus zumindest die Beteiligung der britischen Luftwaffe an der Bombardierung von IS-Zielen vorschlagen, was diesmal - im Gegensatz zu seinem ersten Versuch, Präsident Obama bei der Bekämpfung damals primär des Asad-Regimes zu unterstützen - wohl durchgehen wird.
Frankreichs Einsätze in Afrika
Interessant dürfte sowohl die Art der Anfrage als auch der Antwort beim Treffen Hollande-Merkel sein. Neben möglicher logistischer Unterstützung der Bombardierung von IS - von Transporten über Luftbetankung bis hin zum Einsatz von Kampfflugzeugen der Bundeswehr - wird hier wohl eine Verstärkung der Präsenz deutscher Truppen in den vom islamischen Terror bedrohten Hotspots in Afrika im Vordergrund stehen.
Dass Truppenpräsenz in Afrika auch einem europäischen Imperativ entspricht, dürfte die vom Territorium des IS ausgehende, finanzierte und koordinierte Terrornacht von Paris zur Genüge bewiesen haben. Es zeigt sich nun, dass der Einsatz französischer Militärmacht gegen die Sahel Al-Kaida in Mali sowie westliche militärische Unterstützung im Kampf von Nigeria, Tschad und anderen, oft sehr schwachen afrikanischen Staaten gegen die Boko Haram - in beiden Fällen zur Verhinderung des Aufbaus militanter ‘Islamischer Republiken’ - berechtigt war und bleibt. Wie schon die offene Duldung von Al-Kaida im Afghanistan der Taliban welche zu ‘Nine-Eleven’ führte, und jetzt die Aktivitäten von IS zeigen, bilden solch quasi-staatliche Strukturen die entscheidende Basis für grossangelegte Terrorangriffe im Westen.
Zerschlagung von IS – nur mir Bodentruppen möglich?
Dies bedeutet natürlich keineswegs, dass die Ursachen und die Täter von islamischem Terror nicht auch europäische Wurzeln, und Pässe - die Täter der Pariser Mörderbande waren ja mehrheitlich in Europa aufgewachsen - hätten. Ebenso selbstverständlich erscheint, dass bessere europäische Anworten auf Extremislam in den verschiedensten Bereichen - sozial, integrationspolitisch, polizeilich - gefunden werden müssen. Indes ist hier ist von der militärischen Seite der Bekämpfung von Terrorislam die Rede. Und hier kann, im praktisch einstimmigen Urteil der Experten, nur die vollständige Zerschlagung des IS zum Ziele führen.
Wie dies geschehen soll, bleibt im Moment allerdings offen. Dieselben Experten und die Verteidigungsminster der wichtigsten Militärmächte räumen ganz offiziell ein, dass dies wohl nur mit Bodentruppen machbar erscheint. Woher solche kommen sollen, erscheint vorläufig noch völlig unklar. Sicher ist, dass diese Frage auf der Traktandenliste der Gespräche von Hollande steht, welche er in der laufenden Woche auch in Washington und Moskau führt.
Jeder Staat keinen seinen eigenen Beitrag definieren
Immerhin erlaubt die erwähnte Natur des französischen Appels zur europäischen Solidarität jedem Staat seine spezifische Antwort zu formulieren. Ein Blick auf die Geschichte hinter der Formulierung der Solidaritätsverpflichtung im Lissaboner Vertrag zeigt, dass die die konkrete Ausgestaltung auch mit Blick auf die ehemaligen Neutralen unter den EU-Mitgliedern - Schweden, Österreich, Finnland und Irland - erfolgt ist, um diesen innenpolitisch die Akzeptanz zu erleichtern.
Bilateral angegangen, kann so jeder EU-Staat seine eigene Antwort auf eine offensichtliche Herausforderung an das gesamte Europa bereit halten und diese koordiniert, aber eben nicht zentral organisiert, durchführen.
Welcher Schweizer Beitrag?
Islamischer Terror kann jederzeit auch Schweizer treffen. So etwa 1997 in Luxor und 2002 auf Bali. Die Schweizer gehören zu den eifrigsten Reisenden der Welt und werden dies auch bleiben. Ein Angriff in der Schweiz mag weniger wahrscheinlich sein als anderswo, ist aber durchaus denkbar. Laut Bundespolizei sind 70 Personen, darunter eine ganze Anzahl Schweizer “zum Saubannerzug der Jihad” nach Syrien aufgebrochen. Dies liegt pro Kopf der Bevölkerung durchaus im entsprechenden westlichen Mittel.
Damit sind unsere nationalen, eben so wie unsere höchstpersönlichen Intressen betroffen. Dazu kommt die uns alle betreffende Herausforderung des abendländischen Erbes - Trennung von Staat und Kirche, Menschenrechte und Gleichberechtigung unabhängig von Glaube, Geschlecht und Rasse - durch den islamischen Terrorismus.
Der französische Appell ist zwar im Rahmen der EU erfolgt, erlaubt aber dem einzelnen Staat Formulierung und Durchführung seiner eigenen Antwort im grossen Rahmen europäischer Solidarität. In einem seiner periodischen Papiere zu aktuellen Themen hat der Club Helvétique kürzlich mehr internationale Zusammenarbeit für harte schweizerische Sicherheitspolitik gefordert, angesichts wachsender Herausforderungen an jeden europäischen Staat.Was hält die Schweiz nach der Pariser Terrornacht davon ab, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihren eigenen Beitrag zu leisten?