Eine Generalprobe gab es schon. Im Oktober 2012 fuhren der Enkel des Gründers der Marke, Willie G. Davidson, und der Urenkel Bill Davidson - Willie als Chefdesigner, Bill als Leiter Marketing - zum damaligen Papst Benedikt XVI. Der empfing die beiden auch. Und sie hatten etwas mitgebracht: zwei Tanks von Harley-Davidson-Maschinen, die der Heilige Vater nicht nur segnete, sondern auch mit seinen Schriftzügen zierte.
Danach wurden beide Tanks auf Motorräder montiert. Eine Maschine landete im Harley-Davidson-Museum in Milwaukee, die andere wird zugunsten der „Good Samaritan Foundation“ versteigert. Diese Art des Aggiornamento hätte man Papst Benedikt nie zugetraut. Ist auch der Heilige Vater dem Charme der Marke erlegen, die auf ihre Weise die Tradition pflegt und in den Augen mancher Spötter nicht ganz von dieser Welt ist?
Spekulationen hin oder her: Die Fahrt nach Rom einschliesslich der Segnung ist in typischer Harley-Davidson-Manier perfekt geplant. Am Donnerstag, dem 13. Juni, gibt es im Hafen von Ostia eine Eröffnung mit allen Ingredienzien, die zu einem Bikertreffen gehören. Der Ort wird buchstäblich unter die Räder genommen, begangen und besichtigt. 2000 Karten für Biker werden ausgelost. Man muss für die Teilnahme an der Verlosung allerdings Mitglied der „Harley Owners Group“ sein – eine weitere Spezialität von Harley-Davidson.
Die Segnung der Vespas
Am Freitag geht es dann zur Messe in der Vatikanischen Basilika. Samstag wieder Ostia mit diversen Darbietungen, dann der Höhepunkt am Sonntag, allerdings nur für eine noch kleinere Zahl ausgeloster Bewerber: „1400 lucky motorcycle fans will win the unique experience to take their motorcycle into St. Peter´s Square.“ Da gibt es den päpstlichen Segen. Erteilt wird er nicht, wie ursprünglich gedacht, von Benedikt XVI., sondern von seinem Nachfolger Franziskus.
Aus der Sicht des Vatikan mit seinem langen Atem sind Motorräder eine relativ neue Erscheinung. Schliesslich werden sie erst seit 1885 gebaut. Schon einmal gab es für Vehikel dieser Art den päpstlichen Segen: 1953 segnete Papst Pius XII. auf dem Petersplatz 20 Vespas, bevor diese zur Unterstützung von Flutopfern nach Holland verfrachtet wurden. Wie man mit Vespas Flutopfern hilft, blieb damals das Geheimnis der Firma Piaggio und des Vatikan.
Mit der Fahrt zum Papst will Harley-Davidson europäischen Traditionen eine Referenz erweisen und zum Ausdruck bringen, dass religiöse Überzeugungen respektiert werden. Und natürlich ist es ein besonderer Kick, einmal zum Vatikan zu fahren und dort auch noch vom Heiligen Vater mit einem speziellen Segen gewürdigt zu werden.
Eine hintergründige Pointe liegt darin, dass die Marke Harley-Davidson zeitweilig zum Inbegriff der Outlaw-Maschine geworden ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sich in Amerika Gangs von Kriegsveteranen, denen es nicht gelang, wieder Fuss zu fassen. Dazu kamen jugendliche Rowdys. Bis heute sind die Hells Angels in den USA und in Europa berüchtigt und geben der Polizei immer wieder Anlass zum Eingreifen. Diese Klientel hat dem Ruf von Harley-Davidson zeitweilig schwer geschadet.
Ernst, aber nicht zu ernst
Erst als in den 80er Jahren junge Aufsteiger die Marke für sich entdeckten, hat sich das Image wieder gebessert. Dabei gelingt es den Marketingleuten immer wieder, eine Komponente der Outlaws oder auch nur der Aussteiger, wie sie im Film „Easy Rider“ emblematisch zum Ausdruck kam, in die Marke zu integrieren: Ausbruch aus dem bürgerlichen Alltag. Das Besondere, das in gewisser Weise Exotische des Reisens mit dem Motorrad ist zu einem festen Bestandteil der Marke geworden. Dazu gehört auch das Festhalten an den klassischen Modellen, die lediglich variiert werden. Es gibt – mit einer Ausnahme – keine komplett neuen Modelle. Bei Harley-Davidson ist alles klassisch, nichts ist retro.
Vor dem Hintergrund der Geschichte mit der ungestümen Kundschaft von Harley-Davidson bekommt der Segen des Papstes eine besondere Bedeutung. Weiss man doch, dass im Himmel mehr Freude herrscht „über einen Sünder, der Busse tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Busse nicht bedürfen“. Ganz sicher freut sich der Vatikan über eine Besucherschar, die zwar nicht Busse tut, es dafür aber kräftig brummen lässt. Überhaupt zeigt das ganze Ereignis in Rom, dass Religion zwar eine ernste Sache ist, sich aber ungeheuer belebt, wenn man sie nicht zu ernst nimmt. Ganz so, wie Harley-Davidson mit seiner Tradition spielt und sie dadurch pflegt.